Potentes Mittel

20 Jahre Viagra: Jubiläum eines Topsellers 

Berlin - 27.03.2018, 07:00 Uhr

Vor 20 Jahren erhielt Sildenafil die US-Zulassung. (Foto: 
 jopix.de / stock.adobe.com)     

Vor 20 Jahren erhielt Sildenafil die US-Zulassung. (Foto:  jopix.de / stock.adobe.com)     


20 Jahre Viagra® bedeuten 20 Jahre Milliardenumsätze für den US-amerikanischen Pharmariesen Pfizer und 20 Jahre Erleichterung für die an erektiler Dysfunktion leidenden Männer. Doch nur der Zufall half den Forschern auf die Sprünge: Gesucht wurde ein Herzmedikament – heraus kam Viagra®.

Viagra® (Sildenafil) feiert sein 20-jähriges Jubiläum. Am 27. März 1998 wurden die kleinen blauen Pillen von der FDA in den USA zugelassen, ein halbes Jahr später folgte die europäische Zulassung. Große Erwartungen wurden an das Präparat von Anfang an geknüpft. Viagra® versprach einfache Abhilfe gegen Erektionsstörungen. Das Time-Magazin feierte in seiner Ausgabe vom 4. Mai 1998 die Markteinführung mit der Schlagzeile: „The Potency Pill – Yes, Viagra works! …“ 

und war auf diese Weise „Teil“ des darauffolgenden Erfolges, der Pfizer zeitweise zum größten Pharmaunternehmen weltweit aufsteigen ließ. Doch wie kam es dazu? Und was hatte der Zufall damit zu tun?

Vom Herzmedikament zum Potenzmittel – Karriere per Zufall

Arzneimittelentwicklung ist eine langwierige und teilweise auch frustrierende Angelegenheit. Häufig genug erfüllen neu entwickelte Wirkstoffe nicht das, was man sich davon erhofft. Die Folge: Die Forschung läuft ins Leere. So hätte es auch im Fall von Sildenafil sein können. Das Forscherteam um Ian Osterloh synthetisierte Ende der 1980er Jahre am britischen Pfizer Standort in der Nähe von Sandwich in der Grafschaft Kent den ersten Phosphodiesterase-Typ-5-(PDE-5)-Hemmer. Die Wissenschaftler gingen davon aus, Sildenafil aufgrund seiner vasodilatorischen Wirkung zur Behandlung von Bluthochdruck und Angina Pectoris einsetzen zu können. Doch die erhofften Wirkungen blieben aus. 

Studienteilnehmer wollten übrige Tabletten nicht zurückgeben 

Die Studienteilnehmer wiederum schienen aus einem ganz anderen Grund zufrieden mit der getesteten Substanz UK-92480 zu sein. Erzählungen berichten von Teilnehmern, die am Studienende noch verbliebene Tabletten nicht zurückgeben wollten, da das Medikament ihnen zu verstärkten Erektionen verhalf. Wie auch immer es genau war, auf jeden Fall erkannten die Forscher das eigentliche Potenzial von Sildenafil. Ein ganz anderes Anwendungsgebiet war demnach naheliegend: die Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED).

Weitere klinische Studien wurden aufgelegt – doch nun im Hinblick auf die mögliche Vermarktung als Potenzmittel. Die Nebenwirkung zur Hauptwirkung zu machen, war die erfolgversprechende Devise: In den Jahren 1995 und 1996  wurden mit mehr als 4500 Probanden 21 klinische Studien erfolgreich durchgeführt. 1997 folgte dann der Antrag auf Zulassung in den USA und in Europa, der im Jahre 1998 zur Zulassung führte. In Deutschland war Viagra® ab Oktober 1998 erhältlich. 

Sildenafil revolutionierte die Behandlung der ED

Für viele Betroffene sind ihre durch Krankheiten oder Alter hervorgerufenen Potenzschwierigkeiten ein belastendes Thema, das zudem eine gewisse Stigmatisierung erfährt. Mit der Zulassung von Viagra® kam es hingegen zu einer Enttabuisierung – vielfach auch als „zweite sexuelle Revolution“ nach Einführung der Antibabypille bezeichnet.

Potenzschwierigkeiten hatte es schon immer gegeben. Vor der Einführung von Viagra®  musste zum Beispiel auf Vakuumpumpen als mechanisches Behelfsmittel zurückgegriffen werden – eine wenig romantische Angelegenheit. Zudem gab es die Möglichkeit, Schwellkörperimplantate operativ in den Penis einzusetzen. Eine Alternative waren Injektionen von vasodilatierenden Wirkstoffen wie Alprostadil in den Schwellkörper. Diese sind allerdings schmerzhaft und belastend. Der einfache und schmerzfreie Einsatz von Sildenafil stellte folglich einen Meilenstein in der Behandlung von Potenzstörungen dar.

Goldgrube für Pfizer

Sildenafil wurde 1998 zunächst in den USA und später auch in der EU zugelassen – eine Goldgrube für Pfizer. Milliardenumsätze konnte der Pharmariese seit Beginn der Zulassung weltweit mit Sildenafil erzielen. Allein im Jahre 2016 handelte es sich um 1,56 Milliarden US-Dollar. Die höchsten Umsätze erzielte das Unternehmen im Jahre 2012 mit 1,93 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2013 lief in Deutschland und in den meisten Ländern der EU der Patentschutz aus. Generika eroberten den Markt. Die Preise für die Anwender sanken in der Folge erheblich. In den USA selbst besteht der Patentschutz eigentlich noch bis zum Jahr 2020, doch ein Vergleich mit dem israelischen Pharmahersteller Teva ermöglicht seit Dezember 2017 den Verkauf des Teva-Generikums auf dem US-Markt

Neben Sildenafil gibt es inzwischen drei weitere PDE-5-Hemmer (Tadalafil, Vardenafil und Avanafil) auf dem Markt. Doch Viagra® ist das Flaggschiff und auch im übertragenen Sinne „in aller Munde“, wenn Mann an Potenzmittel denkt. So ist Viagra® trotz Generika und Co. immer noch gewinnbringend. Pfizer vermarktet Sildenafil zudem seit 2006 auch unter dem Markenname Revatio® als Medikament zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie.

Potenz durch Viagra – teuer erkauft

Sildenafil zählt zu den sogenannten Lifestyle-Medikamenten und ist von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen. Rezeptpflicht und der nicht ganz billige Preis – insbesondere des Originalpräparates – führt zu einem regen Schwarzmarkt und entsprechenden Gefahren, die dieser illegale Erwerb mit sich bringt. Die in diesen dunklen Kanälen angebotenen Präparate sind teilweise gepanscht und gelangen unkontrolliert auf den Markt. Eine entsprechende Gefährdung der Anwender ist zu beachten.

 Sildenafil ist in Deutschland wegen seines Nebenwirkungsprofils und möglicher Wechselwirkungen nach wie vor nur gegen Rezept erhältlich. In Großbritannien gilt hingegen inzwischen eine Befreiung von der Verschreibungspflicht und erste Erfahrungen im OTC-Verkauf werden gesammelt. Auch in Neuseeland und Polen kann das Präparat – jeweils unter anderen Voraussetzungen – ohne Rezept erworben werden. 



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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