Langzyklus versus Intervall

„Kann ich die Pille auch bedenkenlos durchnehmen?“

Stuttgart - 07.02.2019, 15:45 Uhr

Kombinierte orale hormonelle Kontrazeptiva: Muss die Pillenpause zwischen zwei Blisterpackungen sein? (Foto: Africa Studio / stock.adobe.com)

Kombinierte orale hormonelle Kontrazeptiva: Muss die Pillenpause zwischen zwei Blisterpackungen sein? (Foto: Africa Studio / stock.adobe.com)


Dass man die Pille auch mal „durchnehmen“ kann, ist keine neue Idee und wird von Frauen schon lange in eigener Regie praktiziert. Denn meist bedeutet keine Pillenpause auch keine Blutung und die damit einhergehenden Beschwerden. Aber wozu ist die Pillenpause dann überhaupt gut? Kann man sie dauerhaft verkürzen oder komplett auf sie verzichten? Britische Leitlinien meinen „ja“: Seit Januar 2019 empfehlen sie, meist off-label, den Langzyklus. Kommt der Langzyklus bald auch offiziell nach Deutschland?

Manchmal machen Patienten in der Apotheke schon große Augen, wenn man sie nur fragt, ob sie das Arzneimittel schon einmal eingenommen haben. Und zugegeben kommt einem als Apotheker diese Frage besonders schwer über die Lippen, wenn es sich um eine Frau über 20 handelt, die eine Verordnung über orale Kontrazeptiva einlöst. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie „die Pille“ schon über Jahre hinweg einnimmt und dass eine Nachfrage dazu sie eher verunsichert, als zum Gespräch einlädt, ist groß. Also wandelt man die Frage ab: „Nehmen Sie dieses Präparat schon länger ein, oder haben Sie gewechselt?“ So kann ein Gespräch entstehen. Dass dieses manchmal notwendig ist, zeigen die jüngsten öffentlichen Diskussionen zur Pille um ihre Nebenwirkung „depressive Verstimmung und Depression“ und dem daraus möglicherweise folgenden Suizid-Risiko. Am 21. Januar 2019 wurde ein entsprechender Rote-Hand-Brief versendet. 

Ebenfalls am 21. Januar 2019 verkündete die britische FSRH (Faculty of Sexual & Reproductive Healthcare of the Royal College of Obstetricians & Gynaecologists) in einer Pressemitteilung die Veröffentlichung ihrer neuen Leitlinie zu kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK)

Die Neuheit in dieser Leitlinie ist eine ganz andere: Das siebentägige hormonfreie Intervall – also die Pillenpause – soll keinen gesundheitlichen Benefit bieten, heißt es dort. Das Evidenzlevel der entsprechenden Empfehlungen zum Langzyklus-Regime entspricht (nur) Expertenmeinungen, und sie beziehen sich nur auf kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK), die weniger als 35 µg Ethinylestradiol kombiniert mit Progesteron enthalten – auf Darreichungsformen wie Pflaster und Ring sollen sie sich aber übertragen lassen.

Auch für Deutschland wurde eine neue Leitlinie zur Empfängnisverhütung im August 2018 erwartet, bisher ist sie nicht erschienen. Im Internet stößt man aber auf eine vorläufige Version, die erkennen lässt, dass wahrscheinlich auch in Deutschland – im Gegensatz zur abgelaufenen Leitlinie – bald der Langzyklus neben dem konventionellen Pillen-Regime gleichberechtigt existieren könnte. Wie sieht so ein Langzyklus also aus?

Nie wieder Pillenpause: Nie wieder Krämpfe und Blutung?

In der neuen britischen Leitlinie heißt es, dass Frauen sich gefahrlos für weniger (oder gar keine) hormonfreien Intervalle (HFI) entscheiden könnten, um die monatliche Blutung, Krämpfe und andere Symptome zu vermeiden. Wer sich weiterhin für ein HFl entscheide, könne dieses auf vier Tage verkürzen und so möglicherweise das Risiko einer Schwangerschaft verringern – sollten Pille, Pflaster oder Ring einmal vergessen werden.
Denn bei der konventionellen Einnahme kommt es während des hormonfreien Intervalls zum Anstieg von FSH (follikelstimulierendes Hormon). Dann könnten Follikel rekrutiert werden, die sich auch noch in der ersten Woche des neuen Einnahmezyklus weiterentwickeln. Gerade dieses Zeitfenster bietet deshalb das höchste Risiko einer unerwünschten Schwangerschaft.

