Resolution

EU-Parlament will Cannabismedizin fördern und „vergisst“ die Blüten

Berlin - 14.02.2019, 14:45 Uhr

Das EU-Parlament hat am gestrigen Mittwoch eine Resolution zur Cannabismedizin verabschiedet. (c / Foto: imago)

Das EU-Parlament hat am gestrigen Mittwoch eine Resolution zur Cannabismedizin verabschiedet. (c / Foto: imago)


Mehr Forschung und Abbau kultureller Barrieren in der Cannabismedizin – dies und mehr fordert das EU-Parlament in einer Resolution, die am gestrigen Mittwoch in Straßburg verabschiedet wurde. Außerdem wollen die Abgeordneten von der EU-Kommission eine klare Definition des Begriffs „Cannabismedizin“. Die Präferenz des Parlaments, was darunter zu verstehen ist, geht aus dem Resolutionstext bereits hervor.

Der Einsatz von Cannabis als Medizin in Europa ist ein Flickenteppich. Der langjährige Status der Pflanze als illegale Droge hatte die Forschung erschwert, Fachkreise fordern mehr Evidenz. Wissenschaftliche Debatten werden häufig emotional geführt.

Diese Baustellen sind inzwischen im EU-Parlament angekommen. Am gestrigen Mittwoch verabschiedeten die Abgeordneten in Straßburg eine Resolution, mit der die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, die Nutzung und Erforschung von Cannabisarzneimitteln voranzutreiben.

Abgrenzung zur Freizeitanwendung

Darin werden die EU-Kommission und die nationalen Behörden dazu aufgefordert, eine Definition für den Begriff Cannabismedizin zu schaffen. Dabei solle zwischen Cannabisprodukten mit einer Arzneimittelzulassung und Cannabis, das nicht in klinischen Studien getestet wurde, unterschieden werden.

Außerdem soll die medizinische von der Freizeitanwendung differenziert werden. „Zu oft wird der Freizeitkonsum von Cannabis mit dem medizinischen Einsatz verwechselt“, erklärte Tiemo Wölken, SPD-Abgeordneter im EU-Parlament, nach der Abstimmung gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Patientinnen und Patienten, denen dieser Einsatz helfen kann, müssen legal und sicher versorgt werden können.“

Was ist Cannabismedizin?

Was bei der medizinischen Anwendung zu bevorzugen ist, dazu hat das EU-Parlament anscheinend bereits eine Meinung. So steht in der Resolution, dass seitens der Kommission sicherzustellen sei, „dass sicheres und kontrolliertes Cannabis, das für medizinische Zwecke eingesetzt wird, nur in Erzeugnissen auf Cannabis-Basis besteht, für die klinische Prüfungen durchgeführt wurden und eine Überprüfung und Zulassung durch die Regulierungsbehörden erfolgt ist.“

In Deutschland gibt es derzeit nur wenige zugelassene Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis wie beispielsweise Sativex®. Cannabisblüten, die in der Versorgung derzeit eine größere Rolle spielen, sowie die Rezeptursubstanz Dronabinol haben dagegen keine Arzneimittelzulassung. Interessanterweise wird an einer anderen Stelle im Dokument auf die Vielfalt der in der Pflanze enthaltenen Cannabinoide und deren klinisches Potenzial hingewiesen. Hier ist anzumerken, dass Patienten von dem Inhaltsstoffspektrum vor allem dann in vollem Maße profitieren können, wenn sie die Blüten anwenden. Bei Präparaten, die auf Monosubstanzen beruhen, wie beispielsweise Dronabinol, wäre dies nicht der Fall.

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses im EU-Parlament hatte sich per Änderungsantrag dafür eingesetzt, dass mit der Resolution auch die Blüten gefördert werden, was allerdings nicht berücksichtigt wurde. „Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass die medizinische Verwendung von Cannabis in Blütenform gleichberechtigt zu anderen Formen des medizinischen Cannabis gefördert wird“, erklärte Häusling am gestrigen Mittwoch in einer Mitteilung.

Barrieren abbauen

Des Weiteren will das EU-Parlament die Cannabis-Forschung fördern. Da Cannabismedizin ein weites Feld ist, soll die EU-Kommission Prioritäten bei den weiter zu untersuchenden Anwendungsgebieten vornehmen. Der Resolutionstext enthält zudem einen klaren Appell, das Potenzial der Cannabismedizin besser zu nutzen: „… fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die regulatorischen, finanziellen und kulturellen Hindernisse zu beseitigen, vor denen die wissenschaftliche Forschung zum Einsatz von Cannabis in der Medizin und die allgemeine Forschung im Bereich Cannabis steht.“

Dem Einsatz von Cannabis in der Praxis steht neben moralischen Vorbehalten häufig auch mangelndes Wissen und Erfahrung im Weg. Auch diese Hürde möchte das EU-Parlament beseitigen und fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, das medizinische Fachpersonal in der Anwendung von Cannabisarzneien auszubilden.

Therapiehoheit des Arztes

Weitere Punkte in der Resolution betreffen die Patientenversorgung in der Praxis. Hier ist im Hinblick um die aktuelle Debatte um den Genehmigungsvorbehalt durch die Kassen möglicherweise folgende Passage interessant, in der die Therapiehoheit des Arztes hervorgehoben wird: „… fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, es völlig dem professionellen Ermessen der Ärzte zu überlassen, Patienten mit entsprechenden Krankheiten offiziell zugelassene Arzneimittel auf Cannabis-Basis zu verschreiben, und es Apothekern zu gestatten, diese Rezepte einzulösen.“ Die Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass Cannabismedizin von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird.

