FDP-Anfrage zu Arzneimittel-Lieferengpässen

Bundesregierung: Lieferengpässe sind nicht zwingend Versorgungsengpässe

Berlin - 14.10.2019, 10:15 Uhr

Das Bundesgesundheitsministerium relativiert die Arzneimittel-Lieferengpässe und erklärt, dass in vielen Fällen alternative Arzneimittel vorhanden seien. (Foto: imago images / Müller-Stauffenberg)

Das Bundesgesundheitsministerium relativiert die Arzneimittel-Lieferengpässe und erklärt, dass in vielen Fällen alternative Arzneimittel vorhanden seien. (Foto: imago images / Müller-Stauffenberg)


Die Zahl der gemeldeten Arzneimittel-Lieferengpässe hat sich in den vergangenen Jahren fast verneunfacht. Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion gab es 2018 268 gemeldete Defekte, 2014 waren es 30. Etwas mehr als die Hälfte der fehlenden Wirkstoffe sind als versorgungsrelevant einzustufen. Zum Einfluss der Sparinstrumente (Festbeträge, Rabattverträge) auf Lieferengpässe gibt die Regierung nur vage Antworten. Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann meint aber, dass genau diese Regulierungen gestrichen werden müssten, um Engpässe künftig zu vermeiden.

Seit dem Jahr 2012 haben Hersteller die (freiwillige) Möglichkeit, Lieferengpässe an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden. 2013 wurden erstmals 42 Defekte gemeldet, in diesem Jahr waren es bislang 216. Im vergangenen Jahr gab es 268 Defekte, die wenigsten Meldungen gab es 2014 (30). Die Meldungen betreffen oft auch als versorgungsrelevant eingestufte Wirkstoffe. So machten im Jahr 2018 mehr als die Hälfte (139 von 268, 51,87  Prozent) der Lieferengpassmeldungen solche Präparate aus. Im laufenden Jahr 2019 betrafen gar fast 60 Prozent der Lieferengpässe versorgungsrelevante Wirkstoffe (127 von 216).

Diese Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine sehr ausführliche Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zu Lieferengpässen hervor. Der Fokus dieser Anfrage lag unter anderem auf einem möglichen Zusammenhang zwischen den Sparinstrumenten im Arzneimittelbereich (insbesondere Rabattverträge, Import-Regelungen und Festbeträge) und den Engpässen. Doch hier liefert das Bundesgesundheitsministerium, das stellvertretend für die Regierung antwortet, eher vage Antworten. Das Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weist auf die Einsparungen hin, die dadurch generiert werden ( 2018: 7,8 Milliarden Euro durch Festbeträge und 4,5 Milliarden Euro durch Rabattverträge) und schreibt: „Sie tragen dazu bei, eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung zu gewährleisten und die Arzneimittelausgaben der GKV auf Dauer finanzierbar zu halten.“

Wie viele versorgungsrelevante Wirkstoffe unter die Rabattverträge fallen, weiß die Bundesregierung nicht. Bei den Festbeträgen liegen Daten vor: 188 der insgesamt 500 vom BfArM als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffe unterliegen der Festbetragsregelung. Wie viele versorgungsrelevante Arzneimittelpackungen im Rahmen der Importförderklausel abgegeben wurden, weiß die Bundesregierung ebenfalls nicht. Ohnehin relativiert das BMG das Problem mit den Engpässen und schreibt, dass ein Lieferengpass nicht automatisch ein Versorgungsengpass sei. Wörtlich heißt es: „Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind nicht mit therapeutisch relevanten Versorgungsengpässen (…) gleichzusetzen. Oftmals stehen alternative Arzneimittel zur Verfügung, weshalb ein Lieferengpass nicht unbedingt zum Versorgungsengpass führen muss.“ Deswegen sei eine „differenzierte“ Betrachtung notwendig.

BMG: 96 von 1344 Herstellern sitzen in Deutschland

In ihrer Anfrage beschäftigte sich die FDP auch mit den Standorten der Wirkstoffhersteller. Insgesamt gibt es laut BMG-Antwort für die in Deutschland zugelassenen versorgungsrelevanten Arzneimittelwirkstoffe 1344 Hersteller. Weniger als die Hälfte haben demnach ihren Sitz in der EU (526 von 1.344). Nur 96 Hersteller, also nicht mal jeder zehnte Wirkstoffhersteller hat seinen Sitz in Deutschland (96 von 1344). Die meisten Wirkstoffhersteller außerhalb der EU haben ihren Sitz in China und Indien. An mehreren Stellen verweist die Bundesregierung darauf, dass es sich bei der Standortwahl um eine unternehmerische Entscheidung handelt.

