Bauchschmerzen und Co.

Kinder und Probiotika: Sollte man generell abraten?

Stuttgart - 10.01.2019, 09:00 Uhr

Probiotika: ja oder nein, und welche? Für die Apotheke gilt bezüglich wiederkehrender Bauchschmerzen wohl „ja“, wenn der Kinderarzt
sie als sinnvoll erachtet. Wie ist das aber in anderen Bereichen? (Foto: Juan Aunión / stock.adobe.com)

Probiotika: ja oder nein, und welche? Für die Apotheke gilt bezüglich wiederkehrender Bauchschmerzen wohl „ja“, wenn der Kinderarzt sie als sinnvoll erachtet. Wie ist das aber in anderen Bereichen? (Foto: Juan Aunión / stock.adobe.com)


Probiotika genießen sowohl in der Apotheke als auch bei (kleinen) Patienten einen guten Ruf. In der jüngeren Vergangenheit wurden allerdings Zweifel laut, ob sie überhaupt wirksam sind oder sogar möglichen Schaden anrichten könnten. Kann man Probiotika also überhaupt noch empfehlen, solange keine neuen und besseren Daten verfügbar werden? Ja, meint das Autoren-Team eines Cochrane-Reviews in der Dezember-Ausgabe des Journals JAMA. Außerdem bietet eine europäische Leitline eine Übersicht.

Das Journal JAMA stellt unter dem Titel „Clinical Evidence Synopsis“ systematische Übersichtsarbeiten kurz und knapp vor, mit dem Ziel, für die Praxis die wichtigsten Erkenntnisse zusammenzufassen. So auch im Dezember 2018 zum Thema Kinder mit wiederkehrenden Bauchschmerzen und der Frage, ob Probiotika helfen könnten. Ein englisches Autoren-Team, das sich schon länger mit dem Thema Probiotika bei chronischen Bauchschmerzen auseinandersetzt, hat dazu sein 2017 aktualisiertes Cochrane-Review für die Praxis zusammengefasst. 

Kinder mit chronischen Bauchschmerzen: Sind Probiotika einen Versuch wert?

Die Cochrane-Autoren stellen sich ganz praktisch die Frage: Verbessern diätetische Maßnahmen wie Probiotika Schmerzen, an denen Kinder mit wiederkehrenden Bauchschmerzen leiden? Das Fazit vorweg: Ärzte könnten Probiotika bei wiederkehrenden Bauchschmerzen in Betracht ziehen – allerdings als Teil einer „ganzheitlichen“ Strategie. So würden Kinder, die mit Probiotika behandelt werden, wahrscheinlicher eine kurzfristige Besserung ihrer Schmerzen erfahren, als Kinder, die nur ein Placebo erhielten.  

Nun sind chronische Bauchschmerzen (recurrent abdominal pain, RAP) in der Kinderheilkunde zwar ein weit verbreitetes Problem, bei weitem aber nicht so leicht einzugrenzen wie akute Bauchschmerzen. Bis zu 25 Prozent der Schulkinder sollen schätzungsweise einmal davon betroffen sein. Die englische Forschergruppe verwendet „RAP“ deshalb als Oberbegriff, der beispielsweise funktionelle Dyspepsien, ein Reizdarmsyndrom, eine Bauchmigräne und allgemein funktionelle Bauchschmerzen zusammenfassen kann.  

Einem von acht Kindern helfen Probiotika bei Bauchschmerzen

Die Forscher haben 19 randomisierte klinische Studien aus den Jahren 1985 bis 2014 gegenübergestellt. Dabei zählten sie 1453 Probanden, wobei die meisten Mädchen waren. Das Alter der Kinder lag im Mittel zwischen 6,3 und 13,1 Jahren (Spanne: 4 bis 18 Jahre), sie stammten aus Italien, dem Iran, den USA, Kanada, Polen, Deutschland, Israel und Indien. Untersucht wurden nicht nur die Probiotika-Gabe sondern auch Interventionen auf Basis einer faserreichen Ernährung (vier Studien) und gewisser Diäten (zwei Studien). Verglichen wurde meist gegen Placebo, eine Studie verglich gegen eine Standarddiät. 15 dieser Studien waren kein Bestandteil des früheren Cochrane-Review, aus dem der aktualisierte von 2017 entstand. In 13 Studien kamen Probiotika zum Einsatz, am häufigsten (in fünf Studien) der Stamm Lactobacillus rhamnosus GG.

