Statement des EDQM zur Valsartan-Affäre

Ist der Herstellungsprozess von Arzneimitteln wirklich eine „Blackbox“?

Berlin - 10.08.2018, 10:20 Uhr

Das European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare (EDQM) wehrt sich gegenüber DAZ.online gegen die Vorwürfe, das Zulassungs- und Herstellungsprozesse wie eine Blackbox seien. (m / Foto: Imago)

Das European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare (EDQM) wehrt sich gegenüber DAZ.online gegen die Vorwürfe, das Zulassungs- und Herstellungsprozesse wie eine Blackbox seien. (m / Foto: Imago)


Patienten, Apotheker und Ärzte fragen sich: Wie konnte die Kontamination von Valsartan mit NDMA jahrelang unentdeckt bleiben? Im ARD-Magazin „Fakt“ äußerten Arzneimittelexperten diesbezüglich Kritik am Zulassungssystem: Der Herstellungsprozess sei eine „Blackbox“. Und: Die Zulassung sei wie ein Blankoschein für die Hersteller, danach wisse niemand, was bei der Herstellung genau passiere. Die zuständige europäische Arzneimittelbehörde (EDQM) hat sich nun gegenüber DAZ.online geäußert und weist die Vorwürfe zurück. Sie sieht die Hersteller und Aufsichtsbehörden in der Pflicht.

Inzwischen scheint klar zu sein, dass die Kontamination der Valsartan-Tabletten nach einer Umstellung des Herstellungsprozesses beim betroffenen chinesischen Hersteller entstand. 2012 hatte der Hersteller genau diese Umstellung beim European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare (EDQM) beantragt. Das EDQM ist dafür zuständig, zu prüfen, ob der Wirkstoff und seine Herstellung dem Europäischen Arzneibuch gerecht werden. Ist das der Fall, erhält der Hersteller ein sogenanntes CEP-Zertifikat, „CEP“ steht für Certificate of Suitability.

Was die Hersteller erfüllen müssen, um ein solches Zertifikat zu bekommen, hatte DAZ- und DAZ.online-Autorin Dr. Helga Blasius schon in der DAZ beschrieben: „Für die Beantragung eines CEPs müssen (i.d.R.) Wirkstoffhersteller beim EDQM eine komplette Wirkstoffdokumentation in Anlehnung an die international harmonisierten formalen Vorgaben für das Zulassungsdossier (CTD) inklusive einer detaillierten Beschreibung des Herstellungsprozesses und des Verunreinigungsprofils einreichen (CEP-Dossier). Um zu gewährleisten, dass die Arzneibuch-Methoden zur Detektion der Verunreinigungen geeignet sind ('Suitability'), müssen alle bei der Herstellung potenziell auftretenden Verunreinigungen durch die in der Monographie beschriebenen analytischen Methoden nachgewiesen werden können.“

In dieser Woche hatte sich das TV-Magazin „Fakt“ genau dieser Frage gewidmet: Wie konnte die Verunreinigung trotz der Ausstellung des Zertifikats im Jahr 2012 unentdeckt bleiben? Die ARD-Journalisten stellten die Behauptung auf, dass Zulassungs- und Herstellungsprozess zu intransparent seien. Wörtlich hieß es in dem Beitrag: „Das Problem: Niemand außer dem Hersteller und dem EDQM wissen genau, wie der Wirkstoff hergestellt wird, denn das ist häufig topsecret.“ Interviews mit Arzneimittelexperten stützten diese These. Professor Mona Tawab vom Zentrallaboratorium der Apotheker erklärte: Das CEP sei wie ein „Blankoschein“, mit dem die Hersteller einmal die Erlaubnis erhalten und danach keinen Kontrollen mehr ausgesetzt sind. Tawab wörtlich: „Die Wirkstoffherstellung stellt für die Pharmafirmen eine Blackbox dar. Es ist so, dass der Wirkstoffhersteller Details zu seinem Herstellungsverfahren zurückhalten kann und darf, um sein Verfahren zu schützen. Dieses Verfahren muss er nur den Zulassungsbehörden vorlegen.“ Dass europäische Pharmaunternehmen und Prüflabore keinen Einblick in den Herstellungsprozess der eigentlichen Hersteller haben, könne eine „gravierende Fehlerquelle“ sein.

EDQM: Der Hersteller besteht auf Vertraulichkeit, wir nicht

Gegenüber DAZ.online hat sich nun die europäische Arzneimittelbehörde EDQM selbst zu Wort gemeldet. Eine Sprecherin weist darauf hin, dass nicht die Behörde selbst auf die Vertraulichkeit bestehe, sondern vielmehr die Hersteller: „Tatsache ist, dass das EDQM über den Inhalt der im Zuge des CEP-Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse zum Herstellungsverfahren des Wirkstoffs Vertraulichkeit gegenüber Dritten wahrt. Dem CEP-Inhaber steht es aber frei, sämtliche Informationen weiterzugeben. Das EDQM erhebt keinerlei Anspruch auf Vertraulichkeit hinsichtlich der im Rahmen des CEP-Verfahrens mit dem Wirkstoffhersteller ausgetauschten Informationen.“

Ist die Zulassung ein Blankoschein?

