Interview

Was Apotheker ohne Grenzen auf ihren Einsätzen erleben

Berlin - 23.04.2018, 17:00 Uhr

Die Apotheke in dem Gesundheitszentrum eines Elendsviertels von Buenos Aires ist bescheidener ausgestattet, als eine deutsche Offizin. Apothekerin Dr. Carina Vetye ist seit 16 Jahren in Argentinien tätig und eng mit den Menschen vor Ort verbunden. (AoG)

Die Apotheke in dem Gesundheitszentrum eines Elendsviertels von Buenos Aires ist bescheidener ausgestattet, als eine deutsche Offizin. Apothekerin Dr. Carina Vetye ist seit 16 Jahren in Argentinien tätig und eng mit den Menschen vor Ort verbunden. (AoG)


Argentinien: Patienten kämpfen um ihre Apotheke

DAZ.online: Frau Vetye, Sie arbeiten schon seit 16 Jahren in Buenos Aires und verbringen mittlerweile die Hälfte Ihrer Zeit in Argentinien. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?

Carina Vetye: Ich habe in Argentinien an einer staatlichen Universität kostenlos studieren und promovieren dürfen. Man darf nicht nur nehmen, sondern muss auch zurückgeben! Es ist mir wichtig als Apothekerin für die Argentinier da zu sein, vor allem für diejenigen, die nicht so viel mitbekommen haben wie ich.

DAZ.online: Im „Gesundheitszentrum Nr. 16“ in Villa Zagala, Buenos Aires, befindet sich auch eine Apotheke. Wie sieht dort der Apothekenalltag aus?

Carina Vetye: Die Apotheke ist 14 Quadratmeter groß und dort arbeiten zwischen fünf und sechs argentinische Kolleginnen ehrenamtlich mit. Wir haben 100 bis 120 Wirkstoffe und Darreichungsformen an Lager und versorgen unter anderem 65 bis 75 Prozent der Chroniker in unserem Einzugsgebiet (rund 25.000 Menschen). Patienten mit Krankengeschichte im Gesundheitszentrum erhalten die verschriebenen Medikamente kostenlos, müssen dafür aber die geforderten Kontrollen einhalten.

Der Apothekenalltag ist hart und sehr anders als in Deutschland! Manchmal fallen Wasser oder Strom aus, der Gestank von Müll und Abflüssen kann sehr störend sein, man arbeitet im Winter bei 5 Grad am offenen Ausgabefenster, es regnet manchmal rein und es besteht immer das Risiko überfallen zu werden – die Patienten passen aber auf uns auf, sie riskieren selber viel für uns und kämpfen wortwörtlich für ihr Gesundheitspersonal!

DAZ.online: Bei Ihrem Projekt über Zahnhygiene haben Sie intensiv mit den so genannten Community Health Workers, die vor Ort die Gesundheitsversorgung leisten, zusammengearbeitet. Zusätzlich haben Sie auch Erzieher, Eltern und Kindern aufgeklärt. Weshalb ist bei der Entwicklungszusammenarbeit dieser ganzheitliche Ansatz so wichtig?

Carina Vetye: Gesundheit kann nicht in Stückchen geliefert werden. Wenn ein Familienvater kaputte Zähne, die Chagas-Krankheit und Typ-2-Diabetes hat, muss man alles berücksichtigen. Schwangere mit Gesundheitsproblemen bedeuten für das Neugeborene einen schlechten Start in ein Leben, das ohnehin schwer sein wird. Schlecht ernährte Kinder, bei denen weder der Eisenmangel behandelt noch Seh- oder Hörtests durchgeführt wurden, haben geringe Chancen, in der Schule gut weiterzukommen. Zahnschmerzen und -abszesse aufgrund von Karies bedeuten für die Kinder Millionen an verlorenen Unterrichtsstunden. Junge Erwachsene mit Zahnlücken im Frontbereich erhalten keinen Job und können nicht normal essen. So kommt man nicht aus der Armut raus! Wir AoG-Apothekerinnen arbeiten intensiv mit Allgemeinärztinnen, Kinderärztin, Zahnärztin, Frauenärztin, Hebamme, Sozialarbeiterin und Community Health Workerinnen zusammen: Nur im Team und mit langem Atem lässt sich etwas zum Besseren verändern.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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