Abbvie übernimmt Allergan

Das Pharma-Übernahmekarussell dreht sich

München - 01.07.2019, 15:45 Uhr

In der Pharmabranche mehren sich derzeit die Übernahmen. DAZ.online-Autor Thorsten Schüller hat sich die Entwicklung genauer angeschaut und geht den Gründen nach. (c / Foto: Darwin Brandis / stock.adobe.com)

In der Pharmabranche mehren sich derzeit die Übernahmen. DAZ.online-Autor Thorsten Schüller hat sich die Entwicklung genauer angeschaut und geht den Gründen nach. (c / Foto: Darwin Brandis / stock.adobe.com)


Mit der Ankündigung des US-Konzerns Abbvie, für 63 Milliarden Dollar den Botox-Hersteller Allergan übernehmen zu wollen, bahnt sich eine weitere Megaübernahme in der Branche an. Damit könnte das Jahr 2019 einen neuen Rekord bei Pharmafusionen aufstellen.

Übernahmen gehören in der Pharma- und Biotechbranche quasi zum Geschäftsmodell. Gespräche über Kooperationen, Fusionen und Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen – im Business-Englisch auch Merger and Acquisitions (M&A) genannt – finden immer und überall statt. Doch mit schöner Regelmäßigkeit wird der Drang, sich zu binden, ausgeprägter. In solchen Jahren werden die Transaktionen auf rekordverdächtige Werte getrieben. 2019 könnte wieder so ein Jahr werden. Denn die Ankündigung des US-amerikanischen Pharmakonzerns Abbvie, für rund 63 Milliarden Dollar den Wettbewerber Allergan übernehmen zu wollen, ist nicht die erste Megafusion dieses Jahres.

Bereits im Januar 2019 hatte der Branchenriese Bristol-Myers Squibb (BMS) angekündigt, den Krebsspezialisten Celgene für 65 Milliarden Euro beziehungsweise 74 Milliarden Dollar übernehmen zu wollen. Kommt der Deal zustande, wäre das eine der größten Übernahmen in der Pharmabranche überhaupt.

Abbvie/Allergan, BMS/Celgene, Takeda/Shire

Ebenfalls Anfang des Jahres hatte auch der japanische Pharmakonzern Takeda die Übernahme des irischen Unternehmens Shire für 62 Milliarden Dollar unter Dach und Fach gebracht. Shire ist die bislang größte Auslandsakquisition durch ein japanisches Unternehmen.

Darüber hinaus macht die Branche im laufenden Jahr durch „kleinere“ Arrondierungen und Zukäufe von sich reden. So hat Pfizer erst kürzlich bekanntgegeben, Array Biopharma für elf Milliarden Dollar erwerben zu wollen. Eli Lilly kaufte für acht Milliarden Dollar Bayers Krebsforschungspartner Loxo Oncology – ein Hinweis darauf, dass vor allem der Forschungsbereich der Präzisionsonkologie begehrt ist.

„Das ist erst der Anfang einer Reihe von Fusionen, die kommen werden“, zitierte kürzlich das Handelsblatt eine Aussage von Sarat Sethi vom Investmenthaus Douglas C. Lane im Fernsehsender CNBC. Insgesamt summieren sich die Beträge, die bei den Übernahmen und Fusionen in diesem Jahr bislang bezahlt werden beziehungsweise wurden auf gut 220 Milliarden Dollar. Kommen im verbleibenden Jahresverlauf weitere Pharmatransaktionen dazu, könnte 2019 nach zwei Jahren mit schwächeren M&A-Aktivitäten unter dem Strich mit rekordverdächtigen Volumina abschließen.

