Arzneimittelforschung

Welche neuartigen Opioide sind in der Pipeline?

Remagen - 24.04.2018, 11:25 Uhr

Nebenwirkungsarme Opioide - danach sucht die Industrie. DAZ.online stellt die Wirkstoffe vor, die in der Pipeline sind. (Foto: Imago)

Nebenwirkungsarme Opioide - danach sucht die Industrie. DAZ.online stellt die Wirkstoffe vor, die in der Pipeline sind. (Foto: Imago)


Opioide sind zwar potente Schmerzmittel, aber die Kehrseite der Medaille sind ihre schwerwiegenden Nebenwirkungen. Hinzu kommt die Toleranzentwicklung und damit die Gefahr von Überdosierungen mit lebensbedrohlichen oder gar tödlichen Folgen. Deshalb besteht ein dringender Bedarf an Wirkstoffen, die nebenwirkungsärmer und sicherer sind. Das britische Pharmaceutical Journal hat eine kleine Bestandsaufnahme veröffentlicht, die zeigt, welche neuartigen Opioid-Wirkstoffe derzeit erforscht werden.

Die Suche nach nebenwirkungsärmeren Opioiden hat bereits lange vor der derzeitigen „Opioid-Krise“, die sich vor allem in den USA abspielt, begonnen, allerdings mit mäßigen Erfolgen. Das Ziel besteht darin, die schmerzlindernde Wirkung zu maximieren und die gefährlichen unerwünschten Effekte sowie das Risiko der Abhängigkeit zu minimieren.

Neue Hoffnungen ruhen derzeit auf rund einem Dutzend neuartiger Wirkstoffe mit innovativen Strategien, die sich in verschiedenen Entwicklungsstufen befinden. Die britische Fachzeitschrift „Pharmaceutical Journal” hat hierzu eine informative Übersicht bekannt gemacht.

Strategie der „biased agonists“

Eine der am häufigsten diskutierten Strategien ist der Ansatz der „biased agonists". Hiermit ist die funktionelle Selektivität gemeint, das heißt, biologisch wirksame Substanzen (Wirkstoffe, Liganden) aktivieren nach der Bindung an einen Rezeptor bevorzugt einen von mehreren möglichen Signaltransduktionswegen. Laura Bohn, Pharmakologin am Scripps Research Institute in Jupiter, Florida, hatte das Konzept im Jahr 1999 nach Versuchen mit Mäusen vorgestellt, bei denen der intrazelluläre Signalweg über das Molekül β-arrestin2 ausgeschaltet war

Dieses spielt eine Rolle bei der Regulation des μ-Opioidrezeptors, über den die schmerzlindernde Wirkung von Morphin vermittelt wird. „Wir haben festgestellt, dass die analgetische Antwort ohne β-Arrestin2 verstärkt und verlängert war“, erläutert Bohn. „Außerdem gab es keine Toleranzentwicklung mehr“. Die Mäuse konnten chronisch mit Morphin behandeln werden und sprachen weiter darauf an. Außerdem hatten sie keine Atemdepression.“ Seitdem ist Bohn auf der Suche nach Wirkstoffen, die den analgetischen Pathway begünstigen, anstelle des β-Arrestin2-Pathways, der für viele Opioid-Nebenwirkungen verantwortlich zu sein scheint. Inzwischen hat sie bereits sechs verschiedene Piperidin-basierte μ-Rezeptoragonisten identifiziert, die eine gute analgetische Wirkung besitzen und weniger Atemprobleme machen.

Im letzten Jahr hat die Firma Trevena Pharmaceuticals bei der US Food and Drug Administration die Zulassung für den Wirkstoff Oliceridin beantragt, der auf dem „biased agonist“-Prinzip basiert. 

Alternativer Angriff am Kappa-Rezeptor

Die Wirkungen und unerwünschte Effekte der derzeit auf dem Markt befindlichen Opioide beruhen fast ausschließlich auf der Interaktion mit dem μ-Rezeptor. Eine andere Strategie, um zu nebenwirkungsärmeren Opioiden zu kommen, besteht darin, andere Opioidrezeptoren als Zielstruktur zu wählen, wie etwa die Kappa (ĸ)- und Delta (δ)-Rezeptoren, die verschiedene Pathways für die Schmerzlinderung bereit stellen. Die Strategie wurde schon in den 80er Jahren erstmals erforscht, aber „die ĸ-Story lief wirklich nicht gut“, wie Gavril Pasternak vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York es beschreibt. Die Wirkstoffe lösten unter anderem psychotische Wirkungen aus, weshalb man sie über viele Jahre hinweg nicht weiter verfolgte. Nun gibt es aber wieder neue Hoffnung für den potentiellen Schmerzwirkstoff Difelikefalin (Korsuva), der am ĸ-Rezeptor angreift. Bryan Roth, Pharmakologe an der University of North Carolina School of Medicine, untersucht einen weiteren Wirkstoffkandidaten (RB 64) mit einem „biased agonist“-Angriff am ĸ-Rezeptor, der die Effekte vorheriger ĸ-Agonisten auf die Stimmungslage verhindern soll.  

