BAH-Diskussion

EU-Nutzenbewertung: G-BA und Politik haben noch Gesprächsbedarf

Berlin - 06.12.2018, 17:20 Uhr

Laut Professor Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA, liegt beim Health Technology Assessment (HTA)-Verfahren die Tücke im Detail. ( r / Foto: Aamon / stock.adobe.com)

Laut Professor Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA, liegt beim Health Technology Assessment (HTA)-Verfahren die Tücke im Detail. ( r / Foto: Aamon / stock.adobe.com)


Wenngleich der vorliegende Entwurf der EU-Kommission für eine europäische Nutzenbewertung von Arzneimitteln beim deutschen Gesetzgeber und den Akteuren der Selbstverwaltung auf erhebliche Ablehnung gestoßen ist, findet das Projekt hierzulande auch Unterstützung von einflussreicher Seite. Auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller kamen sowohl vom Gemeinsamen Bundesausschuss als auch von der Pharmaindustrie und Gesundheitspolitik positive Signale für das Projekt.

Der im Januar 2018 veröffentlichte Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum sogenannten HTA-Verfahren möchte die klinische Bewertung von neuen Arzneimitteln harmonisieren. Auch Medizinprodukte mit hohem und sehr hohem Risiko wie Röntgengeräte oder Brustimplantate sowie bestimmte in-vitro-Diagnostika sind davon betroffen. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass der EU-Gesetzgebungsprozess voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2020 – dann unter deutscher Ratspräsidentschaft – abgeschlossen werden dürfte.

Das Projekt gestaltet sich auf nationaler Ebene aber schwierig. Seit mittlerweile 2004 befindet sich das Thema auf der EU-Agenda. Seit Anfang des Jahres liegt nun ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission dazu vor. Die Meinung der deutschen Politik dazu war schnell klar: Der Bundestag verabschiedete eine sogenannte Subsidiaritätsrüge und sprach sich dagegen aus, dass sich die EU-Nutzenbewertung obligatorisch auf die Arzneimittelpreise hierzulande auswirkt.

Hecken: „Grundsätzlich okay“

Auf einem Wirtschaftsdialog des BAH zu eben diesem Thema in München zeigte sich am gestrigen Mittwoch, dass das Projekt in einflussreichen Kreisen allerdings auch grundsätzliche Zustimmung erhält. Deutlich wurde dies beispielsweise durch Professor Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Der sagte anlässlich der Diskussion um eine einheitliche Bewertung von Arzneimitteln und bestimmten Medizinprodukten, dem sogenannten Health Technology Assessment (HTA): „Die europaweit harmonisierte Nutzenbewertung ist grundsätzlich okay. Aber die Tücke liegt im Detail.“ Positiv bewertete er, dass die Patienten in der EU bei einer erfolgreichen Umsetzung des Projektes einen besseren Zugang zu medizinischen Therapien bekämen. Außerdem würden die Hersteller entlastet, indem sie einen einheitlichen Marktzugang erhielten.


Mehrere Delegationen können nicht zustimmen, dass gemeinsame klinische Bewertungen verpflichtend in ihren nationalen Verfahren verwendet werden. [...]“

Rudolf Poß, Apotheker und Referent der GKV-Arzneimittelversorgung im BAH


Andererseits befürchtet Hecken, dass durch eine zentralisierte Nutzenbewertung die Qualität der Versorgung sinkt, wenn dadurch Qualitätsstandards aufgeweicht werden. Wichtig ist seiner Meinung nach im laufenden Prozess insbesondere, dass die Methodik einer einheitlichen Bewertung klar definiert wird. Auch die Kriterien der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Arzneimitteln müssten angesichts unterschiedlicher Standards in Europa klarer herausgearbeitet werden. Das gelte insbesondere für die Frage der Vergleichstherapie im Bewertungsprozess.

