Sondersitzung im Brandenburger Landtag

Lunapharm-Affäre: Wurden Informationen vorsätzlich unterschlagen?

Berlin - 25.07.2018, 15:30 Uhr

Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) musste sich heute mit dem LAVG-Präsidenten Detlev Mohr vor dem Gesundheitsausschuss im Landtag verantworten. (s / Foto: Imago)

Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) musste sich heute mit dem LAVG-Präsidenten Detlev Mohr vor dem Gesundheitsausschuss im Landtag verantworten. (s / Foto: Imago)


Im Skandal um die mutmaßlich gestohlenen Krebsmedikamente hat die Brandenburger Arzneimittelaufischt offenbar versagt. Auf der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses räumten Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) und der Präsident des Landesamtes für Gesundheit, Dr. Detlev Mohr, schwere Versäumnisse und Regelverstöße ein. Die Opposition wirft dem Ministerium und der Aufsichtsbehörde Kontrollverlust vor. Die Ministerin möchte außerdem auf der Gesundheitsministerkonferenz über Reimporte sprechen.  

Welche Behördenmitarbeiter wussten im Vorfeld über die mutmaßlich gestohlenen Krebsarzneimittel aus Griechenland? Wie viele Patienten haben die Medikamente erhalten, deren Qualität durch unsachgemäße Lagerung beeinträchtigt sein könnte? Und welche Maßnahmen ergreifen das Brandenburger Gesundheitsministerium und das zuständige Landesamt, um Vorfälle wie den Lunapharm-Skandal in Zukunft zu verhindern?

Diesen Fragen mussten sich Landesgesundheitsministerin Diana Golze (Linke) und der Präsident des Landesamts für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) Detlev Mohr auf der Sondersitzung des Brandenburger Gesundheitsausschusses am heutigen Mittwoch stellen. Neben den Landtagsabgeordneten waren als Gäste auch Vertreter des Justizministeriums sowie Oberstaatsanwalt Heinrich Junker von der Staatsanwaltschaft Potsdam anwesend. Ebenfalls geladen aber aufgrund der Kurzfristigkeit des Termins nicht erschienen, waren Professor Martin Schulz (AMK) und Professor Wolf-Dieter Ludwig (AkdÄ). Beide Sachverständige unterstützen derzeit im Rahmen einer Task Force das Ministerium bei der Aufklärung des Medikamentenskandals.

Golze will Behörden „auf den Kopf“ stellen

Gesundheitsministerin Golze entschuldigte sich auf der heutigen Sitzung erneut für die Versäumnisse der Arzneimittelaufsicht und kündigte an, die Kommunikationsprozesse ihres Ministeriums sowie die Schnittstellen zum nachgeordneten LAVG auf den „Kopf“ zu stellen. „Auch mich beschäftigt, wie das passieren konnte“, betonte die Linken-Politikerin. Sie erklärte, sie wolle der Frage nachgehen, ob es sich bei den Versäumnissen um Fehleinschätzungen gehandelt habe oder ob Informationen vorsätzlich zurückgehalten wurden.

Gegen zwei Mitarbeiter des LAVG sei bereits Strafanzeige gestellt worden. Einer der beiden habe im vergangenen Jahr im Referat Arzneimittel im Brandenburger Gesundheitsministerium gearbeitet. Mehrere Ministeriums- und Landesamts-Mitarbeiter würden derzeit aus dem Urlaub oder Elternzeit zu Gesprächen ins Ministerium bestellt. Die Vorfälle hätten zu Unruhe in ihrer Behörde geführt. Für den morgigen Donnerstag hat die Ministerin eine Personalversammlung einberufen. „Ich habe nach wie vor Vertrauen zu meinen 800 Mitarbeitern. So etwas darf sich nie wieder wiederholen“, betonte Golze.

Golze will über Reimportquote sprechen

Zusätzlich zu internen Maßnahmen möchte die Ministerin über die Reimportquote  diskutieren. „Beim Thema Reimporte müssen wir mit den Kollegen der Gesundheitsministerkonferenz sprechen, welche Schlussfolgerungen auf bundespolitischer Ebene gezogen werden müssen."

