Urteilsgründe des Landgerichts Stendal

DocMorris als potenzieller Betrugs-Gehilfe

Berlin - 29.03.2019, 17:55 Uhr

DocMorris gibt absichtlich Rezeptkopien an Privatpatienten, die Rezeptboni nicht aufweisen – das ist zumindest Beihilfe zum Betrug, findet das Landgericht Stendal. (Foto: DocMorris)

DocMorris gibt absichtlich Rezeptkopien an Privatpatienten, die Rezeptboni nicht aufweisen – das ist zumindest Beihilfe zum Betrug, findet das Landgericht Stendal. (Foto: DocMorris)


Kürzlich entschied das Landgericht Stendal, dass DocMorris Privatpatienten keine Quittungen zur Vorlage bei ihrer Krankenversicherung ausstellen darf, sofern diese gewährte Boni verschweigen. Nun liegen die Urteilsgründe vor. Sie zeigen: Die Richter gehen davon aus, dass DocMorris seine Kunden mit solchen Quittungen sogar zum Betrug ihrer Versicherung anstiftet. Vorliegend war dies jedoch nicht strafbar, weil die Testkäufer die fraglichen Quittungen gar nicht zur Erstattung vorgelegt haben, der Betrug also nicht vollendet wurde. Doch der Unterlassungsanspruch ließ sich auf andere Gründe stützen.

Michael Nagler, Inhaber der Adler-Apotheke in Tangerhütte, will die Marketing-Methoden von DocMorris nicht akzeptieren und scheut die juristische Auseinandersetzung nicht. Nachdem er Ende 2017 Testkäufe bei seinem niederländischen Wettbewerber hat durchführen lassen, entschied er sich, gleich mehrere wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend zu machen. Wie bereits vor zwei Wochen berichtet, konnte er sich vor dem Landgericht Stendal auch weitgehend gegen DocMorris durchsetzen. Nun liegen die durchaus lesenswerten Entscheidungsgründe vor.

Was war geschehen?

Für die Testkäufe haben ein Vater und ein Sohn Privatrezepte bei DocMorris eingereicht. Zum einen für Ibuprofen 600, das 12,32 Euro kostete, zum anderen für ein Antibiotikum für 24,04 Euro. Der Vater mit dem Ibuprofen-Rezept erhielt einen Neukundenbonus von zehn Euro sowie 2,50 Euro pro Rezept. De facto musste er also gar nichts zahlen, was die Rechnung auch auswies. Zugleich erhielt er von DocMorris eine Rezeptkopie über den Kaufbetrag von 12,32, die er seiner privaten Versicherung zur Erstattung einreichen konnte. Der Sohn bekam ebenfalls zwei unterschiedliche Belege, wobei der zur Vorlage bei der Krankenversicherung einen Zahlbetrag von 21,54 Euro auswies – also den Kaufpreis abzüglich 2,50 Euro Bonus, die aber nicht genannt wurden.

Kurz darauf bestellte der Sohn erneut Ibuprofen 600 – mit einem auf seinen Namen ausgestellten Rezept. Der Bestellung fügte er ein Formular von DocMorris bei, in welchem der Name seines Vaters eingetragen war. Als das Arzneimittel geliefert wurde, kam dies mit einer Rechnung für den Vater sowie Rezeptkopie zur Vorlage bei der Krankenkasse für den Sohn. Die an den Vater gerichtete „Vorteilsübersicht“ weist einen Rezeptbonus von 2,50 aus. Es folgt eine Übersicht, bei der der Hauptbesteller – der Vater – mit 0,00 Euro Vorteilen ausgewiesen ist, beim Sohn ist ein verrechneter Vorteil von 2,50 Euro ausgewiesen.

Apotheker Nagler machte daraufhin Unterlassungsansprüche geltend: Die Herausgabe unrichtiger Quittungen, die zur Täuschung von privaten Krankenversicherungen und Finanzbehörden geeignet seien, seien lauterkeitsrechtlich unzulässig – zum einen, weil eine Anstiftung oder Beihilfe zu Betrug vorliege (§§ 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. §§ 263, 26, 27 StGB) zum anderen, weil gegen die unternehmerische Sorgfalt verstoßen werde (§ 3 Abs. 2 UWG). Außerdem dürfe DocMorris verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht kostenlos abgeben. Und: Auch personenübergreifende Kundenkonten dürfe der EU-Versender nicht ausstellen, wenn hier Daten anderer Familienmitglieder aufgeführt sind, die aber keine Einwilligung erteilt haben. Bis auf den Antrag, DocMorris zu verurteilen, die kostenlose Rx-Abgabe zu untersagen, gab das Landgericht Stendal der Klage Naglers statt.