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Auf der Basis von sieben Studien mit 772 Kindern kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Kinder, die mit Probioika behandelt wurden, null bis drei Monate nach der Intervention wahrscheinlicher eine Verbesserung ihrer Bauchschmerzen erfahren, als die Kinder, die ein Placebo erhielten. Die Qualität der Evidenz beschreiben sie als moderat. Die „Number Needed to treat“ wird mit acht angegeben, (sie gibt die Anzahl an Patienten wieder, die mit Probiotika behandelt werden müssen, um ein negatives Ereignis zu verhindern). 

Nur zwei Studien untersuchten auch die Effekte einer Probiotikagabe drei bis sechs Monate nach der Intervention (224 Kinder), auch hier zeichnete sich ab, dass Probiotika die Schmerzen (langfristig) lindern könnten. Keine der Interventionen auf Basis einer faserreichen Ernährung erwies sich dagegen als besser als Placebo (niedrige Qualität der Evidenz). 

Im schwedischen Journal Acta Paediatrica wurde von einer Expertengruppe sogar eine Leitiline für den Einsatz von Probiotika bei Kindern erstellt. Sie wurde im Februar 2018 veröffentlicht und kommt bezüglich Bauchschmerzen zu einem anderen Ergebnis.

Einsatz von Probiotika bei Kindern: Eine europäische Leitlinie

Die Leitlinie wurde von einem Expertengremium verfasst, das von der European Pediatric Association beauftragt wurde. (Auf die Interessenkonflikte der Autoren sei am Ende der Studie verwiesen: diverse Firmen wie Biogaia, Fresenius Kabi, Danone, Nestlé usw.). Die folgende Tabelle soll die Hauptbotschaften „practice points“ der europäischen Leitlinie zusammenfassen. Dabei wird deutlich, dass zwischen verschiedenen Stämmen und Präparaten unterschieden werden muss, genauso wie zwischen den diversen Einsatzgebieten. Zu Dosierungen ist noch wenig bekannt, sie sind aber wichtig.

AnwendungsgebietEmpfehlung
Vorbeugung gegen häufige Infektionen 

Obere Atemwegsinfekte: Nur LGG (Lactobacillus rhamnosus GG) sollte zur Prävention in Erwägung gezogen werden, bei Kindern in Tagesstätten. (Begrenzte Evidenz)

Es gibt keine überzeugenden Beweise dafür, den Einsatz von Probiotika zur Prävention von Magen-Darm-Infektionen zu empfehlen.
Vorbeugung von nosokomialen Infektionen

Wenn der Einsatz von Probiotika zur Vorbeugung von nosokomialer Diarrhö in Betracht gezogen wird, kann nur LGG empfohlen werden und der Patient sollte für die Dauer des Krankenhausaufenthaltes mindestens 109KBE/Tag erhalten.

Es gibt keine ausreichenden Beweise, um Probiotika zur Vorbeugung von nosokomialen Atemwegsinfektionen zu empfehlen.
AllergiepräventionProbiotika können aktuell nicht zur Prävention von atopischen Erkrankungen empfohlen werden. 
Probiotika zur Prävention von antibiotisch bedingter Diarrhö

Zur Prävention sollte LGG oder S. boulardii in Erwägung gezogen werden. 

S. boulardii sollte auch in Betracht gezogen werden, um C. difficile-assoziierter Diarrhö vozubeugen. 

Andere Stämme oder Kombinationen werden aktuell nicht empfohlen.

Weil keine entsprechenden Daten vorliegen, sollte der Einsatz der Probiotika bei schwerkranken Kindern besonders kritisch geprüft werden.
Akute Gastroenteritis

LGG und S. boulardii könnten zusätzlich zur Rehydratations-Therapie eingesetzt werden.  

Wenn sie zum Einsatz kommen, dann möglichst früh.  

LGG oder S.boulardii sollte über fünf bis sieben Tage gegeben werden (LGG mindestens 1010 KBE/Tag, S.boulardii 250-750 mg/Tag).

Für andere Stämme oder Kombinationen gebe es aktuelle keine Empfehlungen.   
Abdominale SchmerzstörungenAufgrund der begrenzten Evidenz und fehlender aktueller Richtlinien kann keine Empfehlung für den Einsatz von Probiotika zur Behandlung funktioneller abdominaler Schmerzstörungen ausgesprochen werden.
Koliken bei Kindern

L. reuteri DSM 17938 soll der einzige Stamm sein, der sich bei gestillten Kindern in der Behandlung von Koliken, nicht aber in der Prävention, als wirksam erwiesen hat.   

Die Dosis sollte mindestens 10KBE/Tag betragen und für 21 bis 30 Tage verabreicht werden. 

Es gibt keine Evidenz für andere Stämme oder Kombinationen. 

