ARD/SWR: Report Mainz

Zocken Apotheken Patienten mit Nahrungsergänzungsmitteln ab?

Stuttgart - 12.09.2019, 13:29 Uhr

Bei Nahrungsergänzungsmitteln liegt vieles im Argen, den Prozess des Inverkehrbringens kontrolliert nach Recherchen des SWR niemand so richtig, auch die Überwachung läuft nur stichprobenartig. ( r / Foto: cirquedesprit / stock.adobe.com)

Bei Nahrungsergänzungsmitteln liegt vieles im Argen, den Prozess des Inverkehrbringens kontrolliert nach Recherchen des SWR niemand so richtig, auch die Überwachung läuft nur stichprobenartig. ( r / Foto: cirquedesprit / stock.adobe.com)


„Wie Apotheker mit Nahrungsergänzungsmitteln Kasse machen“, erklärt der SWR in einem TV-Beitrag am Dienstag. Klingt nach einer bundesweit verbreiteten Marotte – konkret stellen die Journalisten eine Apotheke vor, die unseriöse Heilversprechen zu einem Artemisia-Extrakt macht. Die Tagesschau hat dieselbe Recherche der Journalisten Claudia Butter und Philipp Reichert aufgegriffen, etwas weniger apothekenketzerisch unter: „Nahrungsergänzungsmittel: Ohne Kontrolle auf dem Markt“. Auch Stefan Fink vom DAV äußert sich.

Am Beispiel einer mittlerweile verstorbenen Darmkrebspatientin berichtete Report Mainz im SWR am Dienstag über Nahrungsergänzungsmittel (NEM). Unter „Das Geschäft mit der Hoffnung – wie Apotheken mit Nahrungsergänzungsmittel Kasse machen“ beleuchtet der SWR den „boomenden“ Markt, über 100 Millionen Packungen an NEM sind nach Recherche der Journalisten – Claudia Butter und Philipp Reichert – 2018 verkauft worden, 40 Prozent davon in Apotheken. Diese schneiden im Beitrag wenig gut ab, denn bei ihrer Recherche stießen die Redakteure auch auf „einen Apotheker, der verspricht Krebs zu heilen“, und zwar mit einem Artemisia-Extrakt.

Unlautere Heilversprechen

Ein Anruf der Journalisten in der im baden-württembergischen Ellwangen ansässigen Apotheke bestätigte, dass der Apotheker in der Tat Heilversprechen zu seinem Artemisia-Extrakt abgibt: Beifuß vernichte Krebszellen. Derartige Heilversprechen sind jedoch, das erklärt der Beitrag, nicht erlaubt. Weder bei Artemisia noch bei sonstigen als NEM im Verkehr befindlichen Präparaten. Gesetzlich geregelt wird das durch die EU-Health-Claims-Verordnung, die genau definiert, welche gesundheitsbezogenen Aussagen Hersteller zu ihren NEM treffen dürfen.

Solche „schwarzen Apothekenschafe“ sind fraglos unschön. Das sieht auch Stefan Fink vom Deutschen Apothekerverband so. Er kritisiert und verurteilt das Verhalten der besagten Apotheke. NEM unterliegen – ungleich Arzneimitteln – jedoch keinen strengen Zulassungsverfahren. Sie werden nach der Registrierung von den Landkreisen kontrolliert, „stichprobenartig“, wie Report Mainz betont. Der für den Ellwanger Apotheker zuständige Landkreis erklärt auf Nachfrage der Reporter, dass „eine Überwachung von Verkaufsgesprächen (…) durch die Lebensmittelüberwachungsbehörden“ nicht erfolgt. 

Allerdings zeigen die Nachforschungen der Journalisten auch: Noch bevor Apotheken oder Drogerien NEM an die Verbraucher bringen können, liegt vieles im Argen. Denn offensichtlich nimmt es die Behörde, die für das Inverkehrbringen zuständig ist – Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit –, mit ihrer Sorgfaltspflicht wenig genau.

