ZDF-Reportage

Prozess in Rumänien: Wurden Arzneimittelstudien manipuliert?

Berlin - 03.04.2019, 16:45 Uhr

Bei Pharmastudien herrscht ein hoher Zeit- und Erfolgsdruck. Wurden deshalb Regeln missachtet? In einer rumänischen Klinik soll es bei neun Studien zu Manipulationen gekommen sein. Der ehemaligen Klinikleiterin werden das Fälschen von Unterschriften und Protokollverstöße vorgeworfen. ( r / Foto: imago)

Bei Pharmastudien herrscht ein hoher Zeit- und Erfolgsdruck. Wurden deshalb Regeln missachtet? In einer rumänischen Klinik soll es bei neun Studien zu Manipulationen gekommen sein. Der ehemaligen Klinikleiterin werden das Fälschen von Unterschriften und Protokollverstöße vorgeworfen. ( r / Foto: imago)


Vor einigen Tagen strahlte das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einen verstörenden Bericht aus: Patienten einer psychiatrischen Klinik im rumänischen Arad sollen an Psychopharmaka-Studien teilgenommen haben – allerdings ohne ihr Wissen. Die ehemalige Klinik-Chefin steht derzeit vor Gericht. In den Akten der Ermittler tauchen die Namen bekannter Pharmakonzerne auf, wie beispielsweise Otsuka, Pierre Fabre oder Minerva.

Zeit ist Geld – das gilt auch für Arzneimittelstudien. Denn je schneller diese zum Erfolg geführt werden, desto eher kann Profit aus den resultierenden Zulassungen geschöpft werden. Bei der Durchführung klinischer Studien haben die Prüfzentren ein umfangreiches Regelwerk zu befolgen, dessen Einhaltung von nationalen Behörden kontrolliert wird. Auch der Sponsor ist für die Sicherheit der Probanden mitverantwortlich. Zumindest sollte dies so sein.

Verdacht auf Manipulation bei neun Studien

Ein Bericht des ZDF-Magazins „Frontal 21“ über eine psychiatrische Klinik im rumänischen Arad weist jedoch auf ein mögliches Kontrollversagen hin. Die ehemalige Psychiatrie-Chefin Delia Podea, die 2016 verhaftet wurde, steht derzeit in Arad vor Gericht. In ihrem Studienzentrum soll es zwischen 2014 und 2016 bei neun Studien zu Manipulationen gekommen sein, von denen 90 Patienten betroffen gewesen sein sollten. Der Prozess wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Um welche Testmedikamente es sich dabei handelt, ist noch nicht bekannt.

Abhörprotokollen rumänischer Ermittler zufolge, die dem Sender vorliegen, sollen Patienten dieser Klinik ohne ihr Wissen Studienmedikamente bekommen haben. Dabei soll die Klinik-Chefin Unterschriften von Patienten und Angehörigen für diese gefälscht haben. Nebenwirkungen sollen vertuscht worden sein.

Außerdem soll es in Delia Podeas Studienzentrum zu Protokollverstößen gekommen sein. Wie beispielsweise in einer von dem Psychopharmakahersteller Otsuka gesponserten Studie, bei der 2015 eine Patientin verstarb, die die Einschlusskriterien laut Anklage nicht erfüllt hatte. Das heißt, sie hätte das Medikament nicht bekommen dürfen.

Pharmaunternehmen geben sich unwissend

Der japanische Pharmakonzern, der an Podeas Klinik rund 180.000 Euro für die Durchführung der Studie gezahlt hatte, will davon nichts gewusst haben. Eine Unternehmenssprecherin erklärte gegenüber DAZ.online, man sei erst durch den Fernsehbeitrag auf die zweifelhaften Vorgänge in Rumänien aufmerksam geworden. „Individuelle Vorwürfe können wir nicht kommentieren. Otsuka bekennt sich weiterhin zu qualitativ hochwertiger Forschung, die nach den höchsten ethischen Standards und in Übereinstimmung mit allen anwendbaren Gesetzen, Vorschriften, Richtlinien und Branchenkodizes durchgeführt wird.“

In den Akten der Ermittler tauchen die Namen weiterer Pharmakonzerne auf wie beispielsweise Pierre Fabre, Minerva, Ferrer International und Orion sowie Vertreter der europäischen Forschungsprojekte Eulast und Optimise. Gegenüber dem Sender geben sich die Unternehmen jedoch unwissend. Interessanterweise treten drei Unternehmen in dem Prozess als Nebenkläger auf.