Ein weiterer interessanter Teil der Anfrage beschäftigt sich mit eventuellen Mehrkosten, die durch Lieferengpässe entstehen. Die FDP wollte wissen, wer die Mehrausgaben zu tragen hat, die entstehen, wenn ein anderes Präparat als das Rabattarzneimittel abgegeben werden muss oder wenn ein Präparat abgegeben wird, das über dem Festbetrag liegt. Was die Rabattverträge betrifft, erklärt das BMG, dass die Apotheker im Falle eines Engpasses ein alternatives Arzneimittel abgeben müssen – und sich dabei an den Rahmenvertrag halten sollen. Und weiter: „Inwiefern die Krankenkassen entgangene Rabatteinnahmen gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer geltend machen können, kann nicht beurteilt werden, da die Regelungsinhalte der Rabattverträge (…) nicht öffentlich zugänglich sind.“ Was die Festbeträge betrifft, erklärt das Ministerium, dass im Falle eines Defektes auch andere wirkstoffgleiche Arzneimittel zur Verfügung stünden, für die es keine Aufzahlung gebe.

Ullmann: Regulierungswahnsinn beenden

Der FDP-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Andrew Ullmann, der die Fragen federführend entworfen hatte, wirft der Bundesregierung mit Blick auf diese Antworten vor, dass sie die wahren Ursachen der Lieferengpässe „vertuscht“. Ullmann fordert einen radikalen Rückbau der Sparinstrumente im Arzneimittelbereich. Ullmann wörtlich: „Schuld daran ist die regulierungswütige Sparpolitik der letzten Jahre. Zwangsabschläge, Festbetragsarzneimittel, Rabattverträge und regionale Arzneimittelvereinbarungen mit Quoten: Der Arzneimittelmarkt in Deutschland gleicht heute einer Planwirtschaft. Es geht nur noch darum auf dem Rücken der Patienten Geld zu sparen bis es quietscht.“

Der FDP-Politiker aus Bayern wirft der Großen Koalition vor, die von Ex-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eingeführten Sparinstrumente nicht zurückgeführt zu haben: „Die Groko hat diese Politik jedoch auch in Zeiten voller Kassen unerbittlich fortgesetzt und brüstet sich heute mit immer weiter steigenden Einsparungen. Eine solche Politik geht zwangsläufig auf Kosten der Patientenversorgung, aber auch gegen den Standort Deutschland. Die Patientinnen und Patienten, die auf ihre Medikamente angewiesen sind und diese nicht bekommen, zahlen mit ihrer Gesundheit.“

Es sei längst an der Zeit, „diesen planwirtschaftlichen Regulierungswahnsinn zu beenden“, fordert Ullmann. Und weiter: 


„Wir brauchen endlich wieder eine soziale Marktwirtschaft im Gesundheitswesen. Das bedeutet, dass wir ordnungspolitische Rahmenbedingungen brauchen, die eine hochwertige und zugleich bezahlbare Gesundheitsversorgung garantieren. Die kleinteilige Regulierung der Versorgung muss auf den Prüfstand. Sparinstrumente müssen abgeschafft werden, wenn sie dazu führen, dass nur noch in einigen wenigen Ländern und Produktionsstätten lebenswichtige Arzneimittel hergestellt werden.“ 

Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP-Fraktion)


Einsparmöglichkeiten anstelle der Rabattverträge und Festbeträge sieht er in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, die dem FDP-Politiker zufolge 34 Milliarden Euro pro Jahr einsparen kann sowie die Vermeidung nicht notweniger stationärer Krankenhausaufenthalte (mindestens 7,2 Milliarden Euro).

Mehr zum Thema



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

ja

von Karl Friedrich Müller am 14.10.2019 um 10:39 Uhr

verharmlosen, kleinreden, ignorieren.
So ist unsere Regierung.
Es passiert nichts im Land für das Volk. nur für Konzerne und Absahner
Immer Angst um Stimmen, die angerichtete Sche... könnte ja mal offensichtlich werden.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.