Prozess gegen Bottroper Apotheker 

„Blutgeld“ und fruchtlose Anzeigen im Zyto-Skandal

Essen - 09.05.2018, 17:55 Uhr

Am heutigen Freitag stand vor dem Landgericht  Essen der Ex-Mann einer PTA des Bottroper Zyto-Apothekers aus. (Foto. hfd)

Am heutigen Freitag stand vor dem Landgericht  Essen der Ex-Mann einer PTA des Bottroper Zyto-Apothekers aus. (Foto. hfd)


Vor dem Landgericht Essen sagte am Mittwoch der Ex-Mann einer PTA des Bottroper Zyto-Apothekers aus. Seine Frau habe erhebliche Summen schwarz bezahlt bekommen, sagt der Zeuge – und von schweren Regelverstößen gewusst. 2013 habe er nach einer Anzeige trotz Drucks von Beamten, es nicht zu tun, bereits Aussagen gemacht. Doch Ermittlungen wurden eingestellt. 

Am heutigen Mittwoch hörte das Landgericht Essen den 51-jährigen Mediengestalter Ralf U. als Zeugen. Seine frühere Frau Sonja C. war langjährige Zyto-PTA in der Bottroper Apotheke, schon vor 2009 – zu Zeiten der Mutter als Betreiberin – habe sie dort gearbeitet, berichtet U. Sie sei womöglich die Mitarbeiterin, die am längsten in der Zyto-Abteilung tätig war, während mehrere andere Kollegen teils schon nach Monaten wieder gegangen seien. 

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Vom ersten Arbeitstag an sei seine inzwischen geschiedene Frau über die Arbeitsweise des Zyto-Apothekers „nicht begeistert“ gewesen. Etwa beim Abendessen habe sie von „Ungereimtheiten“ erzählt – bei den eingekauften Warenmengen, auch seien Rückläufer umetikettiert worden. S. habe nach Aussagen seiner Frau morgens besonders früh angefangen, „damit es keiner mitkriegt“. Er habe „sehr unsauber“ gearbeitet und normale Kleidung statt Schutzkleidung getragen, erinnert sich der Zeuge an private Aussagen der PTA. „Das war katastrophal, ich mag mit dem Mann nicht in einem Labor arbeiten“, habe sie ihm sinngemäß gesagt. Seit S. die Apotheke übernommen hat, habe es die Probleme „durchgehend“ gegeben. 

Zuvor sei es noch anders gewesen: „Die Eltern scheinen das ordentlich geführt zu haben“, erklärt U. vor Gericht. Er habe gehofft, dass C. den Mut habe, auszusagen – doch als sie im Februar geladen war, verweigerte sie ihre Aussage, um sich nicht womöglich selbst zu belasten. „Sie hat dann irgendwann nicht mehr mit mir darüber gesprochen, weil sie meine Einstellung dazu kannte“, sagt der Zeuge, der im Gericht von „Blutgeld“ sprach. 

Bis zu 6000 Euro netto für die PTA

Gleichzeitig habe seine Frau auffällig gut verdient. Anfangs habe er dies noch als Honorierung für gute Leistung verstanden. „Irgendwann war es so viel, dass ich gesagt habe, das ist nicht normal – du wirst für etwas bezahlt, was nicht richtig ist“, sagt der Zeuge vor Gericht. Laut Arbeitsvertrag habe sie rund 1900 Euro netto verdient – doch regelmäßig das Zwei- bis Dreifache nach Hause gebracht, bis zu 6000 Euro. Vom ersten Tag an habe sie einen Dienstwagen zur freien Verfügung gehabt, anfangs einen VW Käfer, später einen VW Golf. Überstunden seien schwarz in bar ausgezahlt worden, sagt der Zeuge. Darüber hinaus habe es Kuverts mit bis zu 3000 Euro in bar gegeben, teils als „Dankeschön“ bezeichnet. Auch vor der Übernahme der Apotheke durch S. habe es Schwarzgeldzahlungen gegeben, die jedoch deutlich geringer ausgefallen seien. „Sie hat sehr viele Jahre sehr viel Geld verdient, und sie hat sich damit abgefunden“, sagt U. Die PTA habe dabei gewusst, dass Menschen Schaden nehmen könnten – aber nicht, was sie machen soll. 

