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Bringt die Hitze die ABDA und ihren Präsidenten auf Betriebstemperatur? Schlag auf Schlag poppen Statements im Newsroom und in den Medien auf: ABDA-Lob für Apotheken wegen guter Valsartan-Rückrufarbeit; zu viele Risiken durch Importe – sie müssen endlich weg; viele Probleme durch grenzüberschreitende Deregulierung und Liberalisierung – die Politik muss endlich handeln. Und während so manches europäische Land die Arzneiversorgung für Patienten mit Liberalisierung schneller, bequemer und billiger machen will, schreitet die Deregulierung fort. Und Spahn schickt die Ärzte im Bus übers Land.
23. Juli 2018
Alles soll umfassend und schonungslos aufgeklärt werden – ein Standardsatz dieser Tage, man kann ihn schon fast nicht mehr hören oder lesen. Umfassend. Schonungslos. Aufklären. In der großen Politik genauso wie in der kleinen. Warum muss es soweit erst kommen? Und es zieht sich durch alle Sparten, von den Betrügereien der Autoindustrie über die Flüchtlingspolitik und das BAMF bis hin zu den jüngsten Arzneimittelskandalen mit Valsartan und Lunapharm. Und oft sind es Behörden, die nicht genau hingeguckt, geschlampt oder versagt haben. Manchmal, mein liebes Tagebuch, liegt es auch am System, wie beispielsweise beim Valsartan-Skandal. Zur umfassenden und schonungslosen Aufklärung würde es gehören, dass die Politik selbst die Frage beantwortet, was dazu geführt hat, dass Arzneimittelhersteller nicht mehr in Deutschland produzieren, sondern in China und Indien produzieren lassen. Oder bei den geklauten griechischen Krebsarzneimitteln: Ist es richtig, dass Zwischen- und Unterhändler einen Spothandel mit ausländischen Arzneimitteln betreiben dürfen? Was auch zur Frage führt: Ist es richtig, dass wir Importarzneimittel für unsere Inlandsversorgung tolerieren und sogar gesetzlich fördern? Auftrag an die Politik: Schaut das mal umfassend und schonungslos an, erkennt Zusammenhänge! Werft mal ein Auge auf eure Behörden – und handelt endlich!
24. Juli 2018
Er ist zufrieden, unser ABDA-Präsident, damit, wie der Valsartan-Rückruf verlaufen ist: „Dieser Rückruffall ist im Vergleich auch sehr gut, sehr eindeutig und sehr schnell verlaufen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so“, sagt Friedemann Schmidt im Gespräch mit der Leipziger Volkszeitung. Mit welchem anderen Rückruffall er ihn vergleicht, sagt er zwar nicht, aber immerhin gut, eindeutig und schnell ist er verlaufen. Mein liebes Tagebuch, er meint natürlich nur unseren Einsatz in den Apotheken, und der klappte wirklich ratzfatz. Aber das ist schließlich unser Job, das muss so laufen. Insofern ein nettes Eigenlob. Allerdings hakte es auf anderen Ebenen, etwa bei den Infos aus dem BfArM, die Konfusion bei manchen Herstellern, die Unklarheiten, wo und wie lange die belasteten Chargen überhaupt verarbeitet wurden, dann die mangelnde Information der Ärzte, die zwar ihren Patienten etwas raten sollten – weiter einnehmen, absetzen oder umstellen –, aber keine Grundlagen für eine Entscheidung hatten, und nicht zuletzt die widersprüchlichen Infos in der Tagespresse. Aber dies alles trifft nicht die Apotheker und insofern, ja, bei uns ist’s gut gelaufen. Was der Präsident der Leipziger Volkszeitung in diesem Gespräch auch sagt: Die Hersteller konnten nicht sofort sagen, ob ihre Ware betroffen ist, weil Wirkstoffe auch oft über Zwischenhändler bezogen werden. Das vorhandene Valsartan wird nicht ausreichen, alle Patienten umzustellen. Die wenigen europäischen Produktionsstätten werden nicht so schnell liefern können – da ist Schmidt zurecht nicht sehr optimistisch. Auf diesem Gebiet habe man heute fast schon eine Monopolsituation, „das ist keine gute Entwicklung“, so Schmidt. Und er rechnet mit weiteren Rückrufen dieser Art, weil die Qualitätsprobleme mit Arzneimitteln größer werden, letztlich eine Folge des Preisdrucks. Der ABDA-Präsident: „Wir haben mittlerweile eine Menge Wirkstoffe in Deutschland, bei denen die Krankenkassen im Cent-Bereich pro Tablette bezahlen. Das ist sehr, sehr wenig und hat auch negative Auswirkungen auf die Qualität.“ So ist es, mein liebes Tagebuch. Alles richtig. Und wenn solche Statements nicht nur auf Einladung und Nachfrage der Leipziger Volkszeitung zustande kämen, sondern von der ABDA selbst und eigeninitiativ mal in die Welt gesandt würden, hätten wir eine aktive Standespolitik.
