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Interview
„Kein Apotheker vor Ort kann gegen Amazon konkurrieren“
Vor einer Woche entschied das Landgericht Magdeburg, dass der Verkauf von rezeptfreien, apothekenpflichtigen Medikamenten über die Handelsplattform Amazon nicht wettbewerbswidrig ist. Geklagt hatte der Münchener Apotheker Dr. Hermann Vogel. Im Interview mit DAZ.online erklärt er, warum er den Kampf gegen Amazon für so wichtig hält – und warum er deshalb gegen Kollegen vorgeht.
Im vergangenen März konnte Dr. Hermann Vogel, Inhaber der Winthir-Apotheke in München, mit seiner ersten Klage gegen einen Apotheker, der über Amazon apothekenpflichtige Arzneimittel anbot, vor dem Landgericht Dessau-Roßlau einen Erfolg verbuchen. Das Gericht untersagte dem konkurrierenden Pharmazeuten den Verkauf auf der Handelsplattform, so lange der Datenschutz nicht sichergestellt ist. In einem weiteren Verfahren gegen einen zweiten Apotheker vor dem Landgericht Magdeburg unterlag Vogel in der vergangenen Woche hingegen. DAZ.online hat mit dem Münchener Apotheker gesprochen.
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DAZ.online: Herr Vogel, in ihrem zweiten Prozess gegen einen Apotheker, der apothekenpflichtige Arzneimittel auch über Amazon anbietet, hat das Landgericht Magdeburg Ihre Klage abgewiesen. Sind Sie enttäuscht?
Vogel: Ja und nein. Selbstverständlich hätte ich mir ein anderes Urteil gewünscht. Positiv überrascht hat mich das Medien-Echo. In sehr vielen Online-Medien und auch gerade in Börsen-Portalen wurde diese Nachricht genannt. Man kann den Schluss daraus ziehen, dass für das börsennotierte Unternehmen Amazon der Vertrieb von Arzneimitteln offenbar eine große Bedeutung hat.
DAZ.online: Sie haben nicht gegen Amazon geklagt, sondern gegen einen Apotheker. Wieso?
Vogel: Amazon verkauft ja selbst keine Arzneimittel, sondern einige Kollegen nutzen den so genannten „Amazon Marketplace“ als Versandhandelsplattform. Meiner Überzeugung nach ist dieser Vertriebsweg für Apotheken nicht gesetzeskonform.
DAZ.online: Wo sehen sie das Problem?
Vogel: Grundsätzlich lassen sich meine Bedenken auf zwei Punkte konzentrieren: Zum einen werden die Artikel auf Amazon wie in der Freiwahl einer Apotheke angeboten – und nach der Apothekenbetriebsordnung dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nicht im Wege der Selbstbedienung angeboten werden. Zum anderen werden bei Amazon die für Apotheker geforderten Regelungen des Datenschutzes nicht eingehalten.
DAZ: Und was läuft bei Amazon aus Ihrer Sicht beim Datenschutz nicht korrekt ab?
Vogel: Gemäß unserer Berufsordnung (Anm. der Redaktion: §14 BO Bayern) gilt hinsichtlich Kundendaten der Grundsatz: „Erst fragen, dann speichern“. Bei Amazon läuft es genau anders herum: „Erst speichern und dann fragen“. Beim Kauf von Arzneimitteln geht es nachweislich auch um Gesundheitsdaten. Und jeder Kunde/Patient muss explizit in die Speicherung dieser Daten einwilligen. Bei Amazon ist dies technisch gar nicht möglich, da der für die Speicherung der Gesundheitsdaten verantwortliche Apotheker diese Möglichkeit erst dann hat, wenn Amazon die Daten bereits bei sich gespeichert hat.
Genießt Amazon bei Behörden Immunität?
DAZ.online: Jeder Nutzer von Amazon muss sich doch einverstanden erklären, dass seine Daten gespeichert werden dürfen. Reicht das nicht?
Vogel: Eben nicht. Bei Gesundheitsdaten muss jedes Mal explizit und unabhängig von der Zustimmung zu den „Nicht-Gesundheitsdaten“ gefragt werden. Und noch etwas: Gerade bei Bestandskunden, die Amazon seit mindestens zehn Jahren nutzen, wird beim Kauf von Arzneimitteln gar nicht nach einer Einwilligung gefragt.
DAZ.online: In einem ersten Rechtsstreit gegen einen „Amazon-Apotheker“ sind Sie vergangenes Jahr im März mit dieser Argumentation vor dem Landgericht Dessau-Roßlau durchgekommen…
Vogel: So ist es! Das Landgericht Dessau ist dieser Argumentation gefolgt. Das aus meiner Sicht auch für Nicht-Juristen verständliche Urteil sollte jeder Apotheker einmal komplett lesen! Es zeigt, welche Verantwortung wir Apotheker hinsichtlich der Gesundheitsdaten unserer Kunden tragen.
DAZ.online: Haben Sie hierüber bereits mit Behörden gesprochen? Sollten diese nicht tätig werden, wenn tatsächlich Datenschutzvorschriften verletzt werden?
