Arzneiverordnungs-Report 2018

Was tun gegen Hochpreiser?

Berlin - 20.09.2018, 17:00 Uhr

Vor allem neue und biotechnologisch hergestellte Arzneimittel finden die AVR-Herausgeber viel zu teuer. ( r / Foto: industrieblick

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Vor allem neue und biotechnologisch hergestellte Arzneimittel finden die AVR-Herausgeber viel zu teuer. ( r / Foto: industrieblick / stock.adobe.com)


Auch in diesem Jahr beklagen die Herausgeber des AOK-nahen Arzneiverordnungs-Reports die steigenden Kosten der Arzneimittelversorgung. Trotz durchaus wirksamer Sparinstrumente entwickelten sich vor allem die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel und Biologika äußerst dynamisch. Die Herausgeber sowie AOK-Chef Martin Litsch fordern daher unter anderem, den Biosimilar-Wettbewerb zu fördern. Litsch kann sich sogar die Aut-idem-Substitution von Biologika in der Apotheke vorstellen.

Der am heutigen Donnerstag in Berlin vorgestellte Arzneimittelverordnungsreport (AVR) 2018 analysiert den Arzneimittelmarkt des vergangenen Jahres:  017 haben die Krankenkassen 39,9 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben – inklusive der Zuzahlung der Versicherten. Gegenüber dem Vorjahr waren dies 1,4 Milliarden Euro beziehungsweise 3,7 Prozent mehr.

Mag der prozentuale Anstieg vergleichsweise moderat erscheinen – die AVR-Herausgeber hält ihn traditionell für viel zu hoch. Dabei werden mit Festbeträgen, Rabattverträgen und früher Nutzenbewertung Jahr für Jahr Milliarden gespart. Dass der Trend dennoch weiter nach oben geht, liegt laut AVR-Herausgeber Professor em. Ulrich Schwabe vor allem an den patentgeschützten Arzneimitteln: Auf sie entfielen im vergangenen Jahr 18,5 Milliarden Euro des GKV-Arzneimittelmarktes. „Damit hat sich ihr Umsatzanteil in den letzten 20 Jahren von 33 Prozent auf 45 Prozent erhöht“, betont Schwabe. Betrachte man nur die 20 führenden Patentarzneimittel mit Verordnungskosten von 7 Milliarden Euro, so liege die Ausgabensteigerung gegenüber dem Vorjahr bereits bei 16,3 Prozent. Gerade die ganz neuen Arzneimittel sind teuer – schließlich besteht für sie in Deutschland im ersten Jahr nach Markteinführung noch Preisfreiheit. Für Schwabe unverständlich: „Dies ist in keinem anderen europäischen Land möglich“.

Schwabes Vorschläge zur Ausgabensenkung:

  • Rückwirkende Geltung des Erstattungsbeitrags ab Markteintritt,
  • Nutzenbewertung des Bestandsmarkts, also von Arzneimitteln, die vor 2011 auf dem Markt waren,
  • reguläre Nutzenbewertung für Orphan Drugs,
  • Festbeträge für Biosimilars mit europäischem Preisvergleich,
  • ggf. Verordnungsausschlüsse für Hochpreisarzneimittel (So geschehen bereits bei PCSK9-Inhibitoren).

Auch Biopharmazeutika und Biosimilars stehen im Fokus der AVR-Herausgeber. Biologische Antirheumatika, monoklonale Antikörper oder biotechnologisch hergestellte Insuline schlagen bei den Kassen deutlich zu Buche. Humira® (Adalimumab) steht seit Jahren auf Platz eins der nach Nettokosten führenden Arzneimittel. Aber warum kostet es in den Niederlanden 33 Prozent weniger als in Deutschland (unter Berücksichtigung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze)? Darauf hat auch Schwabe keine Antwort.

Wie stärkt man Biosimilars?

Mittlerweile kommen zwar immer mehr Biosimilars auf den Markt – im Oktober läuft auch Humira aus dem Patent –, doch die Nachahmer haben es schwer, sich gegen die Originatoren durchzusetzen. Schwabe erklärte, dass sich die Hersteller der Originalpräparate ihre Marktanteile mit einer Strategie der vertraulichen Rabattverträge sicherten. Zudem ist mit Biosimilars ohnehin lange nicht so viel zu sparen, wie man es von Generika gewohnt ist. Die Kosten liegen in der Regel nur 20 bis 30 Prozent unter denen des Originals.  

