Arzneimitteltherapiesicherheit

Nebenwirkungen sind häufige Ursache für Notaufnahmen

Stuttgart - 16.04.2018, 09:05 Uhr

Häufiger Grund für „Besuche“ in der Notaufnahme: UAW. (Foto: schulzfoto / stock.adobe.com)

Häufiger Grund für „Besuche“ in der Notaufnahme: UAW. (Foto: schulzfoto / stock.adobe.com)


Patienten landen nicht nur mit einem Herzinfarkt in der Notaufnahme – auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen beschäftigen die Krankenhausnotfallambulanzen. Das zeigt eine systematische Untersuchung mit mehr als 10.000 Patienten an vier Kliniken der Maximalversorgung in Deutschland. Unter welchen Beschwerden litten die Patienten, und welche Arzneimittel erzeugen die meisten Notaufnahmen?

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in der Krankenhausnotaufnahme“ – wie oft kommen diese Fälle vor? Würde man die Häufigkeitskategorien bei Nebenwirkungen zugrunde legen: häufig. Vier Krankenhäuser der Maximalversorgung – Bonn, Fürth, Stuttgart, Ulm – analysierten über einen Zeitraum von 30 Tagen 10.174 vorstellige Patienten in den dortigen Notfallambulanzen. 

Von den Patienten, bei denen im Zuge der Notfallversorgung der Medikationsstatus erfasst wurde (5719 Patienten), bestand bei 11,6 Prozent (665 Patienten) der Verdacht, dass eine UAW zugrunde liegt. Die Studieninitiatoren werteten letztendlich 350 Patienten aus – die Diskrepanz zu den ursprünglich detektierten UAW-Verdachtsfällen entstand, da Patienten nicht einwilligten, an der Untersuchung teilzunehmen oder sie bereits entlassen worden waren. Nur bei einem kleinen Teil (2 Prozent) ließen sich die Beschwerden sicher als UAW identifizieren, bei 16 Prozent war der Zusammenhang wahrscheinlich und beim Gros möglich (82 Prozent).

Verteilung der Kausalitätsbewertung in den 352 Verdachtsfällen (350 Patienten, da zwei Patienten doppelt vorstellig innerhalb der 30 Tage) mit unerwünschter Arzneimittelwirkung (UAW). (Quelle: Deutsches Ärzteblatt)
Zustand der Patienten mit unerwünschter Arzneimittelwirkung (UAW) bei Entlassung (352 UAW-Verdachtsfälle bei 350 Patienten). (Quelle: Deutsches Ärzteblatt)

Welche Beschwerden hatten die Notfall-Patienten?

Die meisten Patienten klagten über gastrointestinale Symptome, solche, die das Nervensystem (Schwindel, Synkope) betreffen und allgemeine Beschwerden wie Schmerz, Fieber, verschlechterter Allgemeinzustand oder Ermüdung. Die gastrointestinalen Beschwerden reichten von Bauchschmerzen, Übelkeit, Hämatemesis und Meläna (Teerstuhl).

Als häufigste Arzneimittel, die in einem möglichen Zusammenhang mit den Patientenbeschwerden stehen, machten die Studienautoren antithrombotische Arzneimittel (> 25 Prozent), Betablocker und ACE-Hemmer und Sartane aus – was zu den beobachteten Beschwerdebildern passt. Die Patienten nahmen im Median sieben Arzneimittel ein, der Altersmedian lag bei 74,5 Jahren, drei Viertel der Patienten waren älter als 65. 

89 Prozent der UAW-Verdachtsfälle wurden stationär aufgenommen wurden – im Vergleich zu lediglich 43,7 Prozent im Gesamtkollektiv. Als mögliche Ursache dieser Verzerrung diskutieren die Autoren sowohl gravierendere Fälle als auch, dass manche Patienten „so schnell wieder das Krankenhaus verlassen hatten, dass sie nicht in die Studie eingeschlossen werden konnten“.

UAW schwierig zu erkennen, Bewusstsein muss geschärft werden

Nicht bei jedem Patienten erfassten die Notfallambulanzen die Medikation. Ulm übernimmt hier eine Vorbildfunktion: Hier lag zu jedem Patienten der Medikationsstatus vor, bei den übrigen Kliniken Bonn, Fürth, Stuttgart zu jedem zweiten. Allerdings entfielen auf die Universitätsklinik Ulm auch nur 8,6 Prozent aller Behandlungsfälle (877 von 10.174). Nach Ansicht der Studienautoren ist dies dem Umstand „Akutsituation“ geschuldet – die Medikation zu erfragen und zu dokumentieren, ist nicht bei jedem Notfall leistbar. Zusätzlich erinnern sich manche Patienten in der Ausnahmesituation schlichtweg nicht in ihre Arzneimittel.

Für problematisch bei der Auswertung erachten die Studienautoren, dass viele der notfallmäßig vorstelligen Patienten anschließend nicht stationär aufgenommen wurden. Die rein ambulante Versorgung erschwert, akute Beschwerden als UAW einer Arzneimitteltherapie zu erkennen.

Charakteristik der UAW-Verdachtsfälle: relative Häufigkeit der Fälle mit mindestens einem Symptom der entprechenden Systemorganklasse. (Quelle: Deutsches Ärzteblatt) 
Charakteristik der UAW-Verdachtsfälle: relative Häufigkeit der Fälle mit mindestens einem UAW-assoziierten Medikament der entsprechenden Arzneimittelgruppe. (Quelle: Deutsches Ärzteblatt)

Arzneimitteltherapiesicherheit: Forschung intensivieren

Dass im Bereich der Arzneimitteltherapiesicherheit Forschung Not tut, hat auch das Bundesgesundheitsministerium erkannt – damals noch unter Hermann Gröhe (CDU). Der Aktionsplan AMTS 2016-2019 sieht nicht nur den Medikationsplan für polypharmazeutische Patienten vor. Er weist auch explizit die beiden Punkte „Forschung im Bereich der Arzneimitteltherapiesicherheit“ und „Sensibilisierung von Patienten, Ärzten, Apothekern, Pflegenden und der Öffentlichkeit für vermeidbare Risiken der Arzneimitteltherapie“ aus.

Mehr zum Thema

Die Datenlage zu arzneimittelbedingten Krankenhausaufenthalten ist bislang überschaubar. Nach eigenen Aussagen der Studieninitiatoren ist diese A-priori-Untersuchung eine der größten systematischen Analysen hierzu in der Bundesrepublik. „UAW sind schwierig zu erkennen“, erklären sie. Es gelte, das Bewusstsein für arzneimittelbedingte Beschwerden zu schärfen. Hier leiste auch der im Oktober 2017 eingeführte Medikationsplan einen wichtigen Beitrag.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Initiative zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland

Medikationsfehler oft schwer zu erfassen

Schwere Hautreaktionen unter Antibiotika bei Senioren

Sulfonamide und Cephalosporine sind am gefährlichsten

Flurbiprofen bei Halsschmerzen

AMK warnt vor Dobendan Direkt & Co.

LETZTE CHANCE E-HEALTH-GESETZ

ABDA fordert Medikationspläne ab fünf

Medikationsplan als effektives Präventionsinstrument von arzneimittelbezogenen Problemen

Was weiß der Patient bei der Entlassung?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.