Umstrittener Iberogast-Inhaltsstoff

Wie wirkt Schöllkraut und wie steht es mit den klinischen Belegen?

Remagen - 14.09.2018, 10:00 Uhr

Die
Arzneipflanze Chelidonium majus L. ist der umstrittene Inhaltsstoff in Iberogast. Aber wie wirkt Schöllkraut? Und wie sind die klinischen Belege? ( r / Foto: Imago)

Die Arzneipflanze Chelidonium majus L. ist der umstrittene Inhaltsstoff in Iberogast. Aber wie wirkt Schöllkraut? Und wie sind die klinischen Belege? ( r / Foto: Imago)


Das Magen-Darmmittel Iberogast® ist in diesen Tagen in aller Munde: Schließlich musste der Pharmakonzern Bayer wegen schwerer Leberschäden bei Patienten seine Packungsbeilage ändern. Dabei geht es speziell um einen der neun Kombinationspartner des seit einem halben Jahrhundert etablierten Präparates, das Schöllkraut. Wie trägt die Arzneidroge zur Wirksamkeit des Arzneimittels bei gegen funktionelle Dyspepsie und Reizdarm bei, und wie ist die Datenlage dazu?

Botanik und Verbreitung

Die Arzneipflanze Chelidonium majus L. aus der Familie der Mohngewächse (Papaveraceae) ist in Mittel- und Osteuropa sowie in Zentralasien heimisch. Schöllkraut wächst etwa 70 Zentimeter hoch und blüht von Ende April bis September leuchtend gelb. Charakteristisch ist der gelb-orange Milchsaft, der beim Anschneiden aus den Stängeln austritt. Seine Heilkraft ist in der westlichen Volksmedizin bereits seit der Antike bekannt. Es wird auch in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet.

Als Arzneidroge wird das Kraut (Chelidonii herba) eingesetzt, das heißt die während der Blütezeit gesammelten, getrockneten, ganzen oder geschnittenen oberirdischen Teile der Pflanze. Das Arzneibuch fordert einen Mindestgehalt von 0,6 Prozent an Gesamtalkaloiden. Aus dem Kraut werden unter anderem Tinkturen und alkoholische Extrakte hergestellt.

Alkaloide als wichtigste Inhaltsstoffe

Schöllkraut enthält über zwanzig verschiedene Benzylisochinolin-Alkaloide mit mindestens drei Untergruppen: Benzophenanthridine (Chelerythrin, Chelidonin, Sanguinarin, Isochelidonin), Protoberberine (Berberin, Coptisin, Dihydrocoptisin, Stylopin) und Protopine. Daneben finden sich organische Säuren (u.a. Chelidonsäure, Äpfelsäure, Zitronensäure, Kaffeesäure) sowie Hydroxyzimtsäure-Derivate, Saponine, Carotenoide, das Phytocytostatin Chelidocystatin, Spartein und Flavonoide.

Breites Wirkspektrum

Ein polnisches Autorenteam hat unlängst die umfangreiche Datenlage zu den pharmakologischen Wirkungen von Schöllkraut ausgewertet. Hervorzuheben sind gallentreibende, krampflösende, schmerzlindernde entzündungshemmende, beruhigende, antimikrobielle und antivirale Eigenschaften.

„Multi-Target-Therapeutikum

Iberogast® gehört zu den so genannten „Alt-Arzneimitteln“. Es ist seit über 55 Jahren auf dem Markt. Der Inverkehrbringer Bayer Vital tituliert die Kombination von hydroalkoholischen Extrakten aus neun Arzneipflanzen (Angelikawurzel, Bittere Schleifenblume, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Süßholzwurzel, Schöllkraut mit Iberis amara als zentraler Komponente als „Multi-Target-Therapeutikum".

Für fixe Arzneimittelkombinationen muss, um eine arzneimittelrechtliche Zulassung zu bekommen, begründet werden, dass jeder enthaltene Wirkstoff einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels leistet. Im Falle von Iberogast sollen die neun aufeinander abgestimmten Heilpflanzen laut Bayer Vital gleichzeitig an unterschiedlichen pharmakologischen Zielen angreifen, darunter an Calciumkanälen, afferenten Nervenfasern und cholinergen Neuronen in den Muskelzellen. Dadurch soll die fixe Kombination gleich­zeitig Hypersensibilitäten verringern, die Säureproduktion hemmen, Ent­zündungen entgegenwirken und die Motilität von Magen und Darm normalisieren.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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