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Pro Generika-Chef Bretthauer über Rabattverträge
„Die AOK verstößt gegen die geübte wissenschaftliche Praxis“
Zwischen den Krankenkassen und der Pharmaindustrie flammt zurzeit die Diskussion um die Arzneimittel-Rabattverträge neu auf. Ursprung des Konfliktes sind Pressemitteilungen des AOK-Bundesverbandes und der AOK Baden-Württemberg. Die Kassen behaupten dort, dass sich die Versorgungsqualität mit den Rabattverträgen sogar verbessert hat. Im DAZ.online-Interview hält Bork Bretthauer, Chef des Branchenverbandes Pro Generika, nun dagegen. Bretthauer stört sich daran, dass die AOK keine richtige Studie veröffentlicht hat.
Die Diskussion rund um die Arzneimittel-Rabattverträge nimmt derzeit wieder Fahrt auf. Ende April veröffentlichten das beim AOK-Bundesverband angesiedelte Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und die AOK Baden-Württemberg Pressemitteilungen, in denen es um die Rabattverträge ging. Laut WIdO haben im Jahr 2016 85 Prozent der Patienten, die einen Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Auch die Marktkonzentration habe sich seit der Einführung der Verträge nicht verschlechtert, die Vielfalt sei sogar gewachsen, behauptet die AOK.
Hinzu kommt, dass die Bundesländer derzeit Druck machen: In der vergangenen Woche beschlossen die Chefs der Landesgesundheitsbehörden einen Antrag, nach dem die Bundesregierung prüfen soll, inwiefern der Kostendruck aus dem Rabattvertragssystem genommen werden könnte. Ein Vorschlag der Länder: Keine Rabattverträge mehr für lebenswichtige Arzneimittel.
DAZ.online hat beim Branchenverband Pro Generika nachgefragt. Geschäftsführer Bork Bretthauer hat geantwortet.
DAZ.online: Herr Bretthauer, das sind ja spannende Zahlen, die der AOK-Bundesverband veröffentlicht hat. Angeblich mindern die Rabattverträge sogar die Medikamentenwechsel in der Apotheke. Pro Generika und die Apotheker behaupten das Gegenteil. Wo liegt die Wahrheit?
Bretthauer: Zunächst einmal fällt es mir schwer, die Daten des WIdO und der AOK überhaupt zu kommentieren, weil die AOK darauf verzichtet hat, die gesamte zu Grunde liegende Studie zu veröffentlichen. Es gibt bekanntlich nichts weiter als eine Pressemitteilung. Aus unserer Sicht ist das ein Verstoß gegen geübte wissenschaftliche Praxis, Studien offenzulegen, damit die Fachöffentlichkeit sich ein eigenes Bild machen kann. Denn um sich mit den AOK-Argumenten wirklich gut auseinandersetzen zu können, braucht man nun einmal alle Daten.
DAZ.online: Trotzdem fällt ja auf, dass die AOK Ihnen in allen Punkten grundsätzlich widerspricht. Exklusivverträge kurbeln den Wettbewerb an, die Marktkonzentration ist niedrig und durch Rabattverträge wird die Therapietreue verbessert. Wie kommt die AOK aus Ihrer Sicht zu diesen Aussagen?
Bretthauer: Schon in den wenigen Fakten, die uns vorliegen, erkennen wir große Denkfehler. Es ist beispielsweise falsch, den Umsatz der Unternehmen als Bezugsgröße für die Versorgungssituation heranzuziehen. Der Umsatz sagt nichts darüber aus, wie die wirkliche Versorgungslage bei den einzelnen Wirkstoffen und in den einzelnen Therapiebereichen ist. Wenn man untersuchen will, inwiefern eine hohe Marktkonzentration negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hat, dann muss man analysieren, wie hoch der Versorgungsanteil der Unternehmen in einem konkreten Wirkstoffmarkt ist. Also muss man hier den Absatz als Bezugsgröße heranziehen.
Wie hoch ist die Marktkonzentration?
DAZ.online: Das WIdO hat die Marktkonzentration anhand des sogenannten Herfindahl-Hirschman-Index gemessen, der sich von 478 auf 298 reduziert habe. Akzeptieren Sie diesen Index als Rechengröße?