Jedenfalls ein versuchter Betrug

Ausführlich setzt sich das Gericht mit einem Betrug zulasten der privaten Krankenversicherung auseinander. Durch diesen liege nämlich eine unlautere geschäftliche Handlung vor, die einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch begründen könne. Das Gericht prüft die Tatbestandsmerkmale des Betrugs durchs – und kommt zu dem Ergebnis: Ein Patient, der die „Rezeptkopie zur Vorlage bei der Krankenkasse“ tatsächlich bei der Versicherung vorlegt, begeht einen Betrug. Der Versicherungsschutz der privaten Kasse erstrecke sich nur auf die vom Versicherungsnehmer tatsächlich erbrachten Aufwendungen – Preisnachlässe minderten diese Leistungspflicht, so dass der erforderliche Vermögensschaden entstehe. Auch am Vorsatz zweifelt das Gericht im Fall der Fälle nicht. Hier allerdings ist gerade nicht zu einer Vorlage bei der Versicherung gekommen. Es gab auch keine Zahlung und keinen Schaden. Daher komme nur ein versuchter Betrug in Betracht.

Keine strafbare Teilnahmehandlung

Nun prüfte das Gericht, ob DocMorris zu diesem versuchten Betrug anstiften oder Beihilfe leisten konnte und wollte. Was die Anstiftung betrifft, sind die Richter überzeugt: Mit der Übersendung der bloßen „Rezeptkopie“ hat DocMorris bewusst den Anreiz für den Versicherungsnehmer geschaffen, seiner Krankenversicherung nur diese, nicht aber zugleich die separate Vorteilsübersicht vorzulegen. Der Versender habe auch gewusst, dass dies zur Erstattung eines tatsächlich nicht geleisteten Preises führen könne. Aber letztlich muss das Gericht feststellen: Es liegt nur eine versuchte Anstiftung vor, denn zum Betrug kam es ja nicht. Und ein solcher Versuch ist nur strafbar, wenn man ein Verbrechen im Sinn hatte, also eine Straftat, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Das ist der Betrug nicht, er ist lediglich ein Vergehen.

Und wie steht es um eine Beihilfe zum Betrug? Beihilfe ist jede vorsätzliche geleistete Hilfe zu einer rechtswidrigen Haupttat. Und durch die Vorlage einer Bescheinigung, die die tatsächlichen Aufwendungen des Versicherungsnehmers nicht ausweist, kommt aus Sicht der Richter eine Beihilfe von DocMorris zu einer Betrugshandlung klar in Betracht. In der Einschätzung, dass das Unternehmen auch vorsätzlich „helfen“ will, sieht sich das Gericht sogar durch den eigenen Vortrag seitens DocMorris bestätigt. Hier hatte man nämlich erklärt: Würde man von dem Versender verlangen, die gewährten Rezeptboni auf den Rezeptkopien zu vermerken, würde dies aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die privaten Krankenversicherungen dem Versicherten nur den um den Rezeptbonus verminderten Betrag erstatten würden. Damit ist die Sache für das Gericht klar. Dennoch: Eine Strafbarkeit ist nicht gegeben, weil die Haupttat, der Betrug, nicht begangen wurde, sondern nur das Stadium einer straflosen Vorbereitungshandlung erreicht hat.

Unternehmerische Sorgfalt bleibt auf der Strecke

Dagegen hatte das Gericht kein Problem eine Unlauterkeit anzunehmen, weil das Vorgehen von DocMorris nicht der „unternehmerischen Sorgfalt“ entspricht. Dieser Begriff müsse zwar europarechtskonform ausgelegt werden – auch mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung. Doch auf die dortigen Ausführungen zu den Möglichkeiten einer EU-ausländischen Versandapotheke mit einer deutschen Apotheke konkurrieren zu können, kommt es nach Auffassung der Stendaler Richter nicht an. Sie verweisen erneut auf die eigene Aussage von DocMorris, dass die Rezeptkopie geeignet ist, den Privatversicherten zu veranlassen, den Vorteil nicht an seine Versicherung weiterzugeben. „Das Bestehen der Möglichkeit von Missbräuchen ist ausreichend, um einen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt anzunehmen“, heißt es im Urteil.

Was den Antrag zur „kostenlosen“ Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel betrifft, nimmt das Gericht allerdings keinen Unterlassungsanspruch an – es liege nämlich kein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung vor. Hier gelte das EuGH-Urteil vom Oktober 2016, wonach eine solche Preisbindung europarechtlich unzulässig ist. Und für eine erneute Vorlage an den EuGH sieht das Gericht keine Veranlassung. Dafür habe der Kläger nichts konkretes dargetan.

Ebenfalls eher kurz fallen die Gründe zum personenübergreifenden Kundenkonto aus: Nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Bundesdatenschutzgesetz sei die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur erlaubt, wenn der Betroffene eingewilligt hat. Dies sei vorliegend nicht ausdrücklich geschehen.

Rechtskräftig ist das landgerichtliche Urteil nicht. Es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, dass DocMorris Berufung einlegen wird.

Landgericht Stendal vom 14. März 2019, Az.: 31 O 43/18 



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

wie ist die lage heute

von anton am 19.12.2019 um 21:52 Uhr

hallo wie Vertrauenswürdig ist die die docmorris online apotheke heute? dat.12.2019 könnte man ohne bedenken mit einen nicht verschreibungspflichtiges( blaues recept) Medikament es bestellen dort?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.