Subtypen des μ-Rezeptors als Angriffspunkt

Pasternak geht einen anderen Weg der selektiven Rezeptor-Aktivierung, und zwar durch den Fokus auf Subtypen des μ-Rezeptors (trunkierte Varianten). „Als wir uns Wirkstoffe anschauten, die so gut wie ausschließlich an diesen Subtypen angriffen, erwiesen sich diese als wirksame Analgetika“, sagt er. „Wir konnten Dosen verabreichen, die fünfmal so hoch waren, wie es für die Schmerzlinderung nötig gewesen wäre, ohne dabei eine Atemdepression zu sehen.“ Als hochpotent zeigte sich dabei das Naltrexon-Derivat IBNtxA (3-iodobenzoyl-6β-naltrexamide).

Nur in saurem Milieu wirksam

Einen eher lokalen Ansatz für die Opioid-Analgesie präferiert der Direktor Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Charite – Universitätsmedizin Berlin Christoph Stein. doi: 10.1126/science.aai8636 Er und seine Kollegen haben durch innovative Computersimulation ein Molekül entwickelt, das nur im entzündeten Umfeld aktiv ist. „Wir wissen, dass viele Arten von Gewebeschädigungen, die Schmerzen verursachen, durch azidotisches Gewebe charakterisiert sind,” erläutert Stein als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen

Im Gegensatz zu konventionellen Opioiden bindet und aktiviert der nun von dem Forscherteam entwickelte Prototyp N-(3-fluoro-1-phenethylpiperidin-4-yl)-N-phenylpropionamide (NFEPP)  Opioidrezeptoren ausschließlich in saurem Milieu und hemmt somit Schmerz nur im verletzten Gewebe. Er wurde an Ratten mit entzündeten Pfoten getestet und zeigte dabei selbst in hohen Dosen keine Sedierung, Atemdepression oder Verstopfung. 

Sind Opioide wirklich die richtige Antwort?

Es gibt zwar jede Menge Ideen für Opioid-basierte Wirkstoffe, aber eine perfekte Lösung ist nicht in Sicht. So lautet das Fazit der Tour d´Horizon im Pharmaceutical Journal. „Im Moment hat keine der Strategien irgendwelche Substanzen hervor gebracht, die keine Nebenwirkungen haben“, bringt Stein es auf den Punkt. „Und selbst wenn wir tatsächlich das perfekte Opioid finden, haben wir damit die Schmerzlinderung, die die Patienten brauchen?“ Hierzu verweist der Schmerzforscher aus Berlin auf die Ergebnisse des SPACE Randomized Clinical Trial, einer Studie, die erst im März dieses Jahres in JAMA publiziert wurde.

Sie hat gezeigt, dass Opioide bei den 240 Studienteilnehmern mit chronischen Rückenschmerzen oder Schmerzen durch Hüftgelenks-oder Kniearthrosen keine bessere Schmerzwirkung hatten als Nicht-Opioide. „Wir wissen, dass Opioide bei akuten Schmerzen sehr nützlich sein können, in anderen Worten bei Schmerzen durch Verletzungen, nach Operationen oder am Lebensende“, fügt der Pharmazeut und Schmerzspezialist Roger Knaggs von der Universität Nottingham an,“ aber bei länger anhaltenden Krankheiten wirken sie offenbar nicht.“

Pipeline neuer Opioide

Wirkstoff Zielstruktur Mechanismus Entwicklungsstufe
Olinvo (Oliceridin, TRV130) My (μ)-Opioidrezeptor Biased agonist Phase 3 beendet
6 Piperidin-basierter SR-Agonist μ-Opioidrezeptor Biased agonist Grundlagenforschung
(±)-N-(3-fluoro-1-Phenethylpiperidin-4-yl)-N-Phenylpropionamid, NFEPP μ-Opioidrezeptor Aktivierung des Rezeptors nur in saurem Milieu Grundlagenforschung
BMS-986122 μ-Opioidrezeptor Allosterische Modulation des μ- Opioidrezeptors Grundlagenforschung
BU08028 μ-Opioidrezeptor und Nociceptin (NOP) Rezeptor μ and NOP Rezeptor-Agonist Grundlagenforschung
IBNtxA (3-iodobenzoyl-6β-Naltrexamid), Naltrexon-Derivat Trunkierte μ-Rezeptoren Agonist für 6-transmembrane Varianten des μ Rezeptors Basic Research
Korsuva (CR845/Difelikefalin) Kappa (ĸ)- Opioidrezeptor Wirkung auf das periphere Nervensystem Phase 3
RB-64 und andere Verbindungen ĸ-Opioidrezeptor Biased agonist Grundlagenforschung


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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