Pharmazeutische Dienstleistungen

Das sind die neuen Apotheken-Projekte in Europa

Berlin - 03.04.2018, 12:30 Uhr

In fast allen anderen europäischen Ländern sind die Apotheker ein immer wichtigerer Bestandteil in der Primärversorgung. (Foto: Imago)

In fast allen anderen europäischen Ländern sind die Apotheker ein immer wichtigerer Bestandteil in der Primärversorgung. (Foto: Imago)


Es wird immer deutlicher: Während Apotheker in ganz Europa immer mehr Aufgaben und Kompetenzen in ihren heimischen Gesundheitssystemen bekommen, bleibt der Leistungskatalog der Apotheker in Deutschland nahezu unverändert. Der Europäische Apothekerverband hat nun alle kürzlich in Europa gestarteten Projekte mit pharmazeutischen Dienstleistungen vorgestellt. DAZ.online bietet eine Übersicht.

Was das Angebot pharmazeutischer Dienstleistungen und die Einbindung des Apothekers in die Primärversorgung betrifft, hinkt Deutschland im Europa-Vergleich schon seit Jahren hinterher. In anderen EU-Ländern dürfen Apotheker schon lange impfen, bieten Präventions-Beratungen an, helfen bei der Rauchentwöhnung und führen ein professionelles Medikationsmanagement durch. Dieser Trend hat sich nun noch weiter verstärkt: In seinem Jahresbericht hat der Europäische Apothekerverband (PGEU) eine Liste der Projekte veröffentlicht, die nur im vergangenen Jahr neu angelaufen sind oder getestet wurden. Ein Blick in die einzelnen Länder:

Irland: Der sogenannte „New Medicine Service“ ist zumindest in Großbritannien schon seit Jahren Standard in jeder Apotheke. Die Pharmazeuten können Patienten, die neu auf eine Dauermedikation eingestellt werden, Tipps zur Einnahme geben. Dazu treffen sich Apotheker und Patient mehrfach zu einem Einzelgespräch. In Irland hat der Apothekerverband im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt mit diesem Service durchgeführt. In den ersten Wochen ihrer neuen Medikation hatten die Patienten, die sich zur Teilnahme bereit erklärt hatten, mehrere Termine in der Apotheke. Laut Apothekerverband war die Adhärenz der Projektteilnehmer in den ersten Wochen 9 Prozent besser als bei nicht teilnehmenden Patientengruppen. Der Verband hofft seit Jahren, dass die Politik das Programm nun Irland-weit etabliert.

Portugal: Der Portugiesische Apothekerverband und die Regierung des Landes haben vereinbart, die Vor-Ort-Apotheker in Zukunft stärker in die ambulante Primärversorgung einzubinden. Als ein erstes Pilotprojekt startete im Dezember ein Versorgungsmodell für HIV-Patienten, bei dem die Apotheker Patienten bei der Abgabe der antiretroviralen Arzneimittel ausführlich über die Einnahme und mögliche Nebenwirkungen beraten. Die Apotheker, die teilnehmen wollten, mussten gewisse Anforderungen erfüllen: So mussten besondere Fortbildungskurse nachgewiesen, die Apotheken-Software enger mit Krankenhäusern und Ärzten vernetzt werden und in der Apotheke ein abgeschlossener Beratungsraum eingerichtet werden.

246 Apotheken haben laut PGEU an dem Projekt teilgenommen. Zahlen zur Evaluation des Projektes hat der Europäische Apothekerverband bislang nicht vorgelegt. Aber das Ziel der Apotheker ist klar: Das Medikationsmanagement für HIV-Patienten soll flächendeckend eingeführt werden.

