Flüchtlinge und Beipackzettel

Wie die AfD den Namen der Bundesapothekerkammer missbraucht

Berlin - 22.05.2018, 17:30 Uhr

Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)

Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)


Wie kommt die AfD zu solchen Äußerungen?

  • Selbst wenn man sich die eigentlichen Studien zu diesem Thema anschaut, wird klar, dass die AfD-Behauptungen schlichtweg falsch sind. Malsack-Winkelmann behauptet zwar richtigerweise, dass 14,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung funktionale Analphabeten sind – sie können also Einzelwörter lesen, verzweifeln aber schon an kurzen Sätzen bzw. längeren Textabschnitten. Dass zu diesem Bevölkerungsteil hauptsächlich Flüchtlinge gehören, ist aber nirgends erwähnt. Sogar das Gegenteil ist der Fall: So heißt es etwa auf der oben genannten Themenseite der Bundeszentrale für politische Bildung: „Wer nun glaubt, dass es sich bei den 14,5 Prozent der sehr gering literalisierten Personen (…) vornehmlich um Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte handelt, der irrt. Zwar ist der Anteil der mehrsprachigen Menschen im Vergleich zur Verteilung in der Gesamtbevölkerung überproportional, doch für die Mehrheit der Betroffenen (58 Prozent) ist Deutsch die Muttersprache." Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teils besorgt ist, was das Lerntempo der Zuwanderer in Sprachkursen betrifft. Medienberichten zufolge erreichen 80 Prozent der Kursteilnehmer nicht das Sprachniveau B1, das Jobcenter als Mindestanforderung heranziehen. Allerdings: Hier ging es aber um etwa 43.000 Kursteilnehmer im ersten Halbjahr 2017. Dass diese Menschen milliardenschwere Auswirkungen auf die deutsche Analphabeten-Quote oder die Gesundheitsausgaben haben, ist unwahrscheinlich.

  • Und auch was die Benennung der Kosten für das Gesundheitssystem betrifft, hat die AfD entweder schlecht recherchiert oder ganz bewusst falsche Behauptungen aufgestellt. Wie oben schon erwähnt, hat die Bundesapothekerkammer sich selbst nie mit den Auswirkungen des Analphabetismus auf die Volkswirtschaft befasst, schon gar nicht mit Blick auf Flüchtlinge und Beipackzettel. Bezüglich der Kosten hat sich die AfD wohl an einer Pressemitteilung der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2013 bedient. Dort heißt es: „Mangelnde Lesefähigkeit stellt die Betroffenen vor große Herausforderungen, ihren Alltag zu bewältigen und sich für einen Beruf zu qualifizieren. Das hat Folgen für die gesamte Gesellschaft: Hochgerechnet ist in den kommenden 10 Jahren mit 15 Milliarden Euro Folgekosten zu rechnen, wenn es nicht gelingt, niedrig qualifizierten Menschen Bildungschancen und Perspektiven zur Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben zu ermöglichen beziehungsweise zu erhalten.“ Auch in der oben genannten Darstellung von Prof. Marie-Luise Dierks aus Hannover wird diese Zahl genannt. Dass diese Mehrkosten auf analphabetische Flüchtlinge zurückgehen, davon ist dort keine Rede. Überhaupt werden die Mehrkosten nicht mit dem Gesundheitssystem verbunden. Vielmehr nennt die Stiftung Lesen die Branchen „Baugewerbe, Gastronomie und Gebäudereinigung“ als Wirtschaftszweige, in denen es die meisten funktionalen Analphabeten gibt.

Dass jährlich „zwischen 9 und 15 Milliarden Euro“ Mehrkosten entstehen, weil „Beipackzettel nicht gelesen werden können oder die Medikation nicht verstanden wird, sodass mehr Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte die Folge sind“, ist also eine These, die mit Blick auf die vorliegenden Fakten keinerlei Wahrheitsgehalt hat.

Auf Nachfrage im Büro Malsack-Winkemann dazu, wie man zu einer solchen Aussage kam, relativierte eine Mitarbeiterin die Behauptungen und kritisierte die Fragestellung von DAZ.online: „Eine gute Pressearbeit setzt voraus, dass die Berichterstattung sachlich und inhaltlich bezogen ist. Diese Fragestellung verdreht den Vortrag bis zur Unkenntlichkeit.“ Konkret stellt das Büro Malsack-Winkelmann in Frage, dass sich die AfD-Abgeordnete mit ihrer Rede nur auf Flüchtlinge bezogen habe. „Woraus meinen Sie aus der Formulierung ‚... 14,5 Prozent der erwachsenen  Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland sind Analphabeten; weitere 26 Prozent können nur fehlerhaft lesen und schreiben‘ erkennen zu können, dass dies die Gruppe der Geflüchteten darstellt?“

Schließlich weist das AfD-Büro auf das Wort „fraglich“ hin, das am Anfang des Redeabsatzes steht: „Sollte der tatsächlich in der Rede enthaltene einleitende Satz ‚Fraglich ist auch, welche Schäden dem Gesundheitssystem entstehen, weil ein großer Teil der Flüchtlinge Analphabeten sind?‘, bei Ihnen zu derartigen Schlussfolgerungen führen, so möchte ich gern anmerken, dass bereits das einleitende Wort ‚Fraglich‘ eben wortgemäß auf Unklarheit abstellt. Ihre Bezugnahme ist daher, es wird wiederholt, sachlich falsch.“