Insgesamt kommt die Expertengruppe zu dem Schluss, dass spezifische probiotische Stämme wirksam sind, um antibiotisch bedingten und nosokomialen Durchfall zu verhindern. Auch bei Säuglingskoliken könnten sie hilfreich sein. Gerade bei Frühgeborenen, Immunsupprimierten und Patienten mit kritischem Gesundheitszustand sei jedoch besondere Vorsicht geboten. Auch akute Gastroenteritis könnte dieser Expertengruppe zufolge mit Probiotika behandelt werden. Zwei Ende 2018 erschienene Studien können diese Empfehlung allerdings nicht unterstützen

Viele offene Fragen, sind Probiotika sicher?

Anfang Dezember 2018 berichtete DAZ.online schon einmal über das Thema „Probiotika für Kinder“. Damals ging es um eine Studie aus dem New England Journal, die zu dem Schluss kam, dass es sich bei Lactobacillus rhamnosus in der Indikation Durchfall bei Vorschulkindern (akute Gastroenteritis) wahrscheinlich um ein „probiotisches Placebo“ handelt. 

Etwa zeitgleich wurde eine ähnlich designte Studie veröffentlicht, bei der in Kombination mit Lacotobacillus rhamnosus (wie in der ersten Studie) zusätzlich Lactobacillus helveticus eingesetzt wurde – mit ebenfalls negativen Ergebnissen. 

Bei den Probiotika in Deutschland, die Lactobacillus rhamnosus enthalten, handelt es sich sowohl um Arzneimittel, wie das Monopräparat InfectoDiarrstop®  als auch um Nahrungsergänzungsmittel wie das Kombinationspräparat BactoFlor® für Kinder. Ihre Einnahme scheint den neuen Studien zufolge also die Dauer von Durchfall und Erbrechen nicht zu verkürzen. In der Lauer-Taxe liest man allerdings noch: „Beim Menschen konnten Effekte auf Faktoren der zellulären und humoralen Immunität sowie die Verringerung der Dauer der Virusausscheidung bei Rotavirus-Diarrhö nachgewiesen werden. In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Kombination von Lactobacillus und oraler Rehydratation die Dauer der Diarrhö gegenüber einer alleinigen Anwendung von oraler Rehydratation signifikant verkürzt.“ Das könnte daran liegen, dass in den aktuellen Studien weniger Kinder am Rotavirus erkrankt waren. Die Angaben in der Lauer-Taxe entsprechen somit eher den Angaben in der europäischen Leitlinie.  

Gefahren der Probiotika, auch bezüglich ihrer Qualität

Die europäische Leitlinie betrachtet den Einsatz von Probiotika bei Kindern grundsätzlich als sicher, auch in hohen Dosen. Das gilt jedoch nicht für Risikogruppen, wie frühreife, immungeschwächte Patienten, schwerkranke Patienten, Patienten mit zentralem Venenkatheter, Herzklappenerkrankungen und Kurzdarmsyndrom. 
Enterococcus faecium SF68 sollte bei Kindern explizit nicht zum Einsatz kommen, weil so Vancomycin-Resistenzgene übertragen werden könnten.

Besonders kritisch betrachtet die Leitlinie die Qualität der auf dem Markt befindlichen Probiotika, besonders bei Nahrungsergänzungsmitteln, aber auch bei Arzneimitteln. Weil Ärzte und Apotheker hierauf aber keinen Einfluss nehmen können, sehen die Experten die Aufsichtbehörden in der Pflicht. 

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Wann sollte man also Probiotika für Kinder empfehlen? Für die Apotheke lässt sich bezüglich Bauchschmerzen festhalten, dass gerade (chronische) Bauchschmerzen bei Kindern zunächst durch einen Arzt abgeklärt werden müssen. Kann dieser eine ernste Erkrankung ausschließen, sind Probiotika (im Rahmen der ärztlichen Behandlung) bei immer wiederkehrenden Bauchschmerzen einen Versuch wert, solange das Kind keiner Risikogruppe angehört. Der Einsatz von Probiotika bei akuten Bauchschmerzen (Gastroenteritis) könnte hingegen in Kombination mit Rehydratationslösungen nur sinnvoll sein, wenn er früh genug erfolgt. Es bleiben viele Fragen offen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Skepsis?

von Stefan Haydn am 10.01.2019 um 20:07 Uhr

Nur so angemerkt, eine NNT von 8 ist etwas wovon manche anderen Arzneimittel nur träumen können.

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Abraten?

von Klaus Bernd am 10.01.2019 um 9:25 Uhr

Ja, von Kindern schon, die schmutzen so ;-)

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