US-Studie

Grippeimpfstoffe aus Zellkulturen schützen laut einer Studie besser

USA / Stuttgart - 20.02.2019, 09:00 Uhr

Einer Studie zufolge wirkte Flucelvax Tetra 10 Prozent besser gegen Influenza als eibasierte Grippeimpfstoffe. (Foto: imago)

Einer Studie zufolge wirkte Flucelvax Tetra 10 Prozent besser gegen Influenza als eibasierte Grippeimpfstoffe. (Foto: imago)


Die Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen könnte besser sein. Wie gelingt es aber, die Effektivität der Influenzavakzine zu steigern? Eine Studie in den Vereinigten Staaten liefert nun Hinweise, dass die Herstellmethode der Grippeimpfstoffe Einfluss hat, wie gut der Impfstoff vor einer Grippeerkrankung schützt. In der Studie werden hühnerei- mit zellkulturbasierten Impfstoffen vergleichen. Tatsächlich zeigt sich eine bessere Impfeffektivität für die Zellkultur-basierten Impfstoffe.

Die letztjährige Grippesaison 2017/18 verlief fulminant, nicht nur hierzulande, ebenso international. So kämpften auch die Vereinigten Staaten mit einer schlimmen Influenzawelle, allerdings zeichnete in den USA vor allem das Influenza-A-Virus (H3/N2) für die meisten Erkrankungen verantwortlich. In Deutschland dominierte hingegen der Influenza-B-Stamm Yamagata. Was beide Länder gemeinsam hatten: Die Wirksamkeit der Influenzavakzine war nicht sonderlich überzeugend.

Grippeimpfstoff-Effektivität 2017/18 Deutschland und USA

Für Deutschland ermittelte das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Gesamteffektivität der Influenzavakzine 2017/18 von 15 Prozent. Isoliert für den Hauptübeltäter Influenza B Yamagata betrachtet, lag diese nur bei 1 Prozent, wobei in der letztjährigen Grippesaison nur die tetravalente Vakzine vor diesem Subtyp schützte, diese jedoch kaum verimpft wurde, da die Vierfachstandardimpfung erst in diesem Jahr vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in die Schutzimpfungsrichtlinie aufgenommen wurde. Für Influenza A(H1/N1) lag die Impfeffektivität mit 48 Prozent erstaunlich gut. Eine separate Analyse für Influenza A(H3/N2) und B Victoria führte das RKI nicht durch. Auch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) ermittelte für die Vereinigten Staaten die Wirksamkeit der Influenzavakzine. Die Gesamteffektivität der Grippeimpfung lag dort bei 40 Prozent, für Influenza B Yamagata bei 49 Prozent. Sorgenkind war in den USA vor allem Influenza A(H3/N2). Laut dem CDC lag die Effektivität gegen Influenza A(H3/N2) bei 24 Prozent, für über 65-Jährige sogar nur bei 17 Prozent.

Insbesondere der Influenzasubtyp A(H3/N2) scheint hinsichtlich der Impfwirksamkeit besonders anspruchsvoll zu sein und öfter einmal „Ärger“ zu machen. Warum ist das so? Seit längerem vermuten Wissenschaftler, dass die sogenannte Eiadaption, die Grippeviren bei der Herstellung von Vakzinen in Hühnereiern durchlaufen, für die geringe Impfeffektivität der Grippevakzine mitverantwortlich ist und somit eine Grippeimpfstoffproduktion in Säugetierzellkulturen vorteilhaft sein könnte. Schützen Influenzavakzine aus Zellkulturen besser als solche aus Hühnereiproduktion?

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In einer Kohortenstudie, initiiert von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC in Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Krankenversicherungen, gingen Wissenschaftler dieser Frage auf den Grund. Sie verglichen in einer retrospektiven Analyse die Daten von 1,3 Millionen Patienten über 65 Jahren und hierbei die Wirksamkeit von zellbasierten Influenzavakzinen mit der Effektivität von eibasierten. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung – Relative effectiveness of cell-cultured and egg-based influenza vaccines among the U.S. elderly, 2017-18 – veröffentlichten die Forscher im Dezember 2018 im Journal of Clinical Infectious Dieseases. Die Vermutung war, dass ein zellkulturbasierter tetravalenter Grippeimpfstoff – in diesem Fall Flucelvax® Tetra – wirksamer vor einer Grippeerkrankung schützt als die bislang konventionell in Hühnerembryonen hergestellten.

