Spezialisten gesucht

Fachkräftemangel in der Pharma- und Biotech-Branche

München - 14.08.2018, 12:00 Uhr

Fachkräfte händeringend gesucht: In der Pharma- und Biotech-Branche gibt es in immer mehr Bereichen Personalnot. Auch Apotheker werden gesucht. ( r / Foto: Imago)

Fachkräfte händeringend gesucht: In der Pharma- und Biotech-Branche gibt es in immer mehr Bereichen Personalnot. Auch Apotheker werden gesucht. ( r / Foto: Imago)


Die Konjunktur boomt, viele Unternehmen suchen händeringend Fachleute. Das gilt auch für die Pharma- und Biotechindustrie. So sind unter anderem Gentechnik- und Zelltherapiespezialisten stark gefragt, aber auch berufserfahrene Fachkräfte für die Wirkstoffproduktion und die Durchführung klinischer Studien. Auch Apotheker sind bei Pharma- und Biotechunternehmen begehrt.

Der Fachkräftemangel hat auch die Biotech- und Pharmabranche erreicht. Viele Unternehmen suchen nach Spezialisten, vor allem für die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln. Das hängt nicht nur mit der gut laufenden Konjunktur zusammen, die sich auch in dieser Branche positiv niederschlägt. Das hat insbesondere auch mit Sonderfaktoren der Branche zu tun. So haben viele Unternehmen mittlerweile eine ausgeprägte Reife erreicht und überzeugen mit ihren Geschäftsmodellen, stetigem Wachstum und Pipelineprojekten, die den Sprung von der Entwicklung in die Klinik und schließlich auf den Markt schaffen.

Hinzu kommt, dass die technologischen Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre insbesondere in der Zell- und Gentechnologie die Medizin revolutioniert haben. Erste Resultate dieser noch jungen Medikamentenklasse sind bereits auf dem Markt: So gilt Kymriah von Novartis, die erste von der US Zulassungsbehörde FDA im August 2017 zugelassene CAR-T-Therapie für die Behandlung eines seltenen Blutkrebses, als Indikator für das Potenzial dieser Arzneimittel. Die Zulassung von Gileads Yescarta, einer CAR-T-Behandlung für bestimmte Formen des Non-Hodgkin-Lymphoms, folgte kurz darauf. Und Spark Therapeutics's Luxturna war die erste in den USA zugelassene Gentherapie, die auf eine Krankheit - in diesem Fall eine seltene Form der Erbblindheit - zielte, die durch Mutationen in einem bestimmten Gen verursacht wurde.

Neue Technologie, neue Expertisen

Diese neuen Wirkstoffe eröffnen nicht nur neue Therapieansätze und bieten den Unternehmen lukrative Umsatzchancen, die Zell- und Gentherapien zählen nach Einschätzung von Branchenexperten auch zu den wohl teuersten pharmazeutischen Produkten überhaupt. Ihre Entwicklung und Produktion sind überaus komplex – und verlangen in den Entwicklungslaboren eine tiefe fachliche neue Expertise. „Fertigungsplattformen und gängige, bewährte Methoden zur Herstellung derartiger Produkte sind nahezu nicht vorhanden“, schreibt das Fachportal Bioprocess online. Doch Fachleute für derartige Prozesse sind rar: „Sie können Produktionsexperten für Zell- und Gentherapien an einer oder zwei Händen abzählen“, zitiert das Fachmagazin STAT Nina Kjellson, einen Biopharma-Venture-Capital-Investoren bei der US-Venture-Capital-Firma Canaan Partners. Und Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa), erklärt gegenüber DAZ.online: „Das ist noch ein Nischenbereich, da stehen wir erst am Anfang. Fachleute aus diesen Bereichen kriegt man nicht von den Unis, da müssen die Unternehmen vielmehr in Weiterbildung investieren.“

Throm (vfa): Es gibt einen punktuellen Fachkräftemangel

Die Personalsituation in der Pharma- und Biotechbranche insgesamt betrachtet der vfa-Manager differenziert: „Es gibt keinen allgemeinen, sondern einen punktuellen Fachkräftemangel.“ Gesucht würden vor allem Spezialisten für bestimmte Bereiche. So habe die Branche beispielsweise Schwierigkeiten, ausreichend Pharmaingenieure und Pharmatechniker zu finden. Throm: „Der Bedarf an Ingenieuren hat zugenommen, weil immer mehr biopharmazeutische Arzneimittel entwickelt werden. Damit muss auch die Produktion dieser Produkte ausgebaut werden.“

Auch Data Scientists, also Datenexperten, sind nach seiner Erfahrung stark gefragt, wenngleich nicht nur in der Pharmaindustrie. Diese Personengruppe müsse ein tiefes Verständnis von Mathematik und Informatik mitbringen und mit großen Datenmengen umgehen können.

Apotheker gesucht

Auch Apotheker werden von der Pharma- und Biotechindustrie gesucht. Nach Angaben von Throm gibt es in Deutschland derzeit rund 6100 Apotheker, die in der Industrie tätig sind – einige hundert mehr als noch vor wenigen Jahren. Die Nachfrage nach Apothekern habe vor allem mit deren breiter Ausbildung zu tun. Damit seien sie vielseitig einsetzbar, beispielsweise bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln, im Nebenwirkungsmanagement oder im Market Access, also bei Fragen des Marktzugangs von pharmazeutischen Produkten.