NEM mit Stechapfel: Bundesamt reagiert nicht

Die Journalisten Butter und Reichert stellten ihre NEM-Recherchen auch der ARD zur Verfügung. So lief in dieser Woche auch ein Beitrag dazu „Exclusiv im Ersten: Die Armee der Heilsbringer“, und auch die Tagesschau griff das Thema auf, hier jedoch weniger apothekenketzerisch, sondern eher mit dem Fokus auf die Unreguliertheit des NEM-Marktes: „Nahrungsergänzungsmittel: Ohne Kontrolle auf dem Markt“. Auch Apotheker Professor Martin Smollich von der Universität Kiel kommt als Experte in der ARD zu Wort. Seine Einschätzung: „Die aktuelle Situation auf dem Markt ist für Verbraucher tatsächlich potenziell gefährlich“. Das bestätigt ein „Selbstversuch" der Journalisten Butter und Reichert.

Denn: Die Journalisten brachten ihr eigenes NEM auf den Markt, der Inhaltsstoff: Ein Extrakt aus einer giftigen Pflanze, Datura stramonium, Stechapfel. Alles sei für die Kennzeichnung des NEM genau festgelegt, die Schriftgröße beispielsweise, nur nicht, welche Inhaltsstoffe ein NEM eigentlich enthalten dürfe, so die Journalisten. Registrieren ließen die Journalisten ihr NEM beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit – und diese bestätigten prompt, das Produkt auch registriert zu haben. Trotz des giftigen Inhaltsstoffes reagiert die Behörde nicht.

Sollen Apotheken NEM aus dem Sortiment nehmen?

Kritisch beäugt auch die Onkologin Professor Jutta Hübner den wachsenden NEM-Markt, bezeichnet diesen als „Scharlatanerie", die in der Krebstherapie keinen belegten Nutzen habe, sogar schädlich sein könne. In der Tat ist bekannt, dass es aufgrund von Wechselwirkungen von NEM mit Onkologika zur Wirkminderung der Tumortherapie kommen kann.

Stefan Fink: „Wir verkaufen NEM, weil wir es dürfen!"

Report Mainz stellt klar: „NEM gelten als Lebensmittel, sie sollen die Ernährung ergänzen und sind nicht dazu da, zu heilen.“ Nur in manchen Fällen von erwiesenem Mangel, seien sie sinnvoll. Hier kann jedoch auch ergänzt werden: Besteht ein klinisch relevanter Mangel, beispielsweise bei Vitamin D, ist ein Arzneimittel indiziert.

Report Mainz kritisiert, dass NEM in Apotheken sich in ihrer Aufmachung kaum von Arzneimitteln unterscheiden, die Reporter stören sich daran und fragen – wenn NEM doch teilweise schädlich seien, warum Apotheken sie dennoch verkauften? Stefan Fink vom DAV argumentiert an dieser Stelle wenig stichhaltig.

Der Apotheker erklärt: „Wir verkaufen NEM, weil wir es dürfen“, sie ergäben in manchen Bereichen Sinn, und genau da sei dann auch die Beratung der Apotheke gefragt. Diese Erfahrung hat die Onkologin mit ihren Patienten wohl nicht gemacht, die mit „ganzen Tütchen aus der Apotheke rauskommen“. Gleiche sie die Präparate mit der Tumortherapie ab, stelle sie fest, dass in der Apotheke entweder keine Beratung stattgefunden hat, oder sie „schlichtweg inhaltlich falsch“ gewesen ist. Sie wünscht sich, dass Apotheken künftig auf den „Verkauf von diesen unsinnigen Nahrungsergänzungsmitteln verzichten würden“.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

nur schrott

von norbert brand am 13.09.2019 um 10:43 Uhr

Schuld haben hier am allerwenigsten die Apotheker, wie man am Beispiel der Phytopharmaka (= Arzneimittel) nachvollziehen kann. Hier haben die Zulassungsbehörden die Qualitätsanforderungen innerhalb der letzten 20 Jahre so hochgeschraubt (man muß z.B. die Qualität des Wasser, mit der man die frisch geerntete Baldrianwurzel wäscht, belegen), daß der Markt der pflanzlichen ARZNEIMITTEL nur noch schrumpft. Statt dessen haben sich nahezu alle Firmen auf die NEM's mit ihrem schnellen Marktzutritt gestürzt. Es ist wirklich z.T. haarsträubend, was hier für ein Wildwuchs mit ganz geschmeidigem Marketing in den Markt gedrückt wird. Wirklich gebraucht wird davon so gut wie nichts, aber es ist ein schnelles Geschäft, wo alle partizipieren wollen. NEM's sind schon längst verkappte pflanzliche Arzneimittel.

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