Patente, Kostendruck, Konkurrenz

Die Ursachen für die intensiven Bemühungen großer Pharmaunternehmen in diesem Jahr sind in den Pipelines und Bilanzen der Konzerne zu finden. Patente laufen aus, der Kostendruck steigt, die Zeit der milliardenschweren Blockbuster geht zu Ende und wird abgelöst durch hochspezialisierte Produkte, die für kleinere Patientengruppen entwickelt wurden. Hinzu kommt die Konkurrenz durch chemische und biologische Nachahmerprodukte und das Bestreben von Politik und Krankenkassen, die Preise unter Kontrolle zu halten. So hat die US-Regierung im vergangenen Jahr mit verschiedenen Maßnahmen versucht, die Arzneimittelpreise zu senken und die Zuzahlungen von Versicherten zu begrenzen. Zudem zeigt sich, dass der finanzielle Ertrag von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bei Biopharmaunternehmen zurückgeht. Das heißt, pro ausgegebenem Euro oder Dollar machen die Unternehmen vielfach weniger Umsatz beziehungsweise Gewinn als bisher. In der Summe schlagen sich diese Entwicklungen in rückläufigen oder stagnierenden Umsätzen nieder.

Durch die Übernahmen wollen die Unternehmen nicht nur an neue aussichtsreiche Produkte und Produktkandidaten herankommen. Durch die zunehmende Größe können die Pharmakonzerne auch Effizienzgewinne einfahren, beispielsweise in der Forschung und Entwicklung, aber auch in Verwaltung und Vertrieb.

So will Abbvie durch die Übernahme von Allergan seine Abhängigkeit vom Blockbuster-Medikament Humira verringern. Das Mittel, das seine Ursprünge in den Ludwigshafener Labors der ehemaligen BASF-Tochter Knoll hatte, stand in den vergangenen Jahren für den weltweit größten Umsatzbringer im Arzneimittelgeschäft überhaupt: 2018 brachte es das Produkt auf einen Erlös von etwa 20 Milliarden Dollar. Damit erzielte der Konzern 60 Prozent seines Gesamtumsatzes von knapp 33 Milliarden Dollar allein mit dem Adalimumab. Der TNF-alpha-Antikörper wird unter anderem bei rheumatoider Arthritis, Psoriasis und Psoriasis-Arthritis, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn eingesetzt.

Abbvie: Zeiten des Geldflusses erst einmal vorbei

Doch die Zeiten des schier unerschöpflichen Geldflusses für Abbvie dürften erst einmal vorbei sein. Im vergangenen Herbst lief in Europa der Patentschutz für Humira aus, mehrere Biosimilars kamen und kommen auf den Markt. Um den damit verbundenen Umsatzrückgang zu kompensieren, braucht Abbvie dringend neue aussichtsreiche Wirkstoffe. Die hofft das Management nun im Produktportfolio und in der Pipeline von Allergan zu finden.

Allergan ist vor allem für Botox bekannt. Botox wird sowohl für Schönheitsoperationen als auch in der Neuromedizin eingesetzt. Auch wenn der Patentschutz für Botox längst abgelaufen ist, erwirtschaftet Allergan damit nach wie vor 2,4 Milliarden Dollar pro Jahr. Da auch dieses Produkt zunehmend unter Konkurrenzdruck gerät, hat Allergan in den vergangenen Jahren an der Entwicklung von neuen Medikamenten gearbeitet, und auf die hat es Abbvie nun abgesehen.

Gelingt es, die kartellrechtlichen Hürden zu überwinden, wird durch die Übernahme ein neuer Branchenriese entstehen, der sich mit einem Gesamtumsatz von 49 Milliarden Dollar in Sichtweise von Branchenprimus Pfizer (53,6 Milliarden Dollar) platziert.

BMS: Marktposition bei Krebsimmuntherapien ausbauen

Im Fall von Bristol-Myers Squibb und Celgene liebäugelt BMS-Konzernchef Giovanni Caforio damit, durch den Deal die Position seines Unternehmens vor allem im lukrativen Geschäft mit Krebsimmuntherapien stärken zu können. Mit einem geschätzten Umsatzvolumen von 20 Milliarden Euro würden die US-Amerikaner damit künftig nach Marktführer Roche als Nummer zwei im Onkologiebereich rangieren.