Ähnlich verhalte es sich mit Ärzten, von denen derzeit rund 2300 in der Industrie aktiv seien und die aufgrund ihrer Ausbildung ebenfalls in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden könnten. Nach Throms Kenntnis gibt es derzeit rund 250 bis 300 offene Arztpositionen bei deutschen Pharma- und Biotechunternehmen.

Beispiel Evotec: Weltweit mehr als 120 offene Stellen

Auch bei dem Hamburger Biotechunternehmen Evotec ist ein Mangel an Experten spürbar: „Der Fachkräftemangel in der Biotechbranche ist sicherlich ein Thema, das auch uns betrifft“, so eine Unternehmenssprecherin gegenüber DAZ.online. Das Unternehmen habe an seinen deutschen Standorten in Hamburg, Göttingen und München aktuell 69 offene Stellen, weltweit seien mehr als 120 Positionen zu besetzen. Grund dafür sei vor allem das „enorme Wachstum Evotecs“, so die Sprecherin weiter. 

Ähnlich verhält es bei dem Planegger Biotechunternehmen Morphosys, dem Flaggschiff der deutschen Biotechszene: „Es ist eine Herausforderung, Fachkräfte mit Berufserfahrung zu finden. Das gilt vor allem für Spezialisten in der klinischen Entwicklung“, sagt Jochen Orlowski, Pressesprecher des Unternehmens, zu DAZ.online.

Auch an biopharmazeutische Auftragsproduzenten, sogenannten CMOs, geht diese Entwicklung nicht spurlos vorbei. So weist die Plattform Pharmaceutical Technology.com darauf hin, dass derartige Unternehmen Schwierigkeiten hätten, Expertise und Kapazitäten beispielsweise in der viralen Vektorproduktion aufzubauen, der Grundlage für viele Gen- und Zelltherapien. Nach Angaben von Adam Bradbury, Analyst bei dem Marktforschungsunternehmen Pharmsource, gibt es derzeit eine durchschnittliche Wartezeit von 16 Monaten bei CMOs, ehe diese selbst im kleineren klinischen Maßstab neue Projekte starten können. Kapazitätserweiterungen seien schwierig und kostspielig; und die Notwendigkeit von Anlagen auf Good Manufacturing Practice (GMP)-Standard zur Züchtung von Zellen und zur Gewährleistung von Sterilität und Reinheit der Vektoren bedinge eine hohe regulatorische Belastung.

Gehalt darf selbst bestimmt werden, Uhr gibt es dazu

Vor diesem Hintergrund greifen manche Unternehmen mittlerweile zu ungewöhnlichen Mitteln, um an stark gefragte Spezialisten zu kommen. So verweist STAT auf das Beispiel des US-Gentechnik- und Zelltherapiespezialisten David Di Giusto, der nach drei Jahrzehnten Berufserfahrung auf diesen Feldern hart umworben wird. Ein Unternehmen, das sich auf Krebs-Immuntherapien spezialisiert hat, bot ihm demnach an, dass er die Höhe seines Gehalts selbst bestimmen könne, wenn er zu der Firma wechsle. Er könne auch seinen gewünschten Aktienanteil benennen. Schließlich sei ihm sogar eine 10.000 Dollar teure Omega Speedmaster Armbanduhr angeboten worden.

Bei derartigen Konditionen können deutsche Biotechunternehmen in der Regel nicht mithalten. Evotec setzt stattdessen auf klassische Stellenanzeigen und streut diese auf relevanten Portalen. Via LinkedIn oder Twitter geht das Unternehmen nach eigenen Angaben verstärkt auch direkt auf die Bewerber zu. Durch die Kooperation mit Berufsschulen sollen zudem bereits Schüler die beruflichen Perspektiven bei Evotec kennenlernen. Schließlich sei im vergangenen Jahr ein Mitarbeiterempfehlungs-Programm eingeführt worden, das sich als effektives Instrument herauskristallisiert habe.

Wie suchen die Firmen nach den Spezialisten?

Bei Morphosys setzt man ebenfalls auf das sogenannte Active Sourcing, wobei Fachleute unter anderem via Online-Jobportale gezielt angesprochen werden. Außerdem läuft nach den Worten von Unternehmenssprecher Orlowski in der Branche viel über Empfehlungen. Ein weiteres wichtiges Element sei die interne Weiterentwicklung der Mitarbeiter: „Geeignetes Personal führen wir in Bereichen wie Intellectual Property, Business Development, Alliance Management oder in der klinischen Entwicklung an größere Aufgaben heran.“

In jedem Fall kann die Branche im Vergleich zu anderen Industrien mit guten Argumenten für sich punkten. So sind Pharma und Biotech nach Einschätzung von vfa-Manager Throm relativ konjunkturresistent und zukunftssicher, da Arzneimittel immer gebraucht würden. Außerdem handele es sich um eine High-Tech-Industrie, die zudem sinnstiftend sei, da sie dem Nutzen von Patienten diene. Schließlich seien die Gehälter in der Pharmaindustrie meist höher als in vielen anderen Branchen. So hat eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und des vfa ergeben, dass in der Pharmabranche im Schnitt um 28 Prozent höhere Gehälter gezahlt werden als im verarbeitenden Gewerbe und 19 Prozent mehr als in Unternehmen der Spitzentechnologie. So mancher Bewerber könnte sich davon angesprochen fühlen.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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