10 Prozent mehr Schutz durch Influenzavakzine aus Zellkulturen

Die Untersuchung berücksichtigte 13 Millionen Versicherungsträger, die 65 Jahre oder älter waren und die zwischen August 2017 bis Ende Januar 2018 entweder eine ei- oder zellkulturbasierte Grippeimpfung erhielten. Bei der eibasierten Grippeimpfung gab es mehrere Optionen, so dass es insgesamt fünf Kohorten gab: 

  • tetravalente zellkulturbasiert (653.099 Patienten, 5 Prozent) 
  • eibasiert tetravalent (1.844.745 Patienten, 14 Prozent) 
  • eibasiert trivalent (1.007.082 Patienten, 7 Prozent) 
  • eibasiert high-dose trivalent (8.449.508 Patienten, 63 Prozent)
  • adjuvantiert trivalent (1.465747 Patienten, 11 Prozent) 

Der Fokus der Untersuchung lag primär auf dem Vergleich der beiden tetravalenten Vakzine – eibasiert und zellkulturbasiert. Interessiert hat die Wissenschaftler vor allem die grippebedingten Krankenhausaufenthalte, definiert als stationäre Krankenhausaufenthalte/Notfallbesuche.

Eiadaption erklärt schlechte Impfeffektivität nicht vollständig

Die Analyse zeigte, dass die Wirksamkeit des zellkultivierten vierwertigen Influenza-Impfstoffs hinsichtlich der grippebedingten Krankenhausbesuche, stationären Aufenthalten und Praxisbesuche (grippebezogenen Praxisbesuche beinhalteten einen positiven Schnelltest, gefolgt von einer Verschreibung für Oseltamivir) etwa 10-11 Prozent höher lag als die der vergleichbaren eibasierten vierwertigen Standarddosisimpfstoffe. Auch die hochdosierte trivalente Influenzavakzine schützte laut den Wissenschaftlern besser vor Grippe, und zwar um etwa 8 Prozent. „Unter allen fünf untersuchten Impfstofftypen war die RVE (relative Impfeffektivität) gegen grippebedingte Krankenhausaufenthalte und stationäre Aufenthalte bei den zellkultivierten und hochdosierten Impfstoffen am höchsten", erklären die Wissenschaftler.

Doch offenbar erklärt auch dies nach Ansicht der Wissenschaftler nicht in Gänze die schlechte Wirksamkeit der Influenzavakzine 2017/18 insbesondere gegen Influenza A(H3/N2) mit nur 17 Prozent (65 Jahre und älter). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es keine Beweise für Antigendrifts bei den zirkulierenden Influenza-A(H3/N2)-Viren im Vergleich zum Impfstoff-Referenzstamm gegeben habe. Sie finden: „Andere Möglichkeiten, einschließlich eines Neuraminidase-Drifts, sollten untersucht werden, um die niedrige Impfeffektivität zu erklären."

Fehlerquellen der Untersuchung

Einschränkend führen die Wissenschaftler außerdem an, dass die Real-World-Daten keine virologische Unterscheidung ermöglichten, das bedeutet: Man kann nicht nachvollziehen, wer an welchem Influenza-Subtypen erkrankt war. Einzig: „Da die Saison 2017/18 jedoch von Influenza A(H3N2) dominiert wurde, können wir daraus schließen, dass die meisten Influenzaereignisse wahrscheinlich von der Influenza A(H3N2) verursacht wurden", so die Forscher. Auch könnten Fehler durch die Influenzaschnelltestes in Praxen entstanden sein, da diese zwar innerhalb von 15 Minuten ein Ergebnis lieferten, jedoch bei Sensitivität und Spezifität nicht so zuverlässig seien wie Nachweise mittels Polymerasekettenreaktionen.

Grippeimpfung: 7 Millionen Erkrankte weniger

Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC schätzt, dass in der Saison 2017/18 etwa 48,8 Millionen Menschen an Influenza erkrankten, davon suchten 22,78 Millionen einen Arzt auf und 959.000 Menschen mussten wegen Grippe in Kliniken behandelt werden. Auch Todesopfer fordert die Grippe jährlich. Die CDC geht 2017/18 von 79.400 influenzabedingten Todesfällen auf. Derweil ist die CDC von der Schutzwirkung der Influenzavakzine überzeugt.

Die Grippeimpfung 2017/18 verhinderte Erkrankungen - und zwar in der Größe der Bevölkerung New Yorks. (Foto: CDC)

Grippeimpfung verhinderte 8.000 Todesfälle in USA

In Zusammenarbeit mit  Wissenschafltern und Kollegen aus dem öffentlichen Gesundheitswesen hat die CDC kürzlich eine Studie – Effects of Influenza Vaccination in the United States during the 2017/18 Influenza Season – im Journal Clinical Infectious Diseases veröffentlicht. Die Wissenschaftler nennen konkrete Zahlen, wie viele Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle durch Grippeimpfungen während der Grippesaison 2017/18 verhindert wurden.

