Apothekenkonzern

Walgreens Boots Alliance droht Verlust der Schweizer Steueroase

München - 15.06.2018, 11:10 Uhr

Stefano Pessina und seinem Pharmahandelskonzern Walgreens Boots Alliance droht der Verlust von Steuerprivilegien in der Schweiz. (Foto: Imago)

Stefano Pessina und seinem Pharmahandelskonzern Walgreens Boots Alliance droht der Verlust von Steuerprivilegien in der Schweiz. (Foto: Imago)


Seit Jahren ist der Pharmagroßhandels- und Apothekenkonzern Walgreens Boots Alliance (WBA) – so wie andere Unternehmen auch – mit Tochterfirmen in der Schweiz ansässig. In der Hauptstadt Bern profitiert das Unternehmen bislang von einem attraktiven Steuerrabatt – nach eigenen Angaben betrug dieser allein 2017 über 140 Millionen Dollar. Doch die sogenannten „Tax Holidays“ laufen für den US-Konzern voraussichtlich im Herbst 2022 aus. Schweizer Politiker suchen bereits nach neuen finanziellen Anreizen, um WBA und andere ausländische Unternehmen zu halten.

Die Schweizer Hauptstadt Bern ist ein beschaulicher Ort: Die Stadt wirbt mit ihrem Münster, der mittelalterlichen Zytglogge, dem Bundeshaus und dem Bärenpark. Wer es etwas bewegter angehen lassen will, lässt sich auf der Aare schwimmend oder auf einem Gummireifen durch die Stadt treiben. Trotz aller Gemächlichkeit und Sehenswürdigkeiten hat Bern aber auch der Wirtschaft eine Menge zu bieten: Attraktive Steuersätze, die mehrere internationale Unternehmen bewogen haben, am Fuße der Schweizer Berge einen Ableger zu gründen. Eine dieser Adressen ist die Bogenschützenstrasse 9a. Im 8. und 9. Stockwerk residiert hier der weltweit tätige Pharmahandelskonzern Walgreens Boots Alliance, dessen Hauptsitz sich im Raum Chicago befindet. N

ach dem Wortlaut von Wirtschaftsauskunfteien widmet sich die Berner „Walgreens Boots Alliance Development GmbH“ (WBAD) dem Handel mit Medizinalgütern und Medikamenten. WBA selbst teilt auf Anfrage von DAZ online mit, dass WBAD sich mit rund 40 Mitarbeitern unter anderem um den internationalen Einkauf für verschiedene Konzerngesellschaften kümmert. Die lokale Zeitung „Der Bund“ will darüber hinaus wissen, dass der US-Konzern an dem Standort insgesamt sechs Tochterfirmen betreibt und auch Gewinne aus Großbritannien „und wohl auch anderen Ländern“ nach Bern fließen lässt.

Attraktive Steuerkonditionen in der Schweiz

Das lohnt sich, denn der Schweizer Staat und die Kommunen gewähren ausländischen Unternehmen attraktive Steuerkonditionen. Eine Spezialität sind die sogenannten „Tax Holidays“. Unter diesem Titel können Kantone oder Kommunen ausländischen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen Steuererleichterungen bis zu zehn Jahren gewähren, die zu einer Reduktion oder Befreiung von der Körperschaftssteuer führen. Wie WBA im Geschäftsbericht 2017 mitteilt, habe der Konzern dadurch allein im vergangenen Jahr 142 Millionen Dollar an Steuern gespart, 2016 seien es 116 Millionen Dollar gewesen, im Jahr davor 89 Millionen Dollar. Der Rabatt läuft für das Unternehmen nach eigenen Angaben voraussichtlich noch bis September 2022.

Natürlich haben auch andere Konzerne diesen attraktiven Steuerstandort für sich entdeckt. Nach Angaben des „Bund“ profitieren beziehungsweise profitierten unter anderem das Internet-Auktionshaus Ebay (bis 2016) und die Baumarktkette Bauhaus in Bern von millionenschweren Steuerrabatten des Fiskus.

Modell der Holdinggesellschaften

Die günstigen Steuersätze basieren bislang auf dem Schweizer Modell der Holding- und Domizilgesellschaften: Demnach profitieren Unternehmen, die in der Schweiz kein oder kaum ein operatives Geschäft betreiben, von besonders tiefen Gewinn- und Kapitalsteuersätzen. Nach Angaben von Steuerexperten wird bei diesem Modell eine Schweizer GmbH oder AG beziehungsweise die Niederlassung einer Auslandsgesellschaft gegründet, die im jeweiligen Kanton lediglich ihren Sitz hat und in der Schweiz nur eine Verwaltungstätigkeit, aber keine oder nur eine geringfügige Geschäftstätigkeit ausübt.

Allerdings wurde diese Steuerpraxis vor rund zwei Jahren angepasst. So sind die Steuererleichterungen seitdem gekoppelt an die Anzahl neuer Arbeitsplätze, die von den Unternehmen geschaffen werden. Zudem gilt die Praxis der „Tax Holidays“ nur für bestimmte Regionen. Nach einer Modellrechnung der Wirtschaftsberatung Deloitte könnte ein ausländisches Unternehmen, das eine Filiale in der Schweiz betreibt und 40 neue Arbeitsplätze schafft, einen üblicherweise zu versteuernden Gewinn von 160 Millionen Franken durch „Tax Holidays“ um über 91 Millionen Franken auf knapp 70 Millionen Franken senken. Das entspräche einer effektiven Steuerquote von lediglich 6,9 Prozent.

