GeriaSan: Altersgerechte Darreichung für die Geriatrie

Wenn Festbeträge Neuentwicklungen ausbremsen

Heppenheim / Stuttgart - 25.04.2019, 09:00 Uhr

Nicht nur Kinder, auch geriatrische oder neurologische Patienten können Probleme beim Schlucken fester Arzneimittel haben. ( r / Foto:  Mike Fouque / stock.adobe.com)

Nicht nur Kinder, auch geriatrische oder neurologische Patienten können Probleme beim Schlucken fester Arzneimittel haben. ( r / Foto:  Mike Fouque / stock.adobe.com)


Kann der Patient das Arzneimittel überhaupt schlucken? Diese Frage hat bei Kindern und geriatrischen Patienten, die potenziell an einer Dysphagie leiden, ihre Daseinsberechtigung. Altersgerechte Darreichungsformen helfen. Nicht immer erkennt der G-BA jedoch diesen Vorteil für Patienten an, sowohl in der Pädiatrie als auch in der Geriatrie. Im schlimmsten Fall nimmt der Hersteller aus wirtschaftlichen Gründen das Arzneimittel vom Markt und bremst seine Entwicklungen bei altersentsprechenden Darreichungsformen – wie etwa die Infectopharm-Tochter GeriaSan. DAZ.online hat mit Geschäftsführer Dr. Markus Rudolph gesprochen.

Spezielle Patientengruppen, wie Kinder oder ältere Menschen, finden, so gewinnt man den Eindruck, bei der Bewertung von Arzneimitteln durch den G-BA nicht immer ausreichend Berücksichtigung. Sei es im Rahmen der Nutzenbewertung neuer Wirkstoffe oder PUMA-Arzneimittel oder im Rahmen der Festbetragsfestsetzung bei bereits etablierten Wirkstoffen. Beispielhaft sah der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jüngst keinen Zusatznutzen im speziell für Kinder entwickelten Hydrocortisonpräparat Alkindi®.

Der Fall Simvaliquid GeriaSan

Das Alkindi®-Schicksal ereilten andere, speziell in altersgerechten Zubereitungen entwickelte Arzneimittel bereits zuvor – beispielsweise ein explizit für geriatrische Patienten mit Schluckstörungen entwickeltes flüssiges Simvastatin-Präparat aus dem Hause Infectopharm: Simvaliquid® GeriaSan.

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Im Stellungnahmeverfahren im Rahmen der Festbetragsfestsetzung erreichte den G-BA zwar die Argumentation, dass die Simvastatin-Suspension für Patienten mit Dysphagie eine sinnvolle therapeutische Alternative zu festen oralen Darreichungsformen darstellt. Offenbar überzeugte dies den Gemeinsamen Bundesausschuss jedoch nicht ausreichend – er verwies seiner Zeit (2016) in den Tragenden Gründen darauf, „dass es außer der Einnahme flüssiger Darreichungsformen weitere Möglichkeiten der Anwendung gibt. Bereits die Möglichkeit des Teilens durch Vorhandensein einer Bruchkerbe dient dem erleichterten Schlucken“. Die meisten HMG-CoA-Reduktasehemmer seien mit einer Bruchkerbe versehen beziehungsweise mörserbar und in Wasser suspendierbar, hielt der G-BA dagegen. Und weiter: „Dass bei Patienten mit Schluckstörungen in bestimmten Fallkonstellationen individuell geprüft werden muss, welche Alternativen zum Schlucken von ganzen Tabletten bestehen, wird nicht in Frage gestellt.“

Keine Säfte für Erwachsene

Der G-BA sortierte Simvaliquid GeriaSan® zum Preis von rund 16 Euro in die Festbetragsgruppe II ein. Gelistet in der Lauer-Taxe war Simvaliquid® GeriaSan 40 mg/5 ml Suspension zum Einnehmen mit 150 ml für 75,49 Euro.

Die Konsequenz von solchen Festbetrags-Entscheidungen kann sein, dass die pharmazeutischen Unternehmer sodann ihr Präparat aus Gründen der Wirtschaftlichkeit vom Markt nehmen. Und, was noch dramatischer ist: Sie bremsen sich, weitere patientenoptimierte Darreichungsformen zu entwickeln. So geschehen bei Infectopharm.

Simvaliquid war Totalverlust

Im Gespräch mit DAZ.online äußert sich Geschäftsführer Dr. Markus Rudolph: „Über Arzneimittel in flüssiger Zubereitung für Erwachsene, speziell hier für Patienten mit Schluckstörungen, hängt ein Damoklesschwert“. Das sei durchaus der Grund, warum man „im Moment zurückhaltend mit der Entwicklung weiterer Darreichungsformen speziell für geriatrische Patienten“ sei.