Übrigens, mein liebes Tagebuch, von wegen alles halb so schlimm. Mittlerweile gibt es Untersuchungsergebnisse aus dem Zentrallaboratorium der Deutschen Apotheker und eine vorläufige Stellungnahme der Arzneimittelkommission zum toxikologischen Risiko der NDMA-Verunreinigungen. Das Risiko der Einnahme der verunreinigten Valsartan-Präparate ist besorgniserregend hoch, eine weitere Exposition ist unbedingt zu vermeiden. Dank an die Arbeit des ZL! Mein liebes Tagebuch, ob das in der Politik und bei Krankenkassen einen Umdenkungsprozess einleitet? Ich bin mir da immer noch nicht sicher. Es wird noch schlimmer kommen müssen.
Unser lieber Herr Spahn, ein Wirbelwind. Nach dem Motto „Nicht nur reden, sondern handeln“ hat er flugs sein „Terminservice-und Versorgungsgesetz“ (TSVG) auf den Weg gebracht, als Omnibusgesetz. Das heißt, er hat dem Gesetzentwurf noch ein paar andere Regelungen huckepack mit drauf gesetzt. Gut möglich, dass er dabei den Omnibus zu wörtlich genommen hat: Den Kassenärztlichen Vereinigungen will er u. a. die Möglichkeit geben, mobile Praxen und Patientenbusse durch die Gegend zu schicken. Mein liebes Tagebuch, sie blitzen immer wieder auf, die Busse. Hat Spahn die Idee von seinem DocMorris-Freund übernommen? Oder stehen Busse schlechthin für Flexibilität, Mobilität und gehören sie zu der Universallösung von Politikern gegen die Unterversorgung auf dem Land? Wir wissen es nicht. Fakt ist, die Idee treibt sie um. Und wenn wir nicht wollen, dass schon bald Flotten von Apothekerbussen durchs Land rollen sollen, dann sollte sich unsere Standespolitik mal genauso flugs Gedanken dazu machen, wie man den Botendienst der Apotheke besser und flexibler aufstellt (weg mit dem alten Zopf des „begründeten Einzelfalls“), wie man Fragen der Rezeptsammelstellen besser regelt und wie man telepharmazeutische Angebote salonfähig macht.
Spahn hat seinem TSVG aber auch Regelungen mit auf den Weg gegeben, die uns Apothekers unmittelbar angehen. So soll beispielsweise das Großhandelsfixum von 70 Cent nicht für Rabatte freigegeben werden. Was Spahn bei seinem Omnibusgesetz vergessen hat: das Rx-Versandverbot! Na sowas, mein liebes Tagebuch, wie kann er nur! Das wäre die Gelegenheit gewesen, wenn er’s ernst gemeint hätte. Ach ja, das Omnibusgesetz wäre auch eine tolle Gelegenheit gewesen, die Importquote abzuschaffen. Hoffen wir, dass dieser Bus noch nicht abgefahren ist.
25. Juli 2018
Wäre da nichts von der ABDA gekommen, wir hätten Grund zur Verzweiflung gehabt. So sehen wir, es gibt noch Hoffnung, denn unsere Standespolitik hat die Steilvorlage genutzt: Anlässlich des Lunapharm-Skandals um die gestohlenen griechischen Krebsmedikamente fordert die ABDA die sofortige Streichung der verpflichtenden Importquote für rezeptpflichtige Arzneimittel aus dem Ausland. Sie hat sich an den passenden Beschluss vom letzten Apothekertag erinnert. Der, das unterstreicht Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands, macht deutlich, dass die Importquote ein überholtes Kostendämpfungsinstrument ist, dass Chargenrückrufe bei Importen keine Einzelfälle sind und Importe und ihre Lieferketten viele Risiken bergen. Den AOK-Chef Hermann hat Becker schon – selten genug – auf seiner Seite. Hermann erklärte erneut, dass er die Abschaffung der Reimportquote vehement einfordere. Und er legt sich mit den Reimporteuren an. So hält er es z. B. nicht für ausgeschlossen, dass es aufgrund der Exporte in anderen europäischen Ländern dort zu Lieferengpässen kommt und Importe ein Einfallstor für Fälschungen sind: die Importquote, ein Bürokratiemonster“. Jawoll. Und wenn Hermann und Becker jetzt noch Jens Spahn davon überzeugen können, haben sie alles richtig gemacht.
26. Juli 2018
Ibu, Hydrocortison, Doxylamin und Dihydrocodein: demnächst möglicherweise in Drogeriemärkten, ohne Beratung, zur Selbstbedienung – in der Schweiz. Ein Großteil der im Alpenland rezeptfreien, aber apothekenpflichtigen Arzneimittel soll dann in Drogerien frei zugänglich sein, weitere Produkte, die bisher nur mit Beratung abgegeben werden durften, sollen bald sogar überall im Einzelhandel zu kaufen sein. Apothekerverbände warnen zwar davor und ringen um Arzneimittelsicherheit, aber die Marktkräfte, allen voran das größte schweizerische Einzelhandelsunternehmen Migros, kämpfen um Liberalisierung und ein Stück vom Arzneikuchen. Ende August soll die Entscheidung fallen. Mein liebes Tagebuch, es steht nicht gut um die Arzneisicherheit in der Schweiz.