Schweiz muss Privilegien für Holdinggesellschaften abbauen

Mit solch traumhaften Niedrigsteuern könnte es in Zukunft vorbei sein. Denn um neuen internationalen Standards zu entsprechen und das Risiko von Sanktionen zu vermeiden, muss die Schweiz bis Ende des Jahres die Steuerprivilegien für ausländische Holdinggesellschaften komplett abschaffen. Laut Swissinfo.ch setzte die Europäische Union die Eidgenossenschaft im vergangenen Dezember auf eine „graue Liste“ von mehr als 20 Ländern, die sich verpflichtet haben, die neuen internationalen Standards zur Unternehmensbesteuerung bis Ende 2018 einzuhalten, aber noch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen haben. Diese von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgearbeiteten Standards verlangten unter anderem die Abschaffung als „schädlich“ geltender Steuerpraktiken und den Informationsaustausch über Tätigkeiten und Gewinne transnationaler Unternehmen.

Politiker wollen Konzerne im Land halten

Um die ausländischen Holdinggesellschaften angesichts der bevorstehenden Veränderungen im Schweizer Steuersystem weiterhin in der Alpenrepublik zu halten, setzen sich laut „Bund“ nun vor allem bürgerliche Politiker in der Schweiz dafür ein, die generellen Unternehmenssteuern zu senken. Die Diskussionen dürfte auch WBA mit Interesse verfolgen, gibt aber keinen Kommentar dazu ab, wie sich Veränderungen der Unternehmensbesteuerung auf den Konzern auswirken könnten.

Die heutigen Aktivitäten von WBA in der Schweiz gehen auf die britische Apothekenkette Alliance Boots zurück, die in Bern ihren Holdingsitz hatte. Als das Unternehmen 2014 mit dem US-Konzern Walgreens fusionierte, wurde die Schweizer Hauptstadt kurzzeitig sogar als Kandidatin für den Konzernsitz gehandelt, was letztlich aber am Druck aus der US-Politik scheiterte. Nach Medienberichten hätte ein solcher Schritt die amerikanischen Steuerzahler innerhalb von fünf Jahren rund vier Milliarden Dollar an Steuereinnahmen gekostet.

Konzernbaumeister Stefano Pessina

Architekt der Fusion von Walgreens und Alliance Boots ist der Italiener Stefano Pessina, der den Konzern heute als Vorstandschef leitet. Bereits 2013 hatte er maßgeblich daran mitgewirkt, dass Alliance Boots und Walgreens eine Partnerschaft mit AmerisourceBergen, einem der größten globalen Pharmaunternehmen, eingingen. Heute hält WBA rund 23,9 Prozent an dem Unternehmen. Im vergangenen Jahr brachte Pessina dann sein nächstes Megaprojekt unter Dach und Fach – die Übernahme von 1932 Geschäften, drei Distributionszentren und zugehörigem Inventar des US-Apothekenkonzerns Rite Aid Corporation für 4,4 Milliarden US-Dollar. Auch der ehemalige deutsche Pharmahändler Anzag (heute: Alliance Healthcare) ist eine Tochtergesellschaft von Walgreens Boots Alliance. Das Unternehmen betreibt hierzulande 25 Niederlassungen.

In der schieren Größe von WBA zeigt sich nach Angaben einer eigens für Pessina erstellten Webseite „das wahre Ausmaß der Vision von Stefano“: Walgreens Boots Alliance wird demnach gepriesen als ein weltweit führendes Unternehmen im Apotheken-, Gesundheits- und Wellness-Einzelhandel mit über 13.200 Geschäften in elf Ländern, als eines der größten globalen Pharma-Großhandels- und Vertriebsnetzwerke mit über 390 Distributionszentren, die jährlich mehr als 230.000 Apotheken, Ärzte, Gesundheitszentren und Krankenhäuser in 20 Ländern beliefern. WBA sei zudem einer der weltweit größten Abnehmer von verschreibungspflichtigen Medikamenten und vielen anderen Gesundheits- und Wellnessprodukten.

Pessina in mehreren Führungsgremien

Darüber hinaus sitzt Pessina in den Führungsgremien mehrerer privater Unternehmen. So ist er seit vielen Jahren auch Verwaltungsrat der Schweizer Apothekenkette Galenica, die er durch die Übernahme von 25 Prozent der Anteile – zusammen mit der Investmentgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts (KKR) – einst aufgebaut und geleitet hatte. Mittlerweile hat er seinen Anteil an Galenica wieder reduziert.

In den vergangenen Jahren musste sich Pessina allerdings auch unangenehme Fragen gefallen lassen. So tauchte sein Name in den sogenannten Panama Papers auf, die zahllose Offshore-Firmen in Steuerparadiesen und deren Initiatoren beziehungsweise Hintermänner offenlegten. Das internationale Konsortium investigativer Journalisten ordnete Pessina mehrere Firmen mit Sitz in Steuerparadiesen wie den British Virgin Islands oder Malta zu. Eines dieser Unternehmen trug demnach den Namen „Farniente Holding“, was im Deutschen so viel bedeutet wie „Nichtstun-Holding“. Wie DAZ online bereits im Mai 2016 berichtete, gab es auf den Namen Stefano Pessina insgesamt zehn Einträge mit zwölf verschiedenen Firmen in der Panama-Papers-Datenbank. Auf Nachfrage von DAZ.online teilte der Unternehmer damals mit, dass er acht dieser Unternehmen nicht kenne, während vier Firmen auf seinen Namen laufen würden.

Da ist der Standort Bern ungeachtet seiner steuerlichen Attraktivität wesentlich unverdächtiger. Auch wenn die Schweiz die Unternehmensbesteuerung nun ändern wird, will Pessina mit WBA in der eidgenössischen Hauptstadt bleiben. Gegenüber DAZ.online teilte das Unternehmen mit: „Wir haben keine Pläne, den Standort unserer Berner Aktivitäten zu verändern.“



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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