Derzeit kämpft BMS allerdings um die kartellrechtliche Genehmigung des Deals. Um grünes Licht zu erhalten, will Bristol-Myers das Schuppenflechte-Mittel Otezla (Apremilast) von Celgene verkaufen. Nachdem bislang geplant war, dass die Übernahme im dritten Quartal 2019 abgeschlossen werden kann, rechnet das BMS-Management angesichts der kartellrechtlichen Verzögerungen nun mit Ende 2019 oder Anfang 2020.

Auf Krebsprodukte hofft auch Takeda durch die Integration von Shire. Mit den Iren haben sich die Japaner Krebsmedikamente, Arzneimittel für den Gastrointestinaltrakt und das Nervensystem an Bord geholt. Pfizers Ambitionen bei Array Biopharma wiederum dürften durch gute Ergebnisse getrieben worden sein, die Array zuletzt zu einer Kombi-Therapie bei Patienten mit metastasierendem Darmkrebs bekanntgegeben hatte. Auch auf dem wichtigen Branchentreff Asco Anfang Juni in Chicago überzeugte die Firma mit neuen Daten aus einer Kombination gegen eine spezielle fortgeschrittene Brustkrebsform.

Schwache Übernahmeaktivitäten in 2018

Im Gegensatz zum bisher guten M&A-Jahr 2019 sind die Pharmaunternehmen im vergangenen Jahr auf dem Transaktionsmarkt deutlich hinter ihren Möglichkeiten geblieben: Zwar stieg das Übernahmevolumen im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent auf 198 Milliarden US-Dollar. Allerdings lag die Summe immer noch etwa 90 Milliarden US-Dollar unter den Beträgen, die in den Jahren 2014 bis 2016 durchschnittlich in den Bereich investiert wurden.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young), für die Finanzdaten der größten Pharma-, Biotech- und Specialty Pharma-Unternehmen untersucht wurden. Der „Firepower Index“ von EY misst die Kaufkraft von Biotech- und Pharma-Unternehmen bei M&A-Transaktionen auf der Grundlage ihrer Marktkapitalisierung, Barmittel sowie Verschuldungsfähigkeit.

Dabei wären die Unternehmen durchaus zu mehr in der Lage: Die Firepower – also die Mittel, die Unternehmen für Zukäufe mobilisieren können – betrug mehr als 1,2 Billionen US-Dollar. Davon wurden allerdings gerade einmal 16 Prozent genutzt. 2014 investierten die Unternehmen noch 27 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel für Fusionen und Übernahmen. Als Grund für die Zurückhaltung gaben die Unternehmensverantwortlichen in erster Linie die hohen Preise an, die für Übernahmekandidaten aufgerufen wurden. Als zweithäufigster Grund wurden die weltweiten geo- und handelspolitischen Unsicherheiten genannt.

Deutsche Unternehmen auf den Plätzen

Deutsche Pharmakonzerne spielen bei dem Übernahmekonzert der Großen nur eine Nebenrolle. Sie hinken auch, was den Umsatz angeht, den weltweiten Branchenführern hinterher, unter anderem, weil lukrative onkologische Arzneimittel oft aus den USA oder der Schweiz kommen, wie eine vor wenigen Wochen vorgestellte Analyse der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) zeigte. Während die globalen Marktführer aus den USA und der Schweiz ihren Umsatz im vergangenen Jahr kräftig steigerten, fielen die hiesigen Vertreter zurück. Insgesamt steigerten die 22 von EY untersuchten Konzerne 2018 ihren Umsatz aus dem Pharmageschäft gegenüber dem Vorjahr um 0,9 Prozent auf 460,8 Milliarden Euro. Ein Plus können die deutschen Pharmaunternehmen dennoch für sich verbuchen: Sie geben viel Geld für Forschung aus. So liegen beispielsweise Merck und Boehringer mit ihren Aufwendungen über dem globalen Durchschnitt.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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