Lieferengpässe und ihre Ursachen

AOK wirft Industrie und Apothekern „Desinformationskampagne“ vor

Berlin - 05.12.2019, 17:45 Uhr

AOK-Chef Dr. Christopher Hermann fordert mehr Transparenz – vor allem von der Industrie. ( r / Foto: AOK-Bundesverband) 

AOK-Chef Dr. Christopher Hermann fordert mehr Transparenz – vor allem von der Industrie. ( r / Foto: AOK-Bundesverband) 


Die aktuelle Diskussion um Arzneimittel-Lieferengpässe bringt in der AOK-Spitze das Blut zum Wallen: Martin Litsch, Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, wirft Pharmaindustrie und Apothekern eine „gezielte Desinformationskampagne“ vor. Sie redeten die Rabattverträge schlecht, obwohl diese aus AOK-Sicht bekanntlich ein pures Erfolgsmodell und keinesfalls ursächlich für Engpässe sind. Das mit Fakten zu belegen, war am heutigen Donnerstag Zweck einer Pressekonferenz des AOK-Bundesverbands. Die Pharmaverbände BPI und BAH hielten umgehend dagegen.

Es sind die Papiere aus der Unions- und der SPD-Fraktion zu Lieferengpässen, die den AOK-Bundesverband derzeit besonders zuwider laufen. In diesen wird unter anderem gefordert, die exklusiven Rabattverträge aufzugeben und auf Mehrfachvergaben zu setzen.

„Hier wird vermengt, was nicht zusammengehört“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands Martin Litsch am heutigen Donnerstag bei einer Pressekonferenz des AOK-Bundesverbands unter dem Titel „Rabattverträge unter Generalverdacht – Fakten statt Stories“. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WidO) habe längst gezeigt, dass Engpässe bei den AOK-Rabattverträgen nicht zur Dramatisierung taugten: Nur 0,3 Prozent der AOK-Rabattvertragsarzneimittel seien zuletzt nicht lieferbar gewesen. Und selbst dieser „marginale Anteil“ bedeute noch keinen Versorgungsengpass – stets stünden ausreichend Alternativen zur Verfügung. Zudem: Der deutsche Arzneimittelmarkt mache nur vier Prozent des Gesamtmarktes aus – das Problem der Lieferengpässe sei aber global. Bei den Rabattverträgen anzusetzen macht daher aus AOK-Sicht nicht den geringsten Sinn.

Auch für Christopher Hermann, den „Vater“ der Rabattverträge im AOK-System, sind die Engpass-Papiere von Union und SPD gespickt mit abwegigen Forderungen. Sie hörten sich an, als hätten die entsprechenden Passagen Lobbygruppen der Industrie und der Apotheker geschrieben, erklärte er. Derzeit würden Teile der Politik mit einer „aufgebauschten Kampagne“ geradezu „kirre“ gemacht. Und so komme es zu solchen undifferenzierten Papieren, die den Anschein erwecken, man könne man mit Modellen „à la Trump“, wie Exportverbote oder die Ansiedlung von Firmensitzen in Deutschland, „die Welt retten“ – oder zumindest die Arzneimittelabgabe in den Offizinen. Die Fraktionspapiere, so Hermann, gäben keine Antwort auf die wirklich wichtigen Fragen: Etwa wie sich die Engpässe in den Kliniken vermeiden lassen, also dort, wo es wirklich schon Versorgungsengpässe gebe – und keine Rabattverträge.

„Die Industrie ist das Problem“

Besser gefällt Herrmann und Litsch die Haltung des Bundesgesundheitsministeriums: Es hat gegenüber den Fraktionen zum Ausdruck gebracht, dass es die Rabattverträge nicht als Ursache der Lieferengpässe sieht. Seine Argumente waren dabei ganz auf AOK-Linie. Auch der Änderungsantrag zum Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz, die aus der Feder des Ministeriums stammen, findet man im Verband weitgehend gut. Denn was laut Litsch und Hermann wirklich im Umgang mit Engpässen helfen würde, wäre mehr Transparenz, sprich Meldepflichten vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Und hier setzt der Änderungsantrag an. Bislang, so Hermann, „blocke“ die Industrie beim Thema Transparenz. Dabei wisse sie am besten Bescheid, wo ihre Produkte seien – meist dort „wo man den größten Reibach“ machen kann.