Vogel: Ich habe dort mein Anliegen schriftlich vorgetragen – aber außer einer Eingangsbestätigung habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Auch bei der für die Münchner Apotheken zuständige Aufsichtsbehörde bin ich vergeblich vorstellig geworden. Nachdem im Mai 2017 Amazon Prime in München gestartet ist, haben ein Kollege und ich die Behörde auf die datenschutzrechtlichen Missstände und auf die fehlende gesetzlich geforderte Zweitzustellung bei Amazon Prime hingewiesen. Konsequenzen gab es jedoch keine. Wir haben noch mehrmals beim Kreisverwaltungsreferat nachgehakt und ich bin sehr erstaunt, wie nachsichtig die Münchner Behörde bei Amazon prime ist. Während die Wiedereröffnung einer Apotheke wegen einer zu hoher Eingangsschwelle verweigert wird oder Apotheker für eine neunminütige Abwesenheit die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, genießt Amazon prime offensichtlich bei Behörden, Pharmazieräten und Kammern Immunität.
DAZ.online: Warum meinen Sie, ist das so?
Vogel: Das müssen Sie die zuständigen Behörden und Personen fragen.
„Optimismus ist Pflicht!“
DAZ.online: Halten Sie Amazon für einen größeren Konkurrenten als EU-Versandapotheken wie DocMorris?
Vogel: Kein Apotheker vor Ort kann gegen Amazon konkurrieren. Amazon ist für DocMorris auch keine Konkurrenz, sondern die Existenzbedrohung. Circa 70 Prozent unserer Kunden in öffentlichen Apotheken sind gleichzeitig Amazon-Kunden. Im Gegensatz zu DocMorris muss Amazon diese gar nicht erst suchen oder sich bemühen, diese als „Käufer“ zu überzeugen und gewinnen. Als Amazon-Kunde ist es doch nur ein kleiner Schritt, neben Klopapier und Hundefutter auch Gesundheitsprodukte und Arzneimittel zu bestellen bzw. Rezept und Gutscheine der Krankenkassen einzulösen. Amazon sind hier die Profis, Versandapotheken blutige Amateure.
DAZ.online: Was heißt das für die Beratung?
Vogel: Apotheken vor Ort mit der kostenlosen Beratung wird es weiterhin geben, auch für die Patienten, die bei Amazon kaufen. So ist die Rechtslage. Vielleicht werden zukünftig die Wege dorthin für den einzelnen Patienten etwas weiter. Und natürlich wird Amazon nie unsere Fachkompetenz erreichen und die pharmazeutische Leistung wird stets schlechter und die individuelle Beratung unpersönlich sein. Aber kein Apotheker – egal ob Versand oder vor Ort – kann als Kaufmann mit der künstlichen Intelligenz von Amazon mithalten.
DAZ.online: Blicken Sie da nicht pessimistisch in die Zukunft ihres Berufsstands?
Vogel: Nein, Optimismus ist Pflicht! Und die aktuelle Auswertung von Gesundheitsdaten durch Amazon ist ja weder vom Gesetzgeber noch von den Kunden und Patienten so gewollt. Aber wenn wir Apotheker weiter akzeptieren, dass Großkonzerne wie Amazon Gesundheitsdaten bei Arzneimittelkäufen zu kommerziellen Zwecken missbrauchen, sind wir selber schuld. Jeder von uns kauft doch selber bei Amazon ein, mich eingeschlossen. Und wir genießen den Komfort bei Amazon. Aber sind wir nicht als Apotheker verpflichtet, für unsere Rechte und die unserer Patienten vor Gericht zu kämpfen?
DAZ.online: Was für einen Datenmissbrauch fürchten Sie?
Vogel: Aus der Analyse von Gesundheitsdaten können zum Beispiel zu Bonitätskriterien und Einkauflimits werden – mit negativen Folgen für den Patienten. So hat z.B. der an Leukämie erkrankte ehemalige Spitzensportler Tim Lobinger keinen Handyvertrag mehr erhalten. Aber auch Versicherungen, Banken und Arbeitgeber dürften ein hohes Interesse an den Gesundheitsdaten haben. Gesundheitsdaten haben einen sehr hohen Einfluss auf das Rating bzw. das digitale Persönlichkeitsprofil, nicht nur jedes Amazon-Kunden. Bei uns Apothekern ist in dieser Hinsicht nichts zu holen. Doch Amazon monetarisiert jetzt schon seine Kundendaten mit hohen Profiten.
DAZ.online: Sie haben nun zwei Klageverfahren geführt, die in erster Instanz unterschiedlich entschieden wurden. Im Berufungsverfahren gegen das Dessauer Urteil wird in absehbarer Zeit ein Urteil erwartet. Wie weit und wie lange wollen Sie diese Rechtsstreitigkeiten fortführen?
Vogel: Ich werde durch alle Instanzen gehen bzw. so lange kämpfen, wie es die Anwälte meines Vertrauens für sinnvoll halten.
DAZ.online: Die Kosten für solch ein Verfahren sind wahrscheinlich nicht unerheblich. Werden Sie finanziell unterstützt?
Vogel: Nein. Einige Kollegen haben mir Unterstützung angeboten. Darüber habe ich mich riesig gefreut. Aktuell ist es noch zu stemmen.
DAZ.online: Danke für das Gespräch, Herr Vogel!
2 Kommentare
Liegt da schon Das Wort Korruption in der Luft?
von Heiko Barz am 01.02.2019 um 11:33 Uhr
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Amazon
von Agnieszka am 29.01.2019 um 23:38 Uhr
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