Interview mit Christian Buse (BVDVA)

„Warum sollten Apotheker beim E-Rezept im Nirwana untergehen wollen?“

Berlin - 22.08.2019, 07:59 Uhr

Der Deutsche Apothekerverband steht für ein einheitliches Verordnungsmodell beim E-Rezept. BVDVA-Chef Christian Buse findet hingegen, dass jede Apotheke selbst die Möglichkeit haben sollte, sich eine eigene E-Rezept-App zu schaffen. (m / Foto: P. Külker)

Der Deutsche Apothekerverband steht für ein einheitliches Verordnungsmodell beim E-Rezept. BVDVA-Chef Christian Buse findet hingegen, dass jede Apotheke selbst die Möglichkeit haben sollte, sich eine eigene E-Rezept-App zu schaffen. (m / Foto: P. Külker)


Die Versandapotheken-Branche fiebert dem E-Rezept entgegen. Die Schweizer DocMorris-Mutter Zur Rose lässt keine Möglichkeit aus, große Umsatzsprünge zu prophezeien, die sich durch das E-Rezept ergeben würden. Aber auch die deutschen Versender freuen sich schon: Im Interview mit DAZ.online erklärt Christian Buse, Chef von Mycare und des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken (BVDVA), warum E-Rezepte gerade im Versandhandelsgeschäft für höhere Umsätze sorgen könnten – und warum er gegen einen einheitlichen digitalen Verordnungsweg ist, wie ihn der Deutsche Apothekerverband plant.

DAZ.online: Herr Buse, neben der Aufhebung der Rx-Preisbindung ist die Einführung des E-Rezeptes derzeit eines der wichtigsten Themen für Ihren Verband. Warum?

Buse: Wir reden seit 15 Jahren über das E-Rezept, die ersten rechtlichen Grundlagen gibt es ebenfalls seit vielen Jahren. Es ist daher gut, dass jetzt endlich mehr Dynamik in dieses Feld kommt und dass wir einen Gesundheitsminister haben, der durch neue Fristen mehr Tempo einbringt. 

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DAZ.online: Anders gefragt: Warum gehen Sie davon aus, dass das E-Rezept gerade den Versandapotheken hilft?

Buse: Erstens, weil mit dem E-Rezept der Medienbruch in der Kette Arzt-Patient-Apotheker abgeschafft wird. Es wird nicht mehr nötig sein, dass die Patienten ihre Verordnungen kompliziert in einen Briefumschlag stecken und diesen an eine Versandapotheke schicken. Zweitens haben unsere Mitglieder ja jetzt schon einen großen, zufriedenen Kundenstamm. Es wird daher wichtig sein, diesen Kunden mitzuteilen, dass sie bei Versandapotheken den gesamten Versorgungsprozess aus einer digitalen Hand bekommen können – also OTC und Rx. Wir werden das aktiv so anbieten, da das E-Rezept in der Bevölkerung de facto noch nicht bekannt ist.

DAZ.online: Was glauben Sie denn, wie schnell diese Entwicklung sein wird? 

Buse: Das wird nicht von einem Tag auf den anderen passieren. Insbesondere, da nicht jeder Patient den elektronischen Weg wählen wird und weiterhin ein „Papierrezept“ parallel möglich ist. Grundsätzlich sind digitale Transformationsprozesse keine Frage von Tagen oder Wochen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die digitale Struktur in der Arzneimittelversorgung wächst und Patienten und Apotheker schnell profitieren.

Buse: Die Plattformlösung ist nicht die richtige für Apotheker

DAZ.online: Sehen Sie denn auch Vorteile für die internen Prozesse in der (Versand-)Apotheke?

Buse: Sehr viele. Zunächst einmal werden formale Fehler von Ärzten in digitalisierten Verordnungen abnehmen. Das Retax-Risiko dürfte dementsprechend sinken. Grundsätzlich wird aber die gesamte Kommunikation mit den Ärzten vereinfacht: Es wird nicht mehr nötig sein, bei fehlerhaften Rezepten das Rezept physisch in die Arztpraxis zu schicken, um ein neues Rezept anzufordern oder Korrekturen gegenzeichnen zu lassen. Derzeit ist das ja leider gelebter Alltag in den Apotheken. Die Apotheken werden ihre Backoffice-Tätigkeiten also verringern und sich mehr ihren pharmazeutischen Aufgaben widmen können. 