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Richtig ist aus AOK-Sicht auch, dass die Bundesoberbehörden – PEI und BfArM – mehr Befugnisse erhalten und die Vorratshaltung regelmäßig prüfen können sollen. Auch der Verzicht auf eine deutsche Kennzeichnung im Fall der Fälle ist für Litsch in Ordnung – vorausgesetzt, es handelt sich um direkt vom Arzt am Patienten angewendete Arzneimittel. Für Arzneimittel, die Patienten aus der Apotheken beziehen, komme dieser Weg dagegen nicht in Frage. Was den geplanten neuen Beirat  beim BfArM betrifft, der den bisherigen Jour Fixe ablösen soll, so ist Hermann schon skeptischer: Ein unverbindlicher Beirat, in dem auch noch die Industrie das Sagen habe, werde nichts ändern. Zudem fehlen der AOK noch Sanktionen, die Hersteller treffen, wenn sie ihren Meldepflichten nicht nachkommen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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9 Kommentare

Kein Ersatz mehr lieferbar... Schwanger und dem System ausgesetzt!

von Caro am 21.01.2020 um 12:51 Uhr

Von wegen es gibt ausreichend Ersatz. Ich bin schwanger und auf Blutdrucktabletten angewiesen. In der Schwangerschaft kann ich nur methyldopa einnehmen, da das Produkt von Stada schon Monate nicht mehr lieferbar ist wurde mir Ersatz von anderen Firmen verschrieben. Doch Seit heute sind auch diese nicht mehr lieferbar. Was soll ich als Schwangere nun machen. Es ist eine bodenlose Frechheit so mit unserer Gesundheit zu spielen. Ich habe jetzt noch eine Schachtel für 14 Tage und danach ist Schluss. In welchem Zeitalter leben wir bitte, dass wir Krankheiten ausgesetzt werden und das Leben unserer ungeborenen Kinder aufs Spiel gesetzt wird.

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Ene mene Muh, und raus bist Du...

von Hummelmann am 09.12.2019 um 19:59 Uhr

Zitat von AOK-Chef Dr. Christopher Herrmann aus dem Artikel: "Die Industrie wisse sie am besten Bescheid, wo ihre Produkte seien – meist dort „wo man den größten Reibach“ machen kann."

Interessanter Umkehrschluss: Wenn die Artikel nicht in den Deutschen Apotheken landen, kann die Industrie hier bei uns mit dem Verkauf von Generika offensichtlich KEINEN Reibach mehr machen.

Das erklärt natürlich, warum die Originale (Blopress, Trevilor, Karvea etc.) lieferbar sind, die Generika dagegen nicht. Aber weshalb haben dann laut AOK-Chef Festbeträge und Rabattverträge keinen Einfluss auf die präkere Liefersituation? Das versteht er offensichtlich selber nicht.

Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten:
A) Die Krankenkassen-Chefs wissen es besser und sagen Ihren Kassen-Mitgliedern absichtlich nicht die Wahrheit.
B) Sie wissen es tatsächlich nicht besser. Was mich auch nicht überraschen würde. Denn wer zur Analyse eines aktuellen Geschehens die Statistik aus dem Vorjahr zu Rate zieht, hat das Problem ganz offensichtlich noch nicht begriffen.

Das kommt mir vor, als würden wir bei der Feuerwehr anrufen und bekommen am Telefon die Auskunft: "Kann gar nicht sein, dass es bei Ihnen brennt. Laut Versicherungsstatistik hat es bei Ihnen in den letzten 20 Jahren nicht mehr gebrannt."

So oder so disqualifizieren sich die Krankenkassen-Chefs selbst. Die Politik muss einsehen, dass man eine Problemlösung nicht im Gespräch mit Ignoranten finden kann.


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AW: Ene mene Muh, und raus bist Du

von Günter Felbermeier am 10.12.2019 um 22:15 Uhr

Welches Arzneimittel haben Sie vor/während der Konzipierung Ihres Artikel eingenommen? Ist es zur Zeit noch liefertbar?

Lieferengpässe

von M.Küppers am 06.12.2019 um 