Eine besondere Herausforderung sieht Hecken im laufenden EU-HTA-Prozess für Orphan Drugs, also Arzneimittel gegen seltene Krankheiten. Bei diesen oft sehr teuren Produkten sei der medizinische Bedarf sehr hoch. Bei diesem Thema sieht der G-BA-Vorsitzende eine besondere Notwendigkeit zur europaweiten Harmonisierung, die allerdings durch den vorliegenden Verordnungsentwurf nicht erreicht werde. „Hier sehe ich die größte Gefahr, dass es zu einer unseriösen Nutzenbewertung kommt“, so Hecken wörtlich. Konkret befürchtet er, dass es bei der Bewertung der Produkte zu Kampfabstimmungen komme und letztlich eine Stimme Mehrheit den Ausschlag geben könnte – „und das ohne Vorlage einer belastbaren Evidenz“, so Hecken. Die Folge davon könnte wiederum sein, dass es keine geordnete Erstattung für diese Arzneimittel gibt und die Hersteller ihre Produkte aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit vom Markt nehmen, was schließlich gravierende Folgen für die Patienten hätte. „Wenn das die Basis für eine gemeinsame Nutzenbewertung wird, wird diese Nutzenbewertung nichts wert sein“, so Hecken.

BAH: Keine Aufweichung

Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BAH, warnte seinerseits davor, die Harmonisierungsbestrebungen aufzuweichen, so wie dies vor allem von deutscher und französischer Seite versucht werde. Die beiden Staaten setzen sich unter anderem dafür ein, dass klinische Bewertungen auf EU-Ebene auf nationaler Ebene lediglich berücksichtigt, nicht aber verpflichtend übernommen werden müssen. Grundsätzlich plädieren sie für mehr nationalen Gestaltungsspielraum und höhere Anforderungen an die Organisation und Qualität der Bewertungen.

Etwas anders klingt das aus dem Mund von Stephan Pilsinger, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums gebe es eine „generelle Unterstützung“ zu dem Vorhaben, wenngleich man sich dort eine stärkere Beteiligung wünsche. Ziel sei es, im EU-HTA möglichst viel des existierenden Amnog zu erhalten. Das Ergebnis müsse eine „größtmögliche Planbarkeit“ für die Pharmaunternehmen bieten.

GSK: „Im Prinzip alles gut“

Grundsätzliche Zustimmung zu dem EU-HTA-Prozess kommt auch von Seiten der Pharmahersteller. „Im Prinzip ist alles gut. Wir sind für den Prozess“, sagte Bettina Brennecke, Mitglied der Geschäftsleitung von GlaxoSmithKline (GSK) und zuständig für Government Affairs, also Lobbying. Für die Industrie bedeute dies eine Vereinfachung des Marktzugangs und die Vermeidung von Doppelarbeit bei der Vermarktung ihrer Produkte in verschiedenen Ländern. Sie wies allerdings darauf hin, dass die HTA-Landschaft in Europa aktuell sehr heterogen sei und der Weg zu einer Vereinheitlichung daher lang. Wie Professor Hecken sieht auch sie die Notwendigkeit von soliden Methoden, Prozessen und Qualitätsanforderungen für eine gemeinsame Bewertung. Zudem äußerte die GSK-Managerin die Sorge, dass der Vereinheitlichungsprozess eine eigene Dynamik entwickeln könnte, wobei „rote Linien“ überschritten werden und das Verfahren dann keinen Sinn mehr machen würde.

Wie schwierig der Weg zu einem Konsens bei diesem Thema ist, verdeutlichte Rudolf Poß, Apotheker und Referent der GKV-Arzneimittelversorgung im BAH. Er gab das aktuelle Meinungsbild im Europäischen Rat wider, wo es wörtlich heiße: „Mehrere Delegationen können nicht zustimmen, dass gemeinsame klinische Bewertungen verpflichtend in ihren nationalen Verfahren verwendet werden. … Diese Delegationen sind der Meinung, dass gemeinsame Bewertungen ein rein wissenschaftlicher Prozess sind, die lediglich ein Element in der Meinungsbildung sein können, aber keinesfalls rechtlich bindend sind.“



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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