CHMP empfiehlt Esketamin (Spravato)

Ein Nasenspray bei schweren Depressionen

Stuttgart - 23.10.2019, 15:59 Uhr

Etwa 20 Prozent der Patienten mit schweren Depressionen sind therapieresistent. Bald könnte sich für diese Patienten eine neue Behandlungsoption auftun: Der CHMP der EMA empfiehlt die Zulassung des Esketamin-Nasensprays Spravato in Kombination mit SSRI oder SNRI. ( r / Foto: T. L. Furrer / stock.adobe.com)

Etwa 20 Prozent der Patienten mit schweren Depressionen sind therapieresistent. Bald könnte sich für diese Patienten eine neue Behandlungsoption auftun: Der CHMP der EMA empfiehlt die Zulassung des Esketamin-Nasensprays Spravato in Kombination mit SSRI oder SNRI. ( r / Foto: T. L. Furrer / stock.adobe.com)


Was tun bei behandlungsresistenten schweren Depressionen? In absehbarer Zeit dürfte sich für diese Patienten eine neue Behandlungsoption auftun: Der CHMP der EMA empfiehlt die Zulassung des Esketamin-Nasensprays Spravato, allerdings nur in Kombination mit SSRI oder SNRI. Die FDA ließ das esketaminhaltige Nasenspray bereits im März 2019 zu.

Trotz zahlreicher Substanzklassen in der Therapie von Depressionen, sprechen nicht alle depressiven Patienten auf die Behandlung an. Etwa 20 Prozent der Patienten, die unter einer schweren Depression – Major Depression – leiden, erweisen sich als therapieresistent. Die aktuelle S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ aus dem Jahr 2015 erklärt zu therapierefraktären Depressionen: „Als behandlungsresistent werden nach allgemein akzeptierter Definition depressive Störungen angesehen, wenn Patienten auf mindestens zwei unterschiedliche, adäquat (auf-)dosierte Antidepressiva aus verschiedenen Wirkstoffklassen keine Response gezeigt haben.“ Was tun mit diesen Patienten?

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Eine Depression charakterisiert sich durch Haupt- und Zusatzsymptome. Die drei Hauptsymptome äußern sich durch:

  • gedrückte und depressive Stimmung,
  • Interessenverlust und Freudlosigkeit,
  • Antriebsmangel und eine erhöhte Ermüdbarkeit.

Zusatzsymptome sind:

  • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit,
  • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen,
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit,
  • negative und pessimistische Zukunftsperspektiven,
  • Suizidgedanken/-handlungen,
  • Schlafstörungen,
  • verminderter Appetit.

Experten sprechen von einer schweren Depression – Major Depression –, wenn der Patient über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen unter allen drei Hauptsymptomen und mindestens vier Zusatzsymptomen leidet. Eine solche depressive Episode kann einmalig auftreten und monophasisch sein. In anderen Fällen leiden die Patienten unter rezidivierenden Episoden, die Depression ist chronisch. Daneben können schwere depressive Phasen auch im Rahmen eines bipolaren Verlaufs auftreten.

Esketamin nur in Kombi mit SSRI oder SNRI

Folgt die Europäische Kommission der CHMP-Empfehlung, lautet die vollständig zugelassene Indikation: „Spravato® ist – in Kombination mit SSRI oder SNRI – indiziert bei Erwachsenen mit behandlungsresistenten schweren Depressionen, die in einer aktuellen Episode auf mindestens zwei unterschiedliche antidepressive Therapien nicht angesprochen haben.“

Der CHMP empfiehlt, dass die Behandlung mit Spravato® von Psychiatern eingeleitet werden sollte, um eine korrekte Diagnose einer therapieresistenten schweren depressiven Störung zu gewährleisten.

Antidepressive Wirkung über NMDA-Rezeptor-Antagonismus

Spravato® wird als 28mg-Nasenspray-Lösung erhältlich sein. „Die antidepressive Wirkung von Esketamin wird durch seine antagonistische Aktivität auf den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR) vermittelt, der eine vorübergehende Erhöhung der Glutamatfreisetzung bewirkt“, erklärt der CHMP die mögliche Wirkweise. Worauf der antidepressive Effekt im Detail beruht, ist aber noch nicht vollständig geklärt. Neueren Erkenntnissen zufolge soll die antidepressive Wirkung ein Metabolit ((2R,6R)-Hydroxynorketamin) verursachen, der im Gehirn einen weiteren Glutamat-Rezeptor, den AMPA-Rezeptor, aktiviert.  

Glutamat-Dysfunktion bei Depressionen

Glutamat ist der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter im Zentralnervensystem (ZNS). Glutamat wirkt sowohl kurzfristig erregend auf die postsynaptische Zelle, hat aber auch hinsichtlich Neuroplastizität langfristige Effekte auf das Zentralnervensystem und beeinflusst die Gen-Expression und Translation. 

Glutamat nutzt zur Signaltransduktion verschiedene Rezeptoren, diese lassen sich grob in ionotrope Rezeptoren – NMDA, AMPA, Kainat – und in metabotrope Rezeptoren unterteilen. Ketamin fungiert als nicht-kompetitiver NMDA-Rezeptor-Antagonist.

Das glutamaterge System ist in pathophysiologische Prozesse involviert. So haben Patienten mir Depressionen erhöhte Glutamat-Spiegel im Plasma, der Zerebrospinalflüssigkeit und dem ZNS. Auch gibt es erste Hinweise, dass Depressionen mit Varianten der glutamatassoziierten Gene korrelieren.

Gliazellen spielen eine bedeutende Rolle in der Signaltransduktion durch Glutamat, indem sie den synaptischen Spalt nach Erregung von Glutamat säubern. Glutamat wird über EAAT, excitatory amino acid transporter, aufgenommen. Ein Verlust an Gliazellen im präfrontalen Cortex wurde bei Menschen mit Stimmungsschwankungen beschrieben. Aktuelle Arbeiten schätzen, dass chronischer Stress zu Depressionen führen kann, indem sie kortikale Astrozyten beeinträchtigen, da chronischer Stress in Tiermodellen zu neuronaler Atrophie im präfrontalen Cortex und im Hippocampus geführt hat und zu einer Abnahme der synaptischen Funktion.

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Potenzial von Ketamin als antisuizidales Arzneimittel

Der Nutzen von Spravato liegt in seiner Fähigkeit, ein breites Spektrum an depressiven Symptomen bei Patienten mit einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode zu reduzieren, die nicht auf mindestens zwei verschiedene Behandlungen mit Antidepressiva angesprochen haben. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schwindel, Übelkeit, Dissoziation, Kopfschmerzen, Somnolenz und Schwindel.

Esketamin auch als Partydroge bekannt

S-Ketamin ist die enantiomerenreine Komponente des racemischen Ketamins, das seit den 70er-Jahren als Anästhetikum zur dissoziativen Narkose angewendet wird. Aufgrund der ausgeprägten psychotropen Wirkungen, die auch als extrakorporale Erfahrungen beschrieben werden, ist der Glutamatrezeptor-Modulator unter dem Namen „Special K“ auch in der Partyszene beliebt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ketamin

von Schmidt am 10.12.2019 um 8:30 Uhr

Wie lang wirkt Ketamin.

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