Die Bundesapothekerkammer wollte die Äußerungen der AfD-Politikerin und das Verwenden ihres Namens in diesem Kontext nicht weiter kommentieren.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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6 Kommentare

Wahrheiten oder Stimmungsmache?

von Heiko Barz am 23.05.2018 um 11:37 Uhr

Verehrter Herr Kollege Maertin, auch Sie sollten den Ball etwas flacher halten.
Welch einen Berg von Problemen uns die Flüchtlings-Ausländer in Zukunft noch bereiten, sehen Sie an den jüngst aufgetauchten vorerst ca. 5000 manipulierten und hauptsächlich aus Bremer Anwaltskanzleien kommenden Asylbewerber Anträge. Diese Daten, die aus der "Hochburg" Bremen über das BAfM bekannt wurden, bedeuten doch sicher nur die Spitze des Bundesweiten "Asylskandals"!
Die dadurch wachsende Unsicherheit unserer "gutwilligen" Bevölkerung ist dabei mehr als verständlich, wenn dort undefiniert Milliarden verschluckt werden. Werden dann auch noch solche intransparenten Betrugselemente, deren Umfang wir nicht einmal bewerten können, offenbar, dann kann ich den umsichgreifenden Mißmut verstehen.

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AW: Wahrheiten oder Stimmungsmache

von Felix Maertin am 23.05.2018 um 13:25 Uhr

Ich erinnere gerne an unseren Bottroper Apotheker. Auch nur die Spitze des Eisbergers, oder?
Bei solchen Äußerungen halte ich den Ball sicherlich nicht flach...

Und wie Sie das Versagen von Behörden mit den „Flüchtlings-Ausländern“ zusammenbringen ist mir auch ein Rätsel. Allein schon die Formulierung lässt tief blicken.

Übrigens empfehle ich unten stehenden Text erneut zu lesen, die Komplexität zu erfassen ist aufwendig und erfordert Empathie. Vor allem sollte sich ein jeder fragen, was sein Beitrag zu der Gesamtsituation ist. Der ist viel viel größer, als Sie meinen.

Grüße,

Felix Maertin

AW: Wahrheiten oder Stimmungsmache

von le D am 12.10.2018 um 20:29 Uhr

Hallo Heiko Barz,

ist es nicht erstaunlich, dass von den Vorwürfen am Ende so wenig übrig bliebt, dass das nichteinmal eine kleine Pressemeldung wert war?

Im Angesicht des IM "Ich stelle mich schützend" vor meine Mitarbeiter, wenn sie im Verfassungsschutz tätig sind, und der vernachlässigten Mitarbeiterin im BAMF, die vom IM nicht geschützt und komplett ignoriert wird, ziemlich bemerkenswert.

AFD und Bundesapothekerkammer

von Rumpelstilzchen am 22.05.2018 um 21:18 Uhr

Also mal schön die Füßchen stillhalten: dass die Flüchtlingskrise jährlich mindestens 22 Milliarden Euro kostet (mehr als die Hälfte des Bundeswehretats), die meisten der lieben Geflüchteten junge kräftige Männer aus dem Maghreb und Afrika sind und dort gebraucht werden, also weit weg von Syrien, und weitestgehend ungebildet sind, vielleicht arabisch und den Koran lesen können und wissen, dass unverschleierte Frauen ohne Kopftuch in deren Augen „Schlampen“ sind, ist der seriösen Tagespresse zu entnehmen. Ich bitte die liebe Apothekerkammer mal in Kliniken und Arztpraxen mitzuarbeiten, dann würden sie sich nicht mehr wundern was dort von den Flüchtlingspatienten alles missverstanden wird. Damit ist die Aussage der AFD - Politikerin, ob jetzt exakt richtig oder vielleicht doch ein bisschen falsch, eigentlich völlig belanglos! Also bitte mal nicht künstlich hyperventilieren ...

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AW: AFD und Bundesapothekerkammer

von Felix Maertin am 23.05.2018 um 8:41 Uhr

Sehr geehrter anonymer Schreiber,

wenn Sie hier schon Ihren einseitigen AFD-Sprech von sich geben müssen, dann doch bitte unter Klarnamen.
Und es wäre nicht vekehrt, wenn man die Komplexität solcher Zahlen korrekt darstellen würde. Sie sagen ja auch nicht, dass Ihre Apotheke 1 Millionen Euro jedes Jahr Verlust macht, ohne Ihre Umsätze zu berücksichtigen (einfaches Beispiel, um nicht zu überfordern).
Und um bei dem Beispiel zu bleiben: Urteilen Sie doch auch nicht (hoffe ich zumindest) über Kunden die z.B. eine Pille danach brauchen, ohne mit diesen über den komplexen Hintergrund Ihrer sozialen Strukturen und persönlichen Probleme gesprochen haben (und nein, das verlangt keiner, aber das Urteilen sollte damit auch unterbleiben).
Soll heißen: engagieren Sie sich in Flüchtlingsunterkünften und reden mit den Menschen dort, den jungen Afrikanern? Sie wären erstaunt, wie viel Sie noch lernen könnten.

Beste Grüße,

Felix Maertin

was ist schlimmer

von conny am 22.05.2018 um 18:01 Uhr

Tja, ich finde es ja persönlich schlimmer wenn man von Herrn Spahn und Herrn Hennrich im vernünftigen Ton verarscht wird.

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