So senkte die Grippeimpfung die Wahrscheinlichkeit, grippebedingt krank zu werden und zum Arzt zu müssen, um 38 Prozent reduziert (95-Prozent-Konfidenzintervall: 31-43 Prozent). Die amerikanische Gesundheitsbehörde schätzt, dass die Grippeimpfung sieben Millionen Erkrankungen im Zusammenhang mit Grippe verhindert hat – das entspricht der Bevölkerung New Yorks, so das CDC. Zusätzlich geht das CDC davon aus, dass es durch die Grippeimpfung 3,7 Millionen weniger Arztbesuche und 109.000 weniger Krankenhausaufenthalte gab. Letztere entsprechen laut CDC den Fahrzeugen, die täglich über die Golden Gate Bridge fahren. 8.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Grippe konnten ebenfalls verhindert werden.

Warum wirkt ein Grippeimpfstoff schlecht gegen Influenza-A(H3N2)-Viren?

Warum wirkt ein Grippeimpfstoff meist weniger gegen Influenza-A(H3N2)-Viren?

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen gerade gegen Influenza-A(H3N2)-Viren geringer sein könnte. Influenzavirensind hochvariabel, durch Antigendrift – kleine zufällige Punktmutationen – verändern sie laufend ihre immunitätsbildenden Oberflächenstrukturen. Influenza A(H3/N2) ist hier offenbar ein besonders anfälliger Kandidat für solche Antigendrifts. Und so zeigte die Vergangenheit, dass vor allem bei Influenza A(H3/N2) diese Mutationen häufiger zu Unterschieden zwischen dem im Impfstoff enthaltenen Antigen A(H3/N2) und den tatsächlich zirkulierenden Influenza-A-Viren und deren Oberflächenantigen A(H3/N2) führte, als dies bei Influenza A(H1/N1) oder Influenza B-Viren der Fall war. Das bedeutet, dass bei Influenza A(H3/N2) schlicht die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sich das zirkulierende Virus derart verändert hat, dass sich dies tatsächlich auf die Impfeffektivität auswirkt.

Eiadaption vor allem am Hämagglutinin

Hinzu kommt, dass die meisten Grippevakzine nach wie vor in Hühnereiern produziert werden. Nun ist jedoch das Huhn nicht der natürliche Habitat für menschliche Grippeviren. Das bedeutet, humane Grippeviren passen sich an diesen für sie nicht optimalen Wirtsorganismus an. Auch hier scheint vor allem das Influenza-A-Virus schwierig zu sein – und zwar insofern, als dass diese stattfindende Eiadaption zu antigenen Veränderungen führt, die sich später negativ auf die Wirksamkeit der Vakzine auswirken können. Denn der Körper bildet nach der Grippeimpfung Antikörper, die auf die eiadaptierten Influenza-A-Viren passen, und diese können sich durch die Eiadaption von den reell in der Grippesaison zirkulierenden unterscheiden. Die Eiadaption betrifft vor allem das Hämagglutinin – und dieses Oberflächenprotein vermittelt ungünstigerweise die Rezeptorbindung und ist das primäre Ziel neutralisierender Antikörper.

Besserer Impfschutz durch Zellkultur-Grippeimpfstoffe?

Die Überlegung ist somit seit längerem, ob ein passenderer Influenzaviruswirt – also Säugetierzellen – die Eiadaptionen verringern und so die Wirksamkeit der Grippevakzine verbessern. Auch wenn die meisten Grippeimpfstoffhersteller in Deutschland (und auch in den USA) noch auf die hühnereibasierte Vakzinproduktion setzen – GSK mit Influsplit® Tetra, Mylan mit Influvac® Tetra und Sanofi-Pasteur mit Vaxigrip® Tetra – wird Seqirus ab der kommenden Grippesaison 2019/20 mit Flucelvax® Tetra den ersten säugetierzellbasierten Influenza-Totimpfstoff verfügbar machen. Bereits 2007 erhielt der trivalente zellkulturbasierte Novartis-Grippeimpfstoff  Optaflu® die EMA-Zulassung, allerdings wurde Optaflu® bereits vor Jahren von Seqirus – die die impfstoffsparte von Novartis zu diesem Zeitpunkt übernommen hatten – vom Markt genommen. Sicherheitsbedenken hinsichtlich Tumorgenität konnte das Paul-Ehrlich-Institut zwar ausräumen, jedoch hatte sich Optaflu® wohl nicht in dem gewünschten Maß gegen die Konkurrenz durchgesetzt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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