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Hilfsmittel für Patienten mit Dysphagie

Wenn’s nicht rutscht …

„Simvaliquid GeriaSan® war ein Totalverlust, die Kosten der Entwicklung und Zulassung haben sich damals in keiner Weise amortisiert“, erklärt Rudolph. Nach Einordnung in den Festbetrag hätte man Simvaliquid GeriaSan® „weit unter den Herstellungskosten“ verkaufen müssen. Der Marktanteil von „flüssigem“ Simvastatin liegt innerhalb aller HMG-CoA-Reduktaseinhibitoren im Promillebereich, somit werden auch keine Produktionsstückzahlen erreicht, die eine Herstellung günstiger werden lassen. Das Problem ist: „Es ist kein großes Geschäft, aber der Bedarf ist da“, erklärt Rudolph.

Ignoriert die Politik das Dysphagie-Problem?

Die Politik scheint, zumindest bislang, diesem – aufgrund der demografischen Entwicklung unweigerlich – wachsenden Bedarf, keine Sonderstellung einzuräumen. Säfte für Erwachsene sieht der Gesetzgeber schlichtweg nicht vor: „Saftzubereitungen für Erwachsene“ sind nach AM-RL (Arzneimittel-Richtlinie) Anlage III von der ärztlichen Verordnung ausgeschlossen und nur in Einzelfällen – „von in der Person des Patienten begründeten Ausnahmen“ – erlaubt. „Der Einsatz von Saftzubereitungen für Erwachsene ist besonders zu begründen“, liest man dort. Das bedeutet, der Arzt kann es zwar im Einzelfall verordnen, muss dies aber begründen und die Indikation – beispielsweise Dysphagie – dokumentieren. Das dürfte nur in wenigen Fällen konsequent praktiziert werden.

Grenzen des Festbetragssystems

Ob es für das Gesundheitssystem günstiger wird, wenn optimierte Zubereitungen für Patienten mit Schluckstörungen nicht erstattet werden, ist fraglich. Gesundheitsökonomischen Daten zufolge haben Patienten mit Dysphagie ein erhöhtes Risiko für Aspirationspneumonien – was pro Ereignis mit Kosten von 17.000 Euro beziffert wurde. Diese Aspirationen betreffen nicht nur die Ernährung, sondern kommen durchaus auch bei gemörserten Tabletten vor, wie Fallbeispiele aus der Praxis eindrücklich beschrieben haben.

Therapierelevanten Kriterien fehlen

Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BAH, äußerte sich in einem Interview mit der Presseagentur Gesundheit im September 2018 bereits skeptisch, über das rigide System der Festbeträge: „In vielen Fällen fasst der Gemeinsame Bundesausschuss unterschiedliche Darreichungsformen wie Tabletten und Säfte, in einer Gruppe zusammen, ohne die aus Patientenperspektive notwendige Differenzierung vorzunehmen.“ Jedoch sei die pharmazeutisch-technologische Herstellung flüssig-oraler Darreichungsformen aufwendig, zusätzlich sei die Patientenpopulation klein, dass in der Herstellung keine kostenmindernden Skaleneffekte zu erwarten sind. „Das Nachsehen haben in diesem Fall Patienten mit Schluckbeschwerden“.

Seiner Ansicht nach ist das Raster der Festbeträge recht grob, es orientiert sich im Wesentlichen an Wirkstoffmenge und Packungsgröße. Eine „differenziertere Gruppenbildung“ einzelner Patientenkollektive, „die vulnerable Patientengruppen, wie etwa Ältere mit Schluckbeschwerden, besonders berücksichtigen“, sei Aufgabe des Gesetzgebers. Es sollte grundsätzlich bei der Bildung von Festbeträgen mehr nach „therapierelevanten Kriterien differenziert“ und nach der Lebensqualität der Patienten gefragt werden. Allerdings verfolgt der Gesetzgeber wohl eher einen Sparkurs. „Wir stellen immer wieder fest: Das Hauptziel des GKV-Spitzenverbandes ist es, Geld zu sparen“. Was er mit Festbeträgen und Rabattverträgen durchaus tut.

Kortland bezifferte das Einsparvolumen durch Rabattverträge auf vier Milliarden und durch Festbeträgen auf acht Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahlen erachtete es der BAH durchaus für „gerechtfertigt und finanziell verkraftbar, dass die Krankenkasse beispielsweise bei älteren Patienten eine flüssige anstatt einer festen Darreichungsform erstattet“.