Jürgen Klauber, Geschäftsführer des WidO und ebenfalls AVR-Herausgeber, sieht als weiteren Grund für den schwächelnden Biosimilar-Wettbewerb die besondere Anbieterstruktur: Unter den insgesamt lediglich 14 Biosimilaranbietern waren 2017 sechs Originalhersteller beziehungsweise deren Tochterunternehmen – und auf sie entfielen 83 Prozent der gesamten Ausgaben für Biosimilars. Die Biosimilaranbieter, die unabhängig vom Originalanbieter sind, kamen 2017 auf nur 3,8 Prozent der Ausgaben. 

Unsicherheiten und Unwissenheit

Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft (AkdÄ) und AVR-Herausgeber, betonte, dass Biosimilars therapeutisch gleichwertig zu den Referenzarzneimitteln sind – denn das sei offenbar noch nicht überall angekommen. Viele Ärzte, so Ludwig, seien verunsichert, hätten Sicherheitsbedenken oder wüssten schlicht nicht, wie es um die rechtlichen Grundlagen der im zentralisierten Verfahren zugelassenen Biosimilars stehe. Demnach dürfen Biosimilar und Referenzarzneimittel keine klinisch relevanten Unterschiede in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit aufweisen. Mittlerweile gebe es auch zahlreiche unabhängige Empfehlungen für den rationalen Einsatz von Biopharmazeutika, betonte Ludwig – unter anderem von der AKdÄ.

Auch Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, wünscht sich eine bessere Marktdurchdringung mit Biosimilars. Damit die Preise sinken, müsse man dem Anbieter einen gewissen Anteil am Markt zusichern können. Daher befürwortet Litsch regionale Zielvereinbarungen für Biosimilarquoten. Und er kann sich noch mehr vorstellen: die Substitution in der Apotheke – ganz so wie bei Generika. Dagegen gibt es aber bislang Widerstand in der Ärzteschaft.

Arzneimittelsicherheit und die Import-Frage

Zur Sprache kam auch die Frage des Parallelvertriebs und der Importe: Litsch hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, dass er die Importquote nicht brauche: Das System sei kompliziert, die Ersparnis nicht sensationell. Und auch Ludwig hatte sich in seiner Eigenschaft als Mitglied der Taskforce Lunapharm bereits für ein Verbot des Parallelvertriebs und des Parallelimports ausgesprochen.

Heute bekräftigte er diese Haltung: Die hohen Arzneimittelpreise hierzulande machten Deutschland zu einem attraktiven Ziel für Kriminelle, die mit solchen Importgeschäften Geld machen wollen. Es habe gute Gründe, warum in Krankenhäusern parallelvertriebene und -importierte Arzneimittel nicht zugelassen sind. Und auch Schwabe meint: Importe lohnen sich nur, weil es in Deutschland so hohe Preise gibt. Würde man diese angehen, so löse sich auch die Diskussion um die Importe in Luft auf.  

Ludwig hat aber noch eine weitere Botschaft: In Deutschland ist es nach wie vor gut um die Arzneimittelsicherheit bestellt. Zwar seien die Skandale um Valsartan und Lunapharm zwei „sehr unerfreuliche Vorgänge“. Hier hätten Behörden auf verschiedenen Ebenen eklatant versagt. Dennoch sieht er keinen Grund, Patienten zu verunsichern. Kriminelle Netzwerke müsse man jedoch bekämpfen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Vorsitzender? ja . Wie lange schon? 12 Jahre

von Dr. Andreas van de Valk am 22.09.2018 um 17:50 Uhr

"Viele Ärzte, so Ludwig, seien verunsichert, hätten Sicherheitsbedenken oder wüssten schlicht nicht, wie es um die rechtlichen Grundlagen der im zentralisierten Verfahren zugelassenen Biosimilars stehe."

Organisation der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft laut Internetauftritt

"Die AkdÄ erhält mittels Statut Aufgaben von seiten der Bundesärztekammer und informiert die Ärzteschaft vielfältig und aktuell über rationale Arzneimitteltherapie und Arzneimittelsicherheit. Die Aufgaben und Tätigkeiten der AkdÄ sind im Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer aufgeführt. Mit den Therapieempfehlungen bietet sie pharmakotherapeutische Problemlösungen auf der Basis validierter und klinisch relevanter Forschungsergebnisse.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) müssen ihr gemäß ärztlicher Berufsordnung mitgeteilt werden. Mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterhält sie den Ärzteausschuss Arzneimittelsicherheit und eine Datenbank zur Spontanerfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Die AkdÄ ist nach Arzneimittelgesetz (AMG § 62) Stufenplanbeteiligte. Sie veranstaltet und wirkt mit an ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen."

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