Diabetes-Screening, Impfen und Chroniker-Beratung in Apotheken

Frankreich: Seit wenigen Monaten gibt es in Frankreich neue, strenge Impf-Regeln. Bei unseren Nachbarn sind mit dem Jahresbeginn eine ganze Reihe neuer Impfpflichten in Kraft getreten. Eltern müssen in Schule oder Kindergarten Impfnachweise vorlegen. Schon im vergangenen Jahr hatte die Regierung versucht, die Impfrate mit Hilfe der Apotheker zu erhöhen. Schließlich lag die Impfrate bei Influenza in Frankreich bei nur 46 Prozent – die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt eine Rate von 75 Prozent. In einem Pilotprojekt wurde es den Apothekern daher erlaubt, Influenza-Impfungen zu verabreichen. Das Projekt startete zunächst in den beiden Regionen Nouvelle-Aquitaine und Auvergne-Rhone-Alpes. Insgesamt nahmen mehr als 2800 Apotheken teil – das entspricht einem Anteil von knapp 60 Prozent aller Apotheken in diesen Regionen. Über eine Online-Plattform der Französischen Apothekerkammer konnten sich die Pharmazeuten vorher fortbilden und qualifizieren. Zwischen September 2017 und Februar 2018 haben die Apotheker mehr als 154.000 Impfungen verabreicht.

Italien: Gemeinsam mit einem Diabetes-Patienten-Verband haben die Italienische Apothekerkammer und der Apothekerverband im vergangenen Jahr ein landesweites Diabetes-Screening in Apotheken angeboten. Unter dem Motto „Dia Day“ konnten sich die Italiener in einer der etwa 18.000 Apotheken zwischen dem 14. und 24. November 2017 den Blutzucker messen lassen. Laut Apothekerverband Federfarma gibt es in Italien etwa eine Million Menschen, die von ihrer Diabetes-Erkrankung nichts wissen. Auf einer Internetseite konnten die Bürgerinnen und Bürger die nächstgelegene teilnehmende Apotheke aussuchen.

Laut PGEU haben mehr als 160.000 Italiener an der Aktion teilgenommen, mehr als 5600 Apotheken waren dabei. In mehr als 4400 Fällen haben die Apotheker Alarm geschlagen und so auffällige Blutzuckerwerte festgestellt, dass ein Arztbesuch dringend angeraten wurde. In knapp 19.000 Fällen lag sogar ein Verdacht auf die Erkrankung vor.

Norwegen: Extra-Beratung für Asthmatiker und Herzkranke

Norwegen: Unter dem Namen „Medisinstart“ gibt es seit dem vergangenen Jahr – ähnlich wie in Großbritannien – ein neues landesweit etabliertes Medikationsmanagement von Apothekern für Patienten, die mit einer Dauermedikation beginnen. Konkret wendet sich das Programm an Patienten, die neu einen Blutdrucksenker, ein blutverdünnendes Medikament oder ein cholesterinsenkendes Statin einnehmen. Der Service besteht aus je zwei Gesprächen à 15 Minuten pro Patient. Das erste Treffen in der Apotheke sollte bis spätestens zwei Wochen nach der ersten Einnahme erfolgen, das zweite bis zu fünf Wochen nach dem ersten Gespräch. In abgelegenen Regionen können die Apotheker auch zum Telefon greifen.

Auch in Norwegen mussten die teilnehmenden Apotheker Online-Fortbildungen bewältigen und diese nachweisen. Außerdem mussten sie lernen, wie sie Gespräche dokumentieren. Das Projekt wurde 2015 bereits im Rahmen eines Pilotprojektes mit 1500 Patienten in 60 Apotheken getestet. Nun ist es landesweit als abrechenbare Leistung etabliert. Neu ist dieses Vorgehen aber nicht: Seit Jahren dürfen die Apotheker bereits Medikationsberatungen für Asthmatiker anbieten und zu Fragen zu Inhalationsgeräten gesondert und auch vergütet beraten.

Hier noch eine Übersicht über viele andere Projekte, die in den Apothekensystem anderer europäischer Länder schon seit Jahren etabliert sind:

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Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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