Auch den Begriff „Blackbox“ will das EDQM nicht gelten lassen. Denn:


Der Wirkstoffhersteller wird in der Praxis nicht umhin kommen, Fertigarzneimittelhersteller, die seinen Wirkstoff in ihrem Fertigarzneimittel verarbeiten, detailliert über den Herstellungsprozess zu informieren. Der Hersteller des Fertigarzneimittels ist verpflichtet, seinen Wirkstoffhersteller zu qualifizieren und regelmäßig zu auditieren. Dies hat zur Folge, dass in der Praxis nur mit solchen Wirkstoffherstellern Geschäftsbeziehungen unterhalten werden können, die bereit sind,  ihr Herstellungsverfahren gegenüber ihrem Kunden offen zu legen. Art und Umfang eines derartigen Informationsaustausches werden in einer zwischen Wirkstoff- und Fertigarzneimittelhersteller abzuschließenden  Qualitätsvereinbarung festgelegt. Es ist Aufgabe der Arzneimittelüberwachungsbehörden der Länder im Rahmen ihrer Tätigkeit sicherzustellen, dass dies in hinreichendem Umfang geschieht.

Sprecherin des EDQM


Heißt konkret: Die abnehmenden europäischen Pharmakonzerne, die die kontaminierten Valsartan-Produkte in Europa vermarkten, kennen den Herstellungsprozess. Das passt zu einer Forderung von Professor Gerd Glaeske von der Uni Bremen. Glaeske hatte in dem TV-Beitrag gefordert, dass die abnehmenden Pharmakonzerne und Landesaufsichtsbehörden die Produkte bei der Einfuhr kontrollieren müssen.

Doch damit nicht genug. Gegen die These, dass das Zulassungsverfahren eine „Blackbox“ sei, spricht laut EDQM auch, dass die Hersteller dazu verpflichtet sind, amtlichen Prüflaboren Infos zum Herstellungsprozess zu liefern – wenn die Labore dies wünschen. Das EDQM dazu: „Darüber hinaus sind die Länderbehörden berechtigt, beim Fertigarzneimittelhersteller Proben zu nehmen und amtlich prüfen zu lassen. Der Fertigarzneimittelhersteller ist allerdings nicht verpflichtet, privaten Prüfeinrichtungen wie dem ZL Informationen zu erteilen. Dennoch ist der Wirkstoffhersteller nicht daran gehindert, entsprechende Informationen auf Anfrage auch privaten Prüfeinrichtungen wie dem ZL zugänglich zu machen.“

EDQM: Hersteller und Aufsichtsbehörden müssen die Chargen prüfen

Schließlich wehrt sich die EU-Behörde auch vehement gegen die Behauptung im ARD-Magazin, dass das CEP-Zertifikat ein „Blankoschein“ sei. Die Sprecherin dazu:


Mit dem CEP wird nicht die Konformität jeder einzelnen Charge des Wirkstoffs bestätigt, das CEP bestätigt vielmehr, dass der Wirkstoff auf Basis der vom Wirkstoffhersteller vorgelegten Informationen zu Herstellung und Qualität ausreichend durch die entsprechenden Arzneibuchmonographie kontrolliert werden kann und reduziert den Verwaltungsaufwand in nachfolgenden Zulassungsverfahren erheblich. Die Prüfung der Konformität einer konkreten Wirkstoffcharge liegt in der Verantwortung des Wirkstoff- und Fertigarzneimittelherstellers. Das CEP macht die Prüfung jeder einzelnen Wirkstoffcharge keines Falls entbehrlich.

Sprecherin des EDQM


Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass auch das EDQM sich nicht verantwortlich dafür fühlt, dass die Valsartan-Kontamination jahrelang unentdeckt blieb. Vielmehr sei es die Aufgabe der Wirkstoffhersteller, der abnehmenden Pharmakonzerne und der Landesaufsichtsbehörden in Deutschland die eingeführten Chargen zu überprüfen und sie auf eventuelle Verunreinigungen zu überprüfen. Aus Sicht der EU-Behörde ist der Zulassungsprozess ausreichend transparent und an mehreren Stellen einsehbar.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Unklarheit

von Kritiker am 10.08.2018 um 11:33 Uhr

Immer noch unklar ist, ob bei der EDQM auch fachlich/inhaltlich durch Chemiker/Pharmazeuten prüft oder ob sie nur durch Verwaltungsfachleute/Juristen prüft.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Unklarheit

von Klaus Hansen am 10.08.2018 um 15:22 Uhr

Das ist doch in dem Artikel
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-31-2018/das-valsartan-cep genau beschrieben:

Das CEP-Verfahren wird beim EDQM von einem Steering Committee unter Beteiligung von drei technischen Beiräten (Technical Advisory Boards, TABs) gemanagt. Die eigentliche Bewertung der CEP-Anträge ruht auf den Schultern eines Netzwerks von ca. 100 Fachleuten aus den Mitgliedstaaten mit beruflicher Erfahrung in der Beurteilung von Zulassungs- oder CEP-Anträgen. Sie kommen entweder aus nationalen Zulassungsbehörden oder stehen diesen beratend zur Seite sowie aus Amtlichen Arzneimittel-Kontrolllaboratorien (OMCLs) oder auch aus dem Certification Department (DCEP) des EDQM. Die Assessoren werden nach objektivierbaren Kriterien für einen Zeitraum von drei Jahren ernannt (wiederholbar). Die Liste der Assessoren aus 25 Ländern ist über die Webseite des EDQM öffentlich zugänglich

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