Unkomplizierte Harnwegsinfektion

Fosfomycin steht an erster Stelle der Leitlinie – alphabetisch betrachtet

Meran / Stuttgart - 11.06.2019, 10:15 Uhr

Fosfomycin wird häufig verordnet bei Zystitis. Warum? Vielleicht weil es die Leitlinie an erster Stelle schreibt - jedoch nur, weil die Liste alphabetisch geordnet ist. ( r / Foto: Adiano / stock.adobe.com)

Fosfomycin wird häufig verordnet bei Zystitis. Warum? Vielleicht weil es die Leitlinie an erster Stelle schreibt - jedoch nur, weil die Liste alphabetisch geordnet ist. ( r / Foto: Adiano / stock.adobe.com)


Cefuroxim und Ciprofloxacin haben bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen nichts zu suchen. Daran erinnerte Edith Bennack, Krankenhausapothekerin aus Köln, beim Pharmacon in Meran. Sie bricht eine Lanze für Pivmecillinam – und zwar vor Fosfomycin. Nennt die Leitlinie aber Fosfomycin nicht an erster Stelle noch vor dem Penicillin-Derivat? Das tut sie in der Tat – doch nur, weil die Liste alphabetisch geordnet ist.

Wie häufig kommen Patientinnen mit Harnwegsinfektionen in die Apotheke und einem Rezept über Fosfomycin? Und wie oft mit einer Verordnung über Pivmecillinam? Die Rezepthäufigkeit dürfte wahrscheinlich in den meisten Apotheken nicht ausgewogen sein - Fosfomycin erfreut sich enormer Verordnungseuphorie seitens der Ärzte. Laut Arzneiverordnungsreport wurden 2017 mit 1,7 Millionen DDD (daily drug dose) insgesamt sogar 12 Prozent mehr Fosfomycin DDD verordnet als im Vorjahr. Edith Bennack, Klinikapothekerin des St. Elisabeth-Krankenhauses in Köln-Hohenlind, findet diesen Trend weder gut, noch kann sie ihn – unter pharmazeutischen Aspekten – nachvollziehen. Das erklärte die Apothekerin beim Pharmacon in Meran. Warum ist das so?

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Die meisten Harnwegsinfektionen (HWI) verlaufen unkompliziert, zumindest bei nicht-schwangeren prämenopausalen Frauen. Innerhalb einer Woche heilen unkomplizierte akute HWI laut der Interdisziplinären S3-Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten in 30 bis 50 Prozent der Fälle spontan aus. Der häufigste Erreger unkomplizierter Harnwegsinfektionen ist Escherichia coli, gefolgt von Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis. Ist eine Antibiose zwingend erforderlich?

„Bei der akuten unkomplizierten Zystitis sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden. Bei Patientinnen mit leichten bis mittelgradigen Beschwerden kann aber die alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden", gibt die Leitlinie eine Orientierung vor. Für den Fall einer Antibiose unterstützen die Experten ebenfalls mit Wirkstoffempfehlungen, Cefuroxim und Ciprofloxacin zählen nicht dazu, daran erinnert Bennack. Allerdings birgt Antibiotikaempfehlung nach Ansicht von Bennack wohl einen kleinen Stolperstein – der vielleicht auch erklärt, warum Ärzte Fosfomycin dermaßen gern verordnen.

Stolperstein der Leitlinie?

In der Leitlinie findet sich Folgendes: „Bei unkomplizierter Zystitis soll vorzugsweise eines der folgenden Antibiotika eingesetzt werden: Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam, Trimethoprim (bei Resistenzraten < 20 Prozent)“. Allerdings: Nach dieser geballten Wirkstoffladung könnte der Zusatz „in alphabetischer Reihenfolge“ vielleicht überlesen werden und so der Eindruck entstehen, dass Fosfomycin – vor allen anderen Wirkstoffen – das Antibiotikum der Wahl ist. Bennack ist daran gelegen, den Apothekern diesen möglichen Irrglauben beim Pharmacon auszutreiben. „Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam – das ist eine alphabetische Auflistung. Mitnichten ist Fosfomycin die beste Substanz!“, betont die Krankenhausapothekerin. Sie belegt ihre Einschätzung anhand der Eradikationsraten der einzelnen Wirkstoffe.