Die Entschließung hat zwar keinen gesetzgeberischen Charakter, stellt jedoch ein starkes politisches Signal zur Cannabismedizin auf EU-Ebene dar. Auf internationaler Ebene bewegt sich Einiges beim Cannabis. So hatte vor kurzem die WHO der UN empfohlen, die „Gefahrenstufe“ von Cannabis als Droge zu verringern. Die Entscheidung der UN steht allerdings noch aus.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Heutige Rechtslage in Deutschland

von woewe am 15.02.2019 um 9:48 Uhr

Dank, ich erinnere hier noch einmal an die BVerwG-Urteile zum Thema "Cannabis-Blüten":
Urteil vom 19.05.2005 - BVerwG 3 C 17.04
Leitsatz:
Der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zur Behandlung einer Multiple-Sklerose-Erkrankung beim Antragsteller kann nicht nach § 3 Abs. 2 BtMG mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse.
(Ja, in diesem Urteil ging es explizit um Cannabis vs. Dronabinol, das bei ihm keine Wirkung erziele)

Urteil vom 06.04.2016 - BVerwG 3 C 10.14

Leitsätze:
1. Der Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken liegt im öffentlichen Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG, wenn der Antragsteller an einer schweren Erkrankung leidet und ihm zur Behandlung der Krankheit keine gleich wirksame und für ihn erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung steht.
Zum Gesetz zu medizinischen Cannabis heißt es auf der BMG-Webseite, es "können neben Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis auch getrocknete Cannabisblüten von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden, wenn diese zu Therapiezwecken notwendig sind."
Und der Spezialist für das physiologische Zusammenwirken der Inhaltsstoffe von Hanfblüten, Dr. Ethan Russo, arbeitet seit 2 Jahren am ICCI in Prag.

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Vergessen?

von Michael Mischer am 15.02.2019 um 9:25 Uhr

Zitat aus der Resolution:
"1. fordert die Kommission und die nationalen Behörden auf, zusammen eine rechtliche Definition des Begriffs „medizinisches Cannabis“ zu erarbeiten und eindeutig zwischen Arzneimitteln auf Cannabis-Basis, die von der EMA oder anderen Regulierungsbehörden zugelassen wurden, medizinischem Cannabis, das keinen klinischen Prüfungen unterzogen wurde, und anderen Anwendungen von Cannabis (z. B. Freizeitkonsum oder industrieller Einsatz) zu unterscheiden
[...]
10. fordert die Kommission auf, mit den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um den gleichberechtigten Zugang zu Arzneimitteln auf Cannabis-Basis zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die Kosten für Arzneimittel, die bei bestimmten Krankheiten wirksam sind, wie bei anderen Arzneimitteln auch von den Krankenversicherungen übernommen werden, wenn dies zulässig ist; fordert die Mitgliedstaaten auf, den Patienten eine sichere und gleichwertige Auswahl unterschiedlicher Arten von Arzneimitteln auf Cannabis-Basis zu bieten und sicherzustellen, dass die Patienten während ihrer Behandlung von spezialisiertem medizinischem Personal betreut werden"

Ich sehe nicht, dass die Blüten vergessen worden wären. Das Parlament kommt nur zu der (ja durchaus vernünftigen) Ansicht, dass man zwischen zugelassenen (und damit i.d.R.) klinisch ausreichend geprüften Cannabis-Arzneimitteln und den nicht klinisch geprüftenCannabis-Arzneimitteln unterscheiden müsse.

Wer hier argwöhnt, das erstere umfasse keine Blüten, hat entweder den Begriff des Arzneimittels (AMG) falsch verstanden oder geht davon aus, dass Blüten per se nicht klinisch geprüft werden könnten. Damit stellt man sich aber auf die selbe Stufe wie Pseudowissenschaften.

Ich lese hier im Weiteren eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten und die Kommission, medizinisches Cannabis für all die Erkrankungen als Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, bei denen es eine Wirksamkeit hat. Und die Forderung, dass Arzneimittel ihre Wirkung belegen müssen, ist ja nun nicht gerade absurd.

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AW: Vergessen

von Bettina Jung am 15.02.2019 um 16:10 Uhr

Sehr geehrter Herr Mischer,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Der Begriff "vergessen" ist selbstverständlich nicht wörtlich gemeint, weshalb er auch in Anführungszeichen gesetzt wurde. Für eventuelle Missverständnisse bitten wir um Entschuldigung.

Sie haben recht, weiter oben z.B. in Punkt 1. bei den Begriffsbestimmungen tauchen die Blüten auf. Eine Wertung geht allerdings aus Punkt 14 hervor:" ...fordert die Kommission auf, mit den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um
sicherzustellen, dass sicheres und kontrolliertes Cannabis, das für medizinische Zwecke
eingesetzt wird, nur in Erzeugnissen auf Cannabis-Basis besteht, für die klinische
Prüfungen durchgeführt wurden und eine Überprüfung und Zulassung durch die
Regulierungsbehörden erfolgt ist;"

Dies träfe in Deutschland derzeit weder für die Blüten noch für Dronabinol-oder sonstige Rezepturen (z. B. Tilray) zu, die GKV-Verordnungszahlen zufolge, den Löwenanteil in der Versorgung von Cannabispatienten ausmachen.

herzliche Grüße
Ihre DAZ.online-Redaktion

Kein "vergessen"!

von Micha Greif am 15.02.2019 um 9:09 Uhr

Von "vergessen" kann keine Rede sein, es lag schließlich ein konkreter Antrag der Grünen hierfür vor, über den ganz bewusst abgestimmt und somit mehrheitlich abgelehnt wurde.

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die "vergessenen Blüten"

von Gabriele Gebhardt am 14.02.2019 um 19:17 Uhr

danke, dass Sie die Realität und die Patienten im Auge behalten, und sich nicht der Kampagne gegen Cannabisblüten anschließen.

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