Prozess gegen Zyto-Apotheker

„Peter S. hat sich als Mensch verändert“

Essen - 04.05.2018, 17:45 Uhr

Auf dem Zeugenstuhl nahmen am heutigen Freitag mehrere frühere Kollegen des Zyto-Apothekers Platz. (Foto: hfd)

Auf dem Zeugenstuhl nahmen am heutigen Freitag mehrere frühere Kollegen des Zyto-Apothekers Platz. (Foto: hfd)


Im Verfahren um mögliche Unterdosierungen ging es am heutigen Freitag vor dem Landgericht in Essen um die Psyche des angeklagten Apothekers: Mehrere frühere Kollegen wurden von einem Psychiater befragt. Eine Studienfreundin, die ihn als „total lieben jungen Kerl“ kennengelernt hatte, berichtet von zunehmender Hektik und irrationalen Entscheidungen – Geld spiele für ihn eine große Rolle. Unklar blieb, welche Rolle eine Kopfverletzung auf das Handeln des Apothekers hatte.

Nachdem die Verteidigung des Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. vor Gericht vorgebracht hatte, der wegen möglicher Unterdosierungen und Betrugs in Millionenhöhe angeklagte Pharmazeut leide womöglich an einem „hirnorganischen Psychosyndrom“, hatte das Landgericht Essen den Psychiater Björn Schiffer als Gutachter bestellt. Am heutigen Freitag lud das Gericht daraufhin mehrere frühere Kollegen von S., damit diese dem Gutachter Auskünfte über den Apotheker geben können. So die 54-jährige Apothekerin Christa S., die mit dem nicht mit ihr verwandten Apotheker in Düsseldorf studiert hatte.

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Während des Studiums sei sie mit ihm in einer „festen Clique“ gewesen. „Wir haben zusammen gelernt, haben zusammen im Labor gearbeitet“, sagte sie. Peter S. habe sie als „total lieben jungen Kerl“ kennengelernt. „Ich kann nichts Negatives sagen, nur positiv über ihn sprechen“, erklärte die Apothekerin. Auch nach Approbation habe sie noch ein paar Mal jährlich Kontakt gehabt, im Jahr 2007 wechselte sie in die Apotheke von Peter S.

Der Apotheker veränderte sich

Dort hat sie ihn dann wohl aber als einen anderen Menschen kennengelernt: „Er hat sich als Mensch verändert“, sagt Christa S., die weiterhin in der Apotheke tätig ist. Peter S. sei anders als zu Studienzeiten schneller gereizt gewesen. „Der Alltag war geprägt von mehr als hektischer Betriebsamkeit, ich würde sogar sagen von einem gehetzten Wesen“, erklärt sie. Der Apotheker habe aus ihrer Sicht „völlig unnachvollziehbare Entscheidungen“ getroffen: Sowohl im Beruflichen, wie etwa bei der Eröffnung einer Filialapotheke in Düsseldorf – wie auch im Privaten. Peter S. habe eine Frau kennengelernt und sie innerhalb kürzester Zeit geheiratet. Drei Monate später hätte es die kirchliche Hochzeit geben sollen, sagt die Apothekerin. Doch zuvor habe sich ihr Chef wieder scheiden lassen.

Sie beschrieb auch weitere Details zu einer Kopfverletzung, wegen derer der Apotheker Ende 2008 einige Wochen im Krankenhaus und anschließend in Reha gewesen sei. Sie habe ihn in der Klinik besucht und gesehen, dass ein Auge geschlossen gewesen und er nur mit einer Mundhälfte sprechen konnte – wie ein Schlaganfallpatient, sagte sie. Anschließend habe er langsam wieder angefangen, in der Apotheke zu arbeiten, aber teils starke Kopfschmerzen gehabt – und Medikamente auf seinem Schreibtisch. Einmal habe er sogar zu einer Infusion ins Krankenhaus gemusst, erklärte sie. Wie andere Zeugen sprach sie von erheblichen Problemen mit dem Geschmack und Geruch – beides sei womöglich sogar gänzlich ausgefallen.