Einnahme-Schema Einnahmezeiten Hormonfreie Intervalle (HFI)
Standard 21 Tage (21 wirkstoffhaltige Pillen, ein Ring oder drei Pflaster) 7 Tage
Individuell zugeschnittene Regimes
Verkürztes hormonfreies Intervall 21 Tage (21 wirkstoffhaltige Pillen, ein Ring oder drei Pflaster) 4 Tage
Verlängertes Regime („tricycling“) 9 Wochen (3 x 21 wirkstoffhaltige Pillen, drei Ringe oder neun Pflaster hintereinander) 4 oder 7 Tage
Flexibel verlängertes Regime Kontinuierliche Einnahme/Anwendung (mindestens ein 21-Tage-Zyklus), bis eine Durchbruchblutung für drei bis vier Tage auftritt 4 Tage
Kontinuierliches Regime Daueranwendung ohne Pause Keine
Quelle: FSRH Guideline Combined Hormonal Contraception

Verkürzt man also das HFI beispielsweise auf 4 statt 7 Tage (oder lässt es komplett aus), wird die Follikelreifung besser unterdrückt und die kontrazeptive Sicherheit verbessert sich theoretisch. Zusätzlich könnte ein so angepasstes Regime in der Anwendung weniger Fehlermöglichkeiten bieten. Bezüglich der Empfängnisverhütung seien zwar lang wirksame reversible Verhütungsmittel (long-acting reversible contraceptives, LARCs) am effektivsten, heißt es in der britischen Pressemitteilung. Wird „die Pille“ aber vorbildlich eingenommen, verhüte auch sie zu 99 Prozent eine Schwangerschaft. Anwenderinnen nutzten die Pille allerdings typischerweise nicht vorbildlich, sodass schätzungsweise 9 Prozent innerhalb des ersten Jahres der Einnahme schwanger würden: „Das Auslassen einer Pille ist zu Beginn und am Ende eines pillenfreien Intervalls am risikoreichsten. Die Leitlinie schlägt vor, dass Frauen durch weniger – oder auf vier Tage verkürzte – hormonfreie Intervalle ihr Risiko, schwanger zu werden, verringern können“, wird Dr. Diana Mansour, die Vizepräsidentin für „Clinical Quality" der FSRH in der Pressemitteilung zitiert.

Online-Verordnung für ein Jahr?

Eine weitere neue Botschaft der britischen Leitlinie lautet, dass die Versorgung mit und die Beratung zu kombinierten hormonellen Kontrazeptiva online erfolgen könne. Ein persönlicher Kontakt sei nicht unbedingt notwendig. Zudem könnten die kombinierten hormonellen Kontrazeptiva vielen Frauen schon nach der ersten ärztlichen Beratung gefahrlos für ein Jahr verordnet werden, statt des aktuell üblichen Rhythmus von drei Monaten: „Wenn kombinierte Kontrazeptiva von einer Frau gewünscht werden und man sie für sie als sichere Option erachtet, können Ärzte einen Jahresbedarf bereits beim ersten Termin verordnen“, ergänzt Mansour. 

Gleichzeitig erinnere die Leitlinie daran, was zwar nicht neu, aber weiterhin wichtig sei, heißt es in der Pressemitteilung: Kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) erhöhen das Risiko (gering) für Thrombosen und Brustkrebs. Bei Frauen über 50 Jahren sollten kombinierte hormonelle Kontrazeptiva nicht zum Einsatz kommen. 

Währenddessen nutzt „die Pille“ nicht nur bei der Verhütung. Sie kann zudem bei starken oder schmerzhaften Monatsblutungen, Akne und PMS (prämenstruellen Syndrom) helfen. Auch bei Endometriose, Uterus myomatosus, polyzystischem Ovarsyndrom oder Migräne (Vorsicht bei Aura!) soll gerade der Langzyklus erhebliche Vorteile bieten. Und auch für manche Krebsarten senkt die Pille sogar das Risiko

Dass das Thema Verhütung insgesamt als sehr individuell betrachtet werden muss, betont die Kodirektorin, Dr. Sarah Hardman, der „Clinical Effectiveness Unit“ der FSRH: „Wir sind alle unterschiedlich: Es gibt nicht die eine Verhütungsmethode, die für alle Frauen die beste ist. Deshalb ist es wirklich wichtig, dass Frauen eine Wahl haben.“

Wieso gibt es das hormonfreie Intervall und welche Pille eignet sich für den Langzyklus?

Ein deutscher Artikel vom Oktober 2018 widmet sich in der Zeitschrift „Der Gynäkologe“ ausführlich dem Thema „Kontrazeption im Langzyklus“. Auch dort heißt es, dass sich der sogenannte Langzyklus neben dem konventionellen Modus (21 Tage, gefolgt von sieben hormonfreien Tagen) etabliert habe. Somit stünden heute verschiedene Einnahmeschemata zur Verfügung. In seiner stärksten Ausprägung könne der Langzyklus kontinuierlich erfolgen, also ohne hormonfreies Intervall (kontinuierliches Regime).

