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Arzneimittel-Lieferengpässe
Schmidt: So schlimm war es seit 30 Jahren nicht
Die durch Arzneimittel-Lieferengpässe entstehenden Versorgungsbeeinträchtigungen werden immer heftiger. Nicht nur die Patienten merken sie, sondern auch Ärzte und Apotheker in ihrer täglichen Arbeit. Wie angespannt die Lage ist, stellte nun auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in einem ausführlichen Interview in der Sendung „Hauptsache Gesund“ klar. Schmidt bezeichnet die Situation für viele Patienten als „unzumutbar“ und fordert umgehende Umstellungen im Arzneimittelmarkt.
Friedemann Schmidt ist normalerweise nicht dafür bekannt, Situationen zuzuspitzen und sie zu dramatisieren. Insbesondere in den schwierigen politischen Situationen der vergangenen Jahre wirkte er zumindest bei öffentlichen Auftritten ruhig und ausgeglichen – für viele Apotheker vielleicht sogar etwas zu passiv. Schmidts jüngster Auftritt und seine Wortwahl in der TV-Sendung „Hauptsache Gesund“ fällt wahrscheinlich auch deswegen aus der Reihe. Der ABDA-Präsident scheint sich um die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln große Sorgen zu machen.
Schon vor dem eigentlichen Gespräch mit dem Moderator wird Schmidt kurz ins Bild geholt und erklärt zu Arzneimittel-Lieferengpässen: „In den Apotheken ist es so schlimm, wie es seit 30 Jahren nicht mehr gewesen ist. Für die Patienten ist es nicht nur schlimm, sondern es wird zunehmend auch gefährlich.“ Im Beitrag wird dann sowohl die ambulante als auch die stationäre Versorgungssituation erläutert. In einer Leipziger Apotheke versucht ein Patient, ein Blutdruck-Präparat abzuholen, wird aber vertröstet und erklärt: „Das erinnert mich an DDR-Zeiten, als man bestimmte Produkte nur nach Wartezeiten oder mit Beziehungen gekriegt hat.“
Schmidt: Das ist Marktversagen
Was die Engpässe in Kliniken betrifft, kommt der Hämatologe Prof. Uwe Platzbecker zu Wort, der sich über die Versorgungsschwierigkeiten mit dem Zytostatikum Cytarabin beschwert. „Für dieses Medikament gibt es keine Alternative. Es gibt keine zugelassenen Substanzen, die dieses Medikament derzeit ersetzen können. (…) Unsere Klinikapotheke leistet einen unheimlichen Aufwand, um das Medikament zum Beispiel aus dem Ausland zu importieren. Derzeit schaffen wir es, ausreichend davon zur Verfügung zu stellen.“
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Auf die Frage des TV-Moderators, ob Schmidt die Situation beruhigen könne, antwortet der ABDA-Präsident: „Nein, das ist kein vorübergehendes Geschehen. Marktversagen, Systemversagen liegt dahinter.“ Aus seiner Sicht liegt das Problem unter anderem im Wettbewerb, den „die Politik“ angefeuert habe im Arzneimittelmarkt, um die Preise zu senken. „Das hat gut funktioniert. Es ist wie beim Schrauben: Nach fest kommt ab. Und jetzt ist ab.“
Irbesartan, Shingrix? Schmidt: Unzumutbar!
Der ABDA-Präsident wird mit einigen für Apotheker gut bekannten Lieferengpässen konfrontiert. Irbesartan zum Beispiel, das derzeit nur mit dem Originalpräparat Approvel beliefert werden kann. Schmidt dazu: „Bei Irbesartan ist aber nur noch das Original verfügbar. Man kann es vermeiden, indem man auf ein anderes Sartan wechselt, aber es ist wirklich sehr schwierig, eigentlich unzumutbar.“ Außerdem entstünden hohe Aufzahlungen für die Patienten. Nächstes Beispiel: Shingrix. Hier ist die Lage laut Schmidt auch aus medizinischen Gründen nicht vertretbar. „Das Schlimme ist: Die Leute sind angeimpft. Der Hersteller sagt: Innerhalb eines Jahres die zweite Impfung. Jetzt gibt es nichts. Verliert dann die erste Impfung ihre Wirkung? Muss ich von vorne anfangen? Unzumutbar.“
Im Beitrag folgt eine Erklärung dazu, warum insbesondere preisgünstige und häufig verordnete Arzneimittel wie Ibuprofen fehlen. Prof. Harald Schweim, ehemaliger Chef des BfArM, weist darauf hin, dass die Wirkstoffe und Hilfsstoffe teils aus der ganzen Welt zusammenkommen, um dann in einem Land in Fernost produziert zu werden. Auch die Abhängigkeit von Fernost bei Antibiotika wird angesprochen. Schweim malt ein düsteres Bild: „Stellen Sie sich vor, in China gibt es ein großes Erdbeben und die Firmen sind dadurch nicht lieferfähig. Dann haben wir ungefähr Vorräte für drei Monate in Europa und dann fangen die Menschen an zu sterben. Denn bevor wir in Europa eine neue Antibiotika-Produktion hochgezogen haben, vergehen Monate bis Jahre.“
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Schließlich geht es um die neue Verpflichtung für Hersteller, den Patienten auf den Packungen mitzuteilen, wo das Arzneimittel produziert wurde. Schmidt findet diese Neuregelung „ganz nett“, den Patienten helfe sie aber nicht weiter. Den Patienten rät er daher, sich „daran zu gewöhnen“, dass ausgetauscht werde und nur „die Wirkstoffe zu betrachten“ und nicht das Aussehen der Packungen. Er fügt aber hinzu: „Wenn es denn überhaupt eine Alternative gibt.“
Aus politischer Sicht ist es dem ABDA-Präsidenten zufolge wichtig, die Produktion wieder zurück nach Europa zu holen. „In Europa müssen neue ökonomische und regulatorische Bedingungen geschaffen werden, damit die Pharmaindustrie wieder in Europa produziert. Da sagt die Pharmaindustrie: ,Das dauert zehn Jahre!‘ Kann ja sein, aber dann muss man irgendwann damit anfangen.“ Zum Engagement seiner Kollegen erklärt er: „Die Apotheken tun was sie können. Es macht uns viel Arbeit und es macht uns keinen Spaß.“
8 Kommentare
So schlimm war es seit ......?
von Heiko Barz am 22.10.2019 um 11:59 Uhr
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Shinrix
von Kleiner Apotheker am 22.10.2019 um 10:43 Uhr
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valide Daten
von Andreas Seifert am 20.10.2019 um 14:41 Uhr
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MDR-Beitrag
von ED am 19.10.2019 um 10:53 Uhr
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AW: MDR-Beitrag
von PiPaPo am 21.10.2019 um 10:07 Uhr
valide Daten
von Jan Kusterer am 19.10.2019 um 8:40 Uhr
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Ach so (II)
von J.M.L. am 18.10.2019 um 18:42 Uhr
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Ach so
von Anita Peter am 18.10.2019 um 13:30 Uhr
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