Nach einer früheren Privatinsolvenz des Ehepaars und aufgrund von Schulden in sechsstelliger Höhe hatte sie offenbar auch Angst, ihre Stelle zu verlieren. Wie auch andere Eheleute von Mitarbeitern der Apotheke habe er vorgegeben, als Fahrer zu arbeiten – so seien Zahlungen kaschiert worden, die eigentlich an seine Ehefrau hätten gehen sollen. „Ich habe Quittungen unterschrieben, damit meine Frau das Geld bekam“, sagt er. U. habe als Hausmann auf die Kinder aufgepasst und habe die Haushaltskasse geführt – und das trotz hoher Ausgaben übrige Geld in Silber, Gold oder Aktien angelegt, wie er sagt. „Das Gehalt hätte ich nie erreichen können“, erklärt der Zeuge. 

Auch er sah lange zu. Dies änderte sich, als der zweifache Familienvater aufgrund einer Anzeige seiner Tochter für mehrere Jahre in Haft kam – seit damals hat er auch keinen Kontakt mehr zu der PTA, welche sich von ihm scheiden ließ. Er habe 2013 mit dem Kapitel abschließen wollen und deshalb mehrere Finanzämter angeschrieben sowie Strafanzeige erstattet. „Erst einmal wegen der finanziellen Geschichte, wegen dem Steuerbetrug – und weil wahrscheinlich Menschen zu Schaden gekommen sind.“

Keine frühere Anzeige, um seine Frau zu schützen 

Dabei hätte sich die Anzeige gegen die Apotheker und nicht gegen seine Frau gerichtet, sagt der Zeuge. Dem Finanzamt habe er von unversteuerten Zahlungen für Überstunden und bar ausgezahltem Urlaubs- und Weihnachtsgeld berichtet, wie auch über unzulässig abgerechnetes Kilometergeld, um nicht eine gemeinsame Steuererklärung unterschreiben zu müssen. Dabei verschwieg U. jedoch womöglich weitere Zahlungen, über die er nun vor Gericht berichtete. Doch die Finanzämter hätten nicht durchgegriffen – ein Finanzbeamter habe die Probleme als „Rezeptbetrug“ abgetan. Der Zeuge spricht von einem insgesamt zweistelligen Millionenbetrag, den der Apotheker nach seinen Abschätzungen über Jahre seinen Mitarbeitern schwarz ausbezahlt haben könnte. U. machte jedoch teils auch widersprüchliche Angaben – so bei Fragen zur Höhe der Zahlungen an seine Frau oder zur Frage, ob er mit einem Ermittlungsbeamten nur schriftlich oder auch telefonisch kommuniziert hat. 

Nachdem er sich zur Anzeige durchgerungen hatte, versuchten zwei Polizeibeamte ihn hiervon abzubringen, berichtet U.: Zu Anfang einer insgesamt zweistündigen Vernehmung hätten sie ihn eine halbe Stunde lang darüber informiert, was alles auf ihn zukommen könnte – Haftverlängerung inklusive. Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, keine Aussage zu machen. Auch da sich ein Beamter als Freund des Apothekers bezeichnet habe, mit dem er zusammen im Schützenverein sei – die Vorwürfe könnten „ja gar nicht sein“, habe der Beamte gesagt. Doch der Druck sei ihm egal gewesen. „Ich hatte keine Angst mehr vorm Gefängnis“, sagt U. 

Warum er nicht früher den Vorwurf von Unterdosierungen zur Anzeige gebracht habe, begründete der Zeuge auch damit, dass er seine Frau habe schützen wollen. „Das tut mir so leid, dass ich das nicht eher gemacht habe“, sagt Ralf U. unter Tränen in Richtung anwesender Nebenkläger. Die Ermittlungen wurden jedoch nicht lange nach seiner Vernehmung im Jahr 2013 eingestellt – offenbar unter anderem, da seine frühere Frau die Vorwürfe bestritt. Die Verteidigung stellte dem Zeugen am Mittwoch keine Fragen. Sie behielt sich aber vor, später eine Stellungnahme zu der Zeugenaussage abzugeben. In der kommenden Woche sollen neben Gutachtern zu Wirkstoffanalysen von Zytostatika auch Bekannte des Zyto-Apothekers gehört werden. Ein Psychiater soll sie befragen, um ein Gutachten zu möglichen psychischen Beeinträchtigungen von Peter S. zu erstellen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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