Über GeriaSan ...

Auch wenn die Pipeline für neue, flüssige Arzneimittel für Erwachsene bei GeriaSan derzeit aufgrund der letzten G-BA Entscheidung zu Simvastatin nicht weiter gefüllt wird, engagiert sich das Unternehmen für die besonderen Bedürfnisse von Patienten mit Schluckstörungen. „Wir wollen das Thema weiter ins Bewusstsein bringen – von Ärzten, Apothekern, Patienten und der Politik“, erklärt Rudolph.

GeriaSan

GeriaSan® ist eine Dachmarke von Infectopharm und der neueste Bereich des Familienunternehmens. Als mittelständischer Arzneimittelhersteller hat sich Infectopharm in verschiedenen Bereichen spezialisiert. Ein Schwerpunkt von Infectopharm – seit Gründung 1988 – fällt in den Bereich der Pädiatrie. Ein weiteres Spezialgebiet des Familienunternehmens zielt auf die alterstechnisch völlig konträre Patientengruppe – die Geriatrie.

Ältere und Kinder kämpfen mit festen Arzneiformen

Allerdings: „Hinsichtlich der Anforderungen an Arzneimittel ähneln sich kleine Kinder und ältere Menschen sehr“, erklärt Geschäftsführer Dr. Markus Rudolph im Gespräch mit DAZ.online. Sowohl Kinder als auch geriatrische Menschen mit Schluckstörungen können feste Arzneiformen schwer bis nicht schlucken. Für die kleinen Patienten gibt es für einige Wirkstoffe – Antibiotika oder Analgetika, Antihistaminika – Säfte. Säfte für Erwachsene mit verschreibungspflichtigen Wirkstoffen sind rar gesät. „Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit liegt in der Entwicklung neuer Darreichungsformen bekannter Wirkstoffe“, definiert Infectopharm auf der Homepage. Im Bereich der Geriatrie will der Heppenheimer Arzneimittelhersteller die Kernkompetenzen, die er sich im Laufe der Jahre bei flüssigen Darreichungsformen in der Pädiatrie angeeignet hat, auch Patienten mit Schluckstörungen (Dysphagien) zukommen lassen.

Differenzierung als Mittelständler

Und natürlich die Frage, so Rudolph: „In welchem Bereich können wir uns als Mittelstand weiterentwickeln, der von den großen Pharmaunternehmen nicht besetzt ist“. „GeriaSan® bietet flüssige Darreichungsformen bewährter Wirkstoffe als therapeutische Alternative speziell für Dysphagie-Patienten an“, dies trifft neurologische Patienten, aber auch ältere Patienten.

GeriaSan-Präparate

Zu den bewährten Wirkstoffen in flüssiger Darreichungsform bietet GeriaSan® derzeit drei Arzneimittel: Metfoliquid GeriaSan® 1000 mg/5 ml Lösung zum Einnehmen (Zulassung 2016, Nachfolger von Metfoliquid GeriaSan® 500 mg/5 ml Lösung zum Einnehmen, Zulassung 2010), Doneliquid GeriaSan® 1 mg/ml Lösung zum Einnehmen (Zulassung 2016), Gabaliquid GeriaSan® 50 mg/ml Lösung zum Einnehmen (Zulassung 2016). Simvaliquid GeriasSan® 40 mg/5 ml Lösung zum Einnehmen (Zulassung 2016, Außervertriebnahme 2017).

Obwohl die demographische Entwicklung die Bedeutung von Dysphagie eigentlich automatisch mit sich bringt, steht das Thema nach wie vor am Rand. Arzneimittel gegen Schluckstörungen gibt es nicht. Ein vor kurzem publizierter Review beleuchtet die aktuelle Forschungslage in diesem Gebiet. So wurden ACE-Hemmer, Betablocker und dopaminerge Substanzen untersucht, auch Transient Receptor Potential Vanilliod 1 Agonists (TRPV1 Agonisten) und Transient Receptor Potential Ankyrin 1 Agonists (TRPA1 Agonist) sind hinsichtlich der schluckfördernden Wirkung untersucht worden – bislang fehlten große Studien, die einen Nutzen bei Dysphagie belegten, so die Autoren. Umso wichtiger ist, dass – bis es so weit ist – eigentlich „Hilfsmittel“ wie flüssige Darreichungsformen mit bestimmter Viskosität den Dysphagiepatienten verfügbar gemacht werden.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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