27. Juli 2018
Auch Litauen liberalisiert den Arzneimittelmarkt: Das Parlament hat bereits eine Gesetzesänderung verabschiedet, die es erlaubt, OTC-Arzneimittel auch außerhalb von Apotheken zu verkaufen. An den Handel mit den OTCs sollen zwar bestimmte Anforderungen gestellt werden und das Sortiment soll begrenzt werden, aber was heißt das schon. Und ein ebenso fatales Signal geht von Litauen aus: Rx-Arzneimittel dürfen ab Ende 2019 online bestellt werden. Mein liebes Tagebuch, während wir in Deutschland mehr oder weniger verbissen für ein Rx-Versandverbot kämpfen, gibt Litauen aktiv den Rx-Versandhandel frei. Bequemer, schneller und billiger soll es für die Patienten im Balten-Staat werden. Und die Arzneimittelsicherheit bleibt auf der Strecke. Was bedeuten diese Liberalisierungswellen der Schweiz und von Litauen für Europa? Für Deutschland? Sieht alles nicht gut aus.
Schmidt legt nach. Sein Interview mit der Leipziger Volkszeitung über gestohlene Arzneimittel, Valsartan-Verunreinigungen, Lieferengpässe war dem ABDA-Präsidenten offensichtlich auch zu wenig. In einem ABDA-PR-Video aus dem ABDA-Newsroom sorgt er sich nun darum, dass das Vertrauen der Patienten in ihre Arzneimittel sinke. Er macht deutlich, dass die Ursachen für viele Probleme in der grenzüberschreitenden Deregulierung und Liberalisierung liegen: Bei den billigen Generika gibt es Qualitätsprobleme, bei den hochpreisigen Arzneimitteln Anreize für kriminelles Handeln. Für Schmidt gibt es zwei Wege, wie man aus diesen Fehlentwicklungen herauskommt: Die Politik müsse das Gleichgewicht der Arzneimittelpreise wieder herstellen und die Fehlanreize am oberen oder unteren Ende des Preisspektrums beseitigen oder zumindest abmildern. Werden dagegen Deregulierung und Preiswettbewerb fortgesetzt, müsste die Politik die Aufsicht massiv verstärken, bis hin zu Kontrollen in allen Produktionsstufen. Das dürfte teuer werden für die Aufsichtsbehörden. Für Apotheken bedeutet das alles: „Eine sichere Arzneimittelversorgung ist auf Dauer nicht zum Schnäppchenpreis zu haben“, sagt Schmidt. Das müsse auch der Politik und den Krankenkassen klar sein. Derzeit versuchten die Apotheken, die Fehlentwicklungen und Schäden anderer mit viel Engagement und großem Aufwand auszubügeln. Schmidt: „So kann das nicht bleiben.“ Richtig, mein liebes Tagebuch, gut gebrüllt Löwe! Und jetzt? Wie geht’s weiter? Welche Strategie, welche Pläne gibt es? Ein Video-Statement wird da nicht genügen.
19 Kommentare
Hmhm
von Peter Lahr am 30.07.2018 um 10:20 Uhr
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Pararealitäten.
von Reinhard Rodiger am 29.07.2018 um 15:18 Uhr
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Fakten zählen ...
von Reinhard Herzog am 29.07.2018 um 14:14 Uhr
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AW: Fakten zählen
von Wolfgang Müller am 29.07.2018 um 14:50 Uhr
Was ist eigentlich noch Arzneimittelsicherheit?
von Heiko Barz am 29.07.2018 um 12:06 Uhr
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AW: Aus niedrigstpreisigen Rabattpresslingen zusammengepanscht
von Bernd Jas am 29.07.2018 um 16:08 Uhr
Valsartan
von Wagner, Ralf am 29.07.2018 um 11:39 Uhr
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Die drei Affen in Schockstarre?
von Wolfgang Müller am 29.07.2018 um 10:57 Uhr
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AW: Die drei Affen in Schockstarre
von Reinhard Rodiger am 29.07.2018 um 13:17 Uhr
AW: Alle Affen in Schockstarre
von Bernd Jas am 29.07.2018 um 15:55 Uhr
PR
von Dr.Diefenbach am 29.07.2018 um 10:49 Uhr
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AW: PR
von Peter Ditzel am 29.07.2018 um 12:40 Uhr
Anzeichen von Heldentum...?
von Gunnar Müller, Detmold am 29.07.2018 um 9:16 Uhr
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Heiße Temperaturen
von Peter Ditzel am 29.07.2018 um 9:02 Uhr
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Schönes Wetter
von Ulrich Ströh am 29.07.2018 um 8:56 Uhr
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AW: Schönes Wetter
von Wolfgang Müller am 29.07.2018 um 12:10 Uhr
AW: Schönes Wetter
von Bernd Jas am 29.07.2018 um 15:23 Uhr
AW: Schönes Wetter
von Wolfgang Müller am 29.07.2018 um 16:35 Uhr
AW: Und die Sonne schien ins Wasser
von Bernd Jas am 29.07.2018 um 18:37 Uhr
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