Bretthauer: Mit dem Index haben wir keine Probleme, er wird von den US-Kartellbehörden verwendet und auch wir verwenden ihn in unseren Analysen. Allerdings hat die AOK, so wie es oberflächlich aussieht, einige weitere gravierende Rechenfehler bei der Marktkonzentration gemacht.
DAZ.online: Die wären?
Bretthauer: Es sieht ganz danach aus, dass das WIdO die Marktkonzentration auf Basis der Einzelunternehmen im Markt berechnet hat. Das ergibt aber ein schiefes Bild. Denn es bleibt dabei völlig unberücksichtigt, dass einige Unternehmen zu ein und derselben Unternehmensgruppe gehören. Richtig wäre es daher für die Frage des Versorgungsgeschehens, eine Auswertung auf Ebene der Unternehmensgruppen vorzunehmen. Zudem hat die AOK offenbar den gesamten Generikamarkt als Grundlage herangezogen. Wegen der Engpässe im Rabattvertragssystem wäre es aber richtig gewesen, den Rabattvertragsmarkt zu analysieren. Außerdem gilt auch hier, dass die Versorgung von Wirkstoff zu Wirkstoff betrachtet werden sollte. Und dann stellt man rasch fest, dass die Marktkonzentration im Rabattvertragsmarkt sehr hoch ist – was ja auch logisch ist, weil das System der Rabattverträge zwingend darauf beruht (vor allem bei Einfachvergaben) die Mehrzahl der Unternehmen von der Versorgung ausschließen.
Bretthauer: Drei Firmen stellen alle Antibiotika her
DAZ.online: Warum?
Bretthauer: Wir sehen zum Beispiel, dass die Marktkonzentration im Antibiotika-Bereich extrem hoch und sehr viel höher ist als in anderen Therapiebereichen. Dort gibt es oft nur noch drei Unternehmensgruppen, die fast 100 Prozent der Versorgung sicherstellen müssen.
DAZ.online: Wollen Sie jetzt eigentlich – so wie es sich in der Branche ja eigentlich gehört – mit einer eigenen Studie zurückboxen?
Bretthauer: Wir sehen Auseinandersetzungen immer sportlich – sofern sie fair geführt werden. Wie gesagt, keiner kann im Moment nachvollziehen, was genau die AOK wie gerechnet hat. Deswegen haben wir auch von einer Kommentierung abgesehen. Erst kürzlich haben wir aber beispielsweise mit dem IGES-Institut untersucht, wie sich die Anzahl der im Markt aktiven Generika-Unternehmen in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Das IGES zeigt – und wir haben diese Studie natürlich veröffentlicht - dass die Zahl der Generika-Unternehmen, die nach dem Patentablauf neue Generika auf den Markt bringen, in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte geschrumpft ist. Das allein zeigt bereits, dass man als Kasse sicher nicht seriös argumentieren kann, dass „dank des Rabattsystems“ mehr Unternehmen als vor zehn Jahren an der Versorgung teilnähmen.
„Wir hören von den Apothekern, dass es bei Mehrfachverträgen weniger Probleme gibt"
DAZ.online: Haben Sie auch Zahlen, die die Medikamentenwechsel-Theorie der AOK widerlegen können?
Bretthauer: Nein, dazu haben wir keine Statistik. Allerdings sprechen wir darüber regelmäßig mit dem Deutschen Apothekerverband und hören immer wieder, dass es bei Rabattverträgen, die mehrfach ausgeschrieben wurden, weniger Engpässe und Umstellungen gibt. Die Fundamentalopposition der AOK gegen die Mehrfachvergabe ist daher bedauerlich – zumal alle an der Arzneimittelversorgung beteiligten Akteure: Generikaunternehmen, Apotheken und auch der Großhandel sich klar für die Mehrfachvergabe engagieren, um Engpässe möglichst von vornherein zu vermeiden.
1 Kommentar
"Geübte wissenschaftliche Praxis"?
von W. Adolf am 08.05.2018 um 10:16 Uhr
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