Ehemalige Mitarbeiter sagen über den Menschen Peter S. aus

Oftmals sei S. impulsiv gewesen, erklärte die Zeugin. Unklar blieb jedoch, ob es Zusammenhänge mit dem Unfall gab. Der Apotheker sei manchmal auch über Kleinigkeiten übermäßig verärgert gewesen. Geld habe für ihn eine große Rolle gespielt. „Ist Geld nicht für jeden eine Motivation?“, relativierte sie jedoch auf Nachfrage eines Nebenklagevertreters. Er habe – anders als von anderen Zeugen geschildert – Straßenkleidung getragen, als sie ihren früheren Chef einmal im Reinraumlabor sah.

Wie auch zuvor spielte die Beziehung zu seinen Eltern – beides Apotheker – bei den heutigen Befragungen eine größere Rolle. Mehrere Zeugen sagten aus, diese seien für S. wohl die wichtigsten Bezugspersonen. „Einigermaßen entsetzt“ sei sie gewesen, dass der Apotheker einmal am Heiligabend nicht bei seinen Eltern gewesen sei, sagte Christa S. „Da habe ich gedacht, da ist etwas ganz schlimm im Argen.“

Bei Fehlern teils übertrieben reagiert

„Das Verhältnis war schon ziemlich intensiv – aber ich würde es jetzt nicht als positiv intensiv ansehen“, erklärte auch die 42-jährige PTA Stefanie M. Sie bestätigte frühere Aussagen, die Mutter sei „Herrscherin des Kellers“ gewesen und habe das dortige Warenlager regelmäßig sortiert – es habe eine Doppelhierarchie gegeben. Die 62-jährige PKA Theresa K., die 1971 in der Apotheke ihre Ausbildung begann und mit dem damals einjährigen Peter S. spielte und ihn teils betreute, bestätigte das enge Verhältnis. Auf die Frage, was die Motivation für sein Pharmaziestudium war, sagte sie: „Ich denke, seine Eltern.“

Sie beschrieb Peter S. als hilfsbereiten Menschen, der bei Problemen sehr oft geholfen habe. Doch habe er auch bei kleinen unabsichtlichen Fehlern teils übertrieben reagiert. „Wenn man etwas falsch gemacht hat, war er sehr ärgerlich“, erklärte sie vor Gericht. Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen, habe er nicht gehabt. „Er hat immer selbst bestimmt, was er macht“, erklärte die PKA. Er habe aber „schon darauf geachtet“, welche Folgen seine Handlungen für andere haben.

Große Durchsetzungskraft

Ihr Bruder, der Kaufmann Martin Porwoll, hatte die Ermittlungen gegen Peter S. mit ins Rollen gebracht: Nach langjährigen Gerüchten hatte er Ein- und Verkaufsmengen verschiedener Zytostatika ausgerechnet und teils erhebliche Differenzen bemerkt. Er kennt S. seit Kindergartentagen und fing Ende 2012 an, in der Apotheke zu arbeiten, anfangs in Teilzeit. Er habe einige wenige feste Freunde gehabt, sagte Porwoll – und sei nicht ein Partygänger gewesen.

Er habe seinen früheren Chef als jemanden erlebt, der sehr viel vor hat. „Es gab sehr viele Ziele, wir haben viele Projekte gehabt. Die sind stringent und mit einer großen Durchsetzungskraft durchgesetzt worden, auch gegen viele Widerstände“, erklärte Porwoll. Dies sei ihm positiv aufgefallen. S. habe sich immer wieder Dinge notiert, um sie nicht zu vergessen, doch sei dies im Rahmen des Üblichen gewesen. Über die Finanzen sei er jederzeit orientiert gewesen. „Es ging ja auch gar nicht anders“, erklärte Porwoll.

Die Vernehmungen dienen dem Psychiater Schiffer – neben einer Selbstauskunft des Apothekers – nun als Basis für sein Gutachten. Außerdem stellte die Verteidigung am heutigen Freitag einen Antrag, zahlreiche frühere Zeugen erneut zu laden, da ein erheblicher Teil der Strafakte vor Beginn der Hauptverhandlung im Internet einsehbar war. Hierzu läuft ein Ermittlungsverfahren gegen einen Journalisten, der womöglich die Akte online gestellt hat. Doch bislang haben alle hierzu befragten Zeugen ausgesagt, keine Kenntnis von den Unterlagen gehabt zu haben. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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