Nachteilig am Langzyklus seien vor allem in der ersten Einnahmephase Blutungsstörungen, die dann aber sistieren. Die Risiken hinsichtlich Gerinnungssystem und Stoffwechsel seien jedoch vergleichbar zu den Risiken bei zyklischer Einnahme. Der unbemerkte Eintritt einer Schwangerschaft ist zwar auch im Langzyklus nicht vollständig auszuschließen, soll aber ein extrem seltenes Ereignis darstellen.
Bei Anwendung der Pillen früherer Generationen soll es – aufgrund der höheren Dosierung und der damit einhergehenden stärkeren Suppression der Hypophyse – teils zu „post pill amenorrhea“ und damit zu einer verzögerten Rückkehr zur normalen Fertilität gekommen sein. Bei Anwendung des Langzyklus mit den heute üblichen niedrigdosierten Präparaten über einen Zeitraum von zwei Jahren soll eine solche Verzögerung jedoch nicht nachweisbar sein.

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Wenn der Langzyklus also keine neuen Nebenwirkungen (außer kurzzeitige Durchbruchblutungen) mit sich bringt und die Nebenwirkungen der konventionellen Einnahme sogar vermeidet, warum hat man überhaupt jemals den konventionellen Modus angestrebt?
Das lag daran, dass man bei der Entwicklung hormoneller Kontrazeptiva versuchte, den natürlichen Menstruationszyklus zu imitieren. Doch ob dieser Zyklus, wie wir ihn heute kennen, wirklich so natürlich ist, kann in Frage gestellt werden. Die „moderne Frau“ erlebe heute rund 450 Menstruationsblutungen, heißt es in der „Der Gynäkologe“. Ende des 19. Jahrhunderts sollen es durchschnittlich rund 160 gewesen sein. Die Wahrscheinlichkeit für zyklusabhängige Beschwerden sei somit heute viel höher als damals.
Der 28-Tage-Zyklus bei der Entwicklung „der Pille“ folgte somit eher soziologischen und kulturellen Erwägungen als biologischen. Physiologisch sei eine regelmäßige Menstruationsblutung nicht notwendig (ein langjährig fehlender zyklischer Gestageneffekt könne jedoch mit einem erhöhten Endometriumkarzinomrisiko einhergehen, sofern noch eine basale endogene Östrogensekretion vorliegt).

Welche Pille eignet sich für den Langzyklus?

Schon seit den 1970er Jahren wird zum Langzyklus und zur kontinuierlichen Pilleneinnahme geforscht. 2003 wurde das erste Präparat von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA für den Langzyklus zugelassen (30 µg Ethinylestradiol und 150 µg Levonorgestrel für die kontinuierliche Anwendung über 84 Tage (entsprechend vier Blistern) mit nachfolgend sieben hormonfreien Tagen). 

In Deutschland gibt es bislang nur zwei Präparate, die auch tatsächlich für den Langzyklus (mit HFI) zugelassen sind, ansonsten fällt der Langzyklus unter den Off-Label-Use: 

  • Seasonique® (30 µg Ethinylestradiol + 150 µg Levonorgestrel über 84 Tage, gefolgt von sieben Tabletten mit 10 µg Ethinylestradiol) 
  • Velmari Langzyklus® (20 µg Ethinylestradiol + 3 mg Drospirenon, über mindestens 24 Tage oder maximal 120 Tage, dann vier Tage Pause) 

Auch in Großbritannien sind nur wenige Präparate mit verkürztem hormonfreien Intervall zugelassen. In der Leitlinie unterstützt die FSRH deshalb den Off-Label-Einsatz im Rahmen individuell angepasster Einnahme-Schemata. Dabei sollen aber nur monophasische KOK zum Einsatz kommen, die im Rahmen eines 21/7-Regimes zugelassen sind. Sollte ein Präparat Placebo-Pillen enthalten, sollten diese verworfen werden. Multiphasische KOK sollten nicht in individuell angepassten Einnahme-Schemata zum Einsatz kommen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Pille mit Estrogen und gestagen

von Martin Straulino am 16.02.2019 um 17:44 Uhr

Auf Seite 1 wird geschrieben:
Das Evidenzlevel der entsprechenden Empfehlungen zum Langzyklus-Regime entspricht (nur) Expertenmeinungen, und sie beziehen sich nur auf kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK), die weniger als 35 µg Ethinylestradiol kombiniert mit Progesteron enthalten.
Meines Erachtens müsste der Begriff "Progesteron" durch "Gestagen" ersetzte werden. Meines Wissens werden nur synthetische körperfremde Gestagene eingesetzt und nicht das körperidentische Progesteron.

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