Hätten Studien abgebrochen werden sollen?

Ein weiterer Telefonmitschnitt weist darauf hin, dass sich Podea möglicherweise von dem Forschungsunternehmen Clinrix, das in Rumänien Studien koordiniert, unter Druck setzen ließ. Bei dem Gespräch hatte Podea Bedenken wegen lebensbedrohlicher Nebenwirkungen geäußert und ein Clinrix-Mitarbeiter soll dazu gesagt haben: „Wir sollten jetzt sehen, dass wir die, die in der Studie geblieben sind, halten. Es kann sein, dass Rumänien vollständig aus der Studie rausfliegt. Wir bringen damit die gesamte Studie in Gefahr.“

Ein ehemaliger Clinrix-Manager erklärte in der Sendung: „Wir sind zuständig dafür, dass die Studien schnell über die Bühne gehen. Das ist unsere Aufgabe. Wir können nun einmal nicht überprüfen, ob die Unterschriften echt oder gefälscht sind.“

BfArM: Nicht zuständig für Rumänien

Clinrix, dessen Firmensitz in Bukarest laut ZDF-Recherchen inzwischen leersteht, war auch für die Koordination der sogenannten SWITCH-Studie mit rund 350 Schizophrenie-Patienten, die von dem Münchner Professor Stefan Leucht geleitet und vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) mit rund 1,5 Millionen Euro unterstützt wurde. Diese Studie, in der auch Podeas Klinik eines der Studienzentren gewesen sein soll, ist derzeit nicht Gegenstand des Prozesses in Arad. Hier sind die Studienmedikamente bekannt – es geht um die bereits zugelassenen Neuroleptika Olanzapin und Amisulprid.

Laut dem ehemaligen Clinrix-Manager sollen auch bei dieser Studie Unterschriften gefälscht worden und in Arad ein Patient zu Tode gekommen sein. Laut der Abhörprotokolle könnte der Todesfall auf die Studienmedikation zurückzuführen sein. Im Abschlussbericht wurde als Todesursache Sepsis angegeben. Leucht erklärte gegenüber dem ZDF, er wolle bei der Veröffentlichung die Ergebnisse des rumänischen Studienzentrums außen vorlassen. Das BfArM erklärte, in dem vorliegenden Abschlussbericht sei der Todesfall aus Arad enthalten. Die Behörde könne allerdings nicht die klinische Prüfung in einem anderen EU-Mitgliedstaat überwachen, weshalb ihr keine Informationen über eine mögliche Fälschung von Unterschriften vorliege.

Studienexperte: Übergreifendes Kontrollversagen

Eigentlich wären die rumänischen Behörden für die Kontrollen zuständig. Auch die Sponsoren tragen Verantwortung, dass sich ihre beauftragten Zentren an die Regeln halten. Der Freiburger Professor Gerd Antes, Experte für klinische Studien, spricht in der Sendung bezüglich der Vorfälle in Rumänien von einem Kontrollversagen auf ganzer Linie: „Also, 100 Prozent haben natürlich Kontrollen versagt, in einem Maße, wie es in dem Extremfall hier tatsächlich über alle Grenzen geht.“ Dass einzelne Pharmaunternehmen bei den Prozessen als Nebenkläger auftreten, sich also als Geschädigte verstehen, bezeichnet Antes als „pure Heuchelei“ und „Mittäterschaft“. Die mutmaßlichen Opfer treten in den Prozessen lediglich als Zeugen auf. Um zu klagen, dürften einigen Betroffenen die finanziellen Mittel fehlen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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