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DAZ.online: Obwohl es das E-Rezept noch gar nicht gibt, wächst der Markt ja bereits rasant. Es findet ein Wettrüsten um die besten E-Rezept-Einlösemodelle statt. Wo sieht sich da der BVDVA?

Buse: Ich glaube, dass wir derzeit noch in einem ergebnisoffenen Wettbewerb (zweier) verschiedener Modelle sind. Auf der einen Seite gibt es die Idee einiger Betreiber, ein standardisiertes Modell zu schaffen, das möglichst viele Apotheken einheitlich nutzen und ihren Kunden anbieten. Entsprechendes wird z.B. vom DAV, Krankenkassen und Plattformbetreibern entwickelt. Alternativ dazu werden einzelne Apotheken entsprechende Apps anbieten um den Kundenkontakt direkt „ohne Zwischenstation“ zu halten. Möglicherweise werden aber noch ganz andere Konzepte, insbesondere von Branchenfremden, entwickelt.

DAZ.online: Und Sie favorisieren vermutlich die Individuallösung …

Buse: Richtig. Ich glaube nicht, dass die Plattform-Lösung die beste Option für ein inhabergeführtes Unternehmen ist. Warum sollten Apotheken im Nirwana vieler anderer tausend Apotheken untergehen wollen? Was hat eine Apotheke davon, wenn Kunden sie in einer Liste von tausenden anderen auswählen kann? Wo man sich über kurz oder lang in Plattform Modellen wiederfindet, kann man sich auf dem Amazon Marketplace ansehen. Jede Apotheke sollte ihre individuellen Dienstleistungen direkt anbieten können. Entsprechende Apps werden zur freien Konfiguration für kleines Geld auf den Markt kommen. 

„Es wird einen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kunden geben“

DAZ.online: Nehmen wir mal an, die Apotheken gehen diesen Wettbewerb ein. Wie könnten sie sich gegenüber dem Kunden in ihren Apps und Einlöse-Möglichkeiten denn unterscheiden? Also mit welchen Leistungen könnten die Apotheken in Wettbewerb treten?

Buse: Da wird es in erster Linie um die Convenience gehen, also wie hoch der Komplikationsgrad der E-Rezept-Lösungen sein wird. Die Apotheken werden versuchen, ihren Einlöseprozess so einfach und so praktisch wie möglich darzustellen. Nicht nur für die Versandapotheken heißt das: Je mehr Kunden ich habe, desto breiter kann ich kommunizieren, dass es jetzt eine App gibt, mit der eine noch einfachere Rezepteinlösung möglich ist. Es wird einen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kunden geben. Und Aufmerksamkeit wird man bei seinen potenziellen Kunden über ein breites Dienstleistungsangebot, wie Arzneimittelchecks, Hilfsmittelkompetenz, Versandlieferung, Botenlieferung usw. erzielen.

Christian Buse

Vorsitzender BVDVA, myCARE

Christian Buse

DAZ.online: Nicht jede Apotheke ist so groß wie Ihre. Wie soll sich eine kleine Landapotheke, der es finanziell ohnehin schon schlecht geht, die Entwicklung einer komplizierten App leisten und dann auch noch ein intensives Marketing finanzieren?

Buse: Ich bin ja in der DDR aufgewachsen und für mich ist klar: Die größte Errungenschaft der westlichen Welt ist die Wahlfreiheit. Ich gehe davon aus, dass die Plattform nur die zweitbeste Option für Kunde und Apotheke ist. Wir haben in Deutschland eine sehr hohe Stammapotheken-Affinität. Die Kunden werden auch mit dem E-Rezept gezielt zu ihrer Apotheke eine Beziehung aufbauen wollen. Darauf sollte sich jeder Apotheker vorbereiten. Gerade Landapotheken mit großem Einzugsgebiet und umfangreichem Botendienst können mit dem E-Rezept die Kundenbindung verbessern und signifikant Kosten reduzieren. Sollten sich dennoch viele Kollegen für diese Massenlösung entscheiden, wäre die Akzeptanz der Kunden aber der entscheidende Faktor für eine solche Plattform. 