Eradikationsraten bei Fosfomycin am schlechtesten

Die Eradikationsarate liegt für Fosfomycin (1x 3.000 mg) zwischen 80 und 90 Prozent, während für Nitrofurantoin (fünf bis sieben Tage), Nitroxolin (3x 250 mg, fünf Tage) oder Pivmecillinam (2 bis 3x 400 mg, drei Tage) die Eradikationsraten über 90 Prozent liegen. „Fosfomycin ist hier die schlechteste Substanz“, so das Fazit Bennacks. Dass Fosfomycin-Trometamol bei Harnwegsinfektionen unter Umständen nicht das Mittel der Wahl ist, mit diesem Gedanken ist die Krankenhausapothekerin nicht allein: Auch BfArM und EMA zweifeln am Nutzen der Substanz.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatte im vergangenen Jahr die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA aufgefordert, Fosfomycin im Hinblick auf zunehmende Resistenzen neu zu bewerten. Am 14. Dezember 2018 hat die EMA das Risikobewertungsverfahren gestartet: „Im Einzelnen werden die Indikationen und Dosierungen von fosfomycinhaltigen Arzneimitteln sowie die sicherheitsrelevanten Informationen und die pharmakologischen Eigenschaften im Hinblick auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand neu bewertet“, erklärte das BfArM auf seiner Homepage. Seither untersucht das CHMP die Resistenzsituation bei oralen und auch parenteralen fosfomycinhaltigen Arzneimitteln. Als parenterale Darreichungsform kommt Fosfomycin vor allem bei schweren Infektionen zum Einsatz, vorteilhaft ist unter anderem die Knochengängigkeit.

Pivmecillinam: verträglich und wirksam

Hinweise, dass Resistenzen unter Fosfomycin zunehmend ein Problem darstellen könnten, lieferte ein im Mai 2018 im JAMA (Journal of the American Medical Association) veröffentlichter Artikel: Effect of 5-Day Nitrofurantoin vs Single-Dose Fosfomycin on Clinical Resolution of Uncomplicated Lower Urinary Tract Infection in Women: A Randomized Clinical Trial. Die Studie verglich eine fünftägige Behandlung mit Nitrofurantoin (dreimal täglich 100 mg) mit einer Einmaldosis Fosfomycin-Trometamol (3.000 mg) bei unkomplizierter Zystitis – Nitrofurantoin war dem Single Shot Fosfomycin überlegen.

Nach Einschätzung von Bennack ist Pivmecillinam derzeit der beste Wirkstoff bei akuten unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Resistenzlage und Eradikationsrate bewertet auch die Leitlinie mit der der höchsten Kategorie, ebenso die Verträglichkeit. Das Penicillinderivat hat eine große therapeutische Breite und darf auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden. Auch wenn sich Ärzte schwer tun, sich auf diese Substanz einzulassen, „meine Lieblingssubstanz derzeit ist Pivmecillinam“, erklärt Bennack. Doch laut Arzneiverordnungsreport tut sich etwas im Verordnungsverhalten: 2017 wurden 120.000 DDD verordnet, 290 Prozent mehr als Im Vorjahr. Wie auch Fosfomycin-Trometamol ist Pivmecillinam ausschließlich zur Therapie der akuten unkomplizierten HWI zugelassen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Pivmecillinam auch bei Allergie auf Penicillin?

von M. Seitz am 08.11.2019 um 10:27 Uhr

Dass die Fachleute (Ärzte, Apotheker) so oft nur Penicilline empfehlen, wo bekannt ist, dass Menschen mit Penicillin-Allergie diese nicht nehmen können. Selbst bei angeforderten Antibiogrammen werden diese bei z B. Streptokokken von Laboren nicht gemacht mit dem Hinweis, dass Penicilline immer wirken.

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