Denn auch wenn sich das Brandenburger Landesamt pro Jahr mit etwa 30 Rückrufen und Warnmeldungen zu Arzneimitteln befassen müsse, sei die Lunapharm-Affäre ein besonderer Fall, da hier offensichtlich kriminelle Energien vorlägen. Und von diesen habe zumindest derjenige Mitarbeiter beim Landesamt gewusst, dem das Landeskriminalamt (LKA) am 7. März 2017 das Amtshilfeersuchen ausgehändigt hatte. „Das passiert nicht alle Tage“, versicherte Golze.

LAVG-Chef zeigt zwei eigene Mitarbeiter an

Von diesem Amtshilfeersuchen will LAVG-Präsident Mohr vor anderthalb Jahren noch nichts gewusst haben. Von dem Diebstahlsverdacht habe er erst durch die Sendung des Magazins ARD-Kontraste erfahren. In seinem Landesamt gebe es strikte Vorschriften, wie bei Verdacht auf Arzneimitteldiebstahl oder -fälschung verfahren werden müsse. So habe das Landesamt umgehend eine anlassbezogene Inspektion durchgeführt, dem Händler die Betriebserlaubnis entzogen, die im Lager befindlichen Medikamente unter Quarantäne gestellt und die Arzneimittel aus dem Handel zurückgerufen. Eben diese Maßnahmen, die das Ministerium vergangene Woche – anderthalb Jahre zu spät – in die Wege geleitet hatte.

Doch nicht nur das Amtshilfeersuchen ging am LAVG-Chef vorbei, sondern auch, dass am 5. April 2017 eine LAVG-Mitarbeiterin von LKA-Beamten verhört wurde. Und zwar diejenige, die zuvor bei Lunapharm eine Inspektion durchgeführt hatte, angeblich weil der Händler Ware aus einer griechischen Apotheke ohne Exporterlaubnis bezogen hätte. „Von Diebstahl war seinerzeit nicht die Rede“, betonte Mohr. „Offenbar wurden mir Informationen vorenthalten.“ Die Staatsanwaltschaft Neuruppin überprüfe gerade, ob die damalige Inspektorin sowie der andere angezeigte Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt haben.

Kontrollverlust und „Missmanagement“

Die heutige Sondersitzung fand auf Antrag des gesundheitspolitischen Sprechers der CDU, Raik Nowka, und der Vize-Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Ursula Nonnemacher, statt. Beide erhoben schwere Vorwürfe gegen die beiden Behörden.  „Wir erleben heute die Aufarbeitung des wahrscheinlich bisher größten Medikamentenskandals im Land Brandenburg. Wir müssen davon ausgehen, dass bisher tausenden Patienten die Chance auf Heilung entzogen wurde“, erklärte der CDU-Gesundheitspolitiker.

Nonnemacher beklagte, dass bei der Sitzung kein pharmazeutischer oder medizinischer Experte anwesend sei, um das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung zu beurteilen. Die Grünen-Politikerin kritisierte die Strukturen in der Arzneimittelaufsicht: „Es kann doch nicht sein, dass ein Rechtshilfeersuchen bei einer einfachen Sachbearbeiterin landet.“

Auch Vertreter der Linken, SPD und AfD monierten, dass Golze und Mohr ihre Mitarbeiter offenbar nicht unter Kontrolle gehabt hätten. Jeder LAVG-Mitarbeiter hätte den durch das LKA übermittelten Verdacht an den damaligen Dezernatsleiter, dieser an die Abteilungsleiterin, diese an den Präsidenten Mohr und dieser wiederum an Ministerin Golze weitergeben müssen. Außerdem wurde kritisiert, dass das LKA einfache Mitarbeiter und nicht die Behördenleitung befragt habe. Dies sei im ersten Schritt nicht unüblich, da man sich noch auf der Arbeitsebene befinde, erklärte dazu Oberstaatsanwalt Junker. Die befragte LAVG-Mitarbeiterin sei Fachfrau und habe Lunapharm inspiziert, erläuterte er die Amtspraxis.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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