Wir Apotheker haben uns daran gewöhnt, dass Dritte für uns verhandeln, die es aber irgendwie niemandem Recht machen. Das Thema Securpharm und der Rahmenvertrag sind zwei aktuelle Themen, wo wir sehen, dass es dem Apotheker nicht immer nur gut tut, dass Verbandsgremien die alleinige Verhandlungsmacht haben. Die Apotheker legen großen Wert auf ihre Freiberuflichkeit, sie sollten das auch so leben. Die ABDA kommt ja auch nicht vorbei und schließt den Mietvertrag für jeden Apotheker ab. In Bezug auf das E-Rezept denke ich aber, dass es Angebote geben wird, die diese Lücke sehen werden.

DAZ.online: Was meinen Sie?

Buse: Es wird Firmen geben, die Standard-Apps anbieten werden. Das wird ähnlich laufen, wie etwa das Geschäftsmodell von apotheken.de, bei dem Standard-Internetseiten angeboten werden, die mit den Inhalten der jeweiligen Apotheken gefüllt werden. Ich denke also, dass wir technologisch stark ähnliche Apps bekommen, die die Apotheken, die keine eigene Lösung entwickeln wollen oder können, nutzen und mit ihren eigenen Inhalten befüllen werden.

Zur Person

Nach dem Studium der Pharmazie an der Martin Luther Universität Halle erlangte Christian Buse seine Approbation als Apotheker und war fortan in einer öffentlichen Apotheke tätig. Dort war er vorrangig als Kontrollleiter in der Arzneimittelherstellung sowie für die Planung und Realisierung eines regionalen Gesundheitszentrums tätig.

Mit der zunehmenden Digitalisierung gründete er gemeinsam mit einigen Partnern die mycare GmbH & Co. KG – einen der ersten apothekennahen Internetversandhandel. Die heutige myCARE e.K. Dort war und ist Buse für den Aufbau und die Leitung des mycare.de Versandbereichs der Robert Koch Apotheke in Wittenberg verantwortlich.

Seit 2006 ist er Mitglied im BVDVA, seit 2008 1. Vorsitzender und darüber hinaus Gründungsmitglied im Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV). Als erster Vorsitzender des BVDVA liegt es ihm besonders am Herzen, Verbrauchern seriöse Versandapotheken vorzustellen. (Text stammt vom BVDVA)



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

E-Rezept.

von Roland Mückschel am 22.08.2019 um 9:38 Uhr

Was die Apotheker für sich bestens vorbereitet haben
lässt sich dann auch für den Versand trefflich nutzen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Lügenbaron

von Landapotheker am 22.08.2019 um 8:25 Uhr

Bitte weiter machen DAV / ABDA.

Natürlich wollen die Versender per Fernsehwerbung etc. mit jeder einzelnen Apotheke vor Ort individuell konkurrieren.
Natürlich ist es bei der Betriebsgröße möglich eine eigene APP und individuelle Werbung sonstwo zu schalten ......nur stationäre Apotheken werden dann für jede App Geld bezahlen....monatlich, je Rezept ....wie auch immer. Und dazu 20-100 Apps etc. betreuen, pflegen und bezahlenm müssen . Ja das wird wohl kaum der Staat übernehmen und die ganzen tollen StartUps und Konzerne wollen Geld verdienen . Dann hat man zwar ein Makelverbot zahlt aber faktisch doch wieder an dutzende Anbieter und wer zahlt dann am meisten an diese Anbieter ?

-TKK-App
-eigene App
-Noveni App
-Doc Morris-App
-Barmer-App
-AOK-App
..............................................usw.

Da ist eine zentrale Schnittstelle/ Plattform für alle die Lösung, die Versender aus genannten Gründen nicht wollen.

P.S.
Z.B. Apple schmeisst gerne alle nicht eigenen Apps raus, wenn es selbst ähnliches hat. Außer man überlässt Apple die Daten der Fremdapp zur Nutzung ......wollen wir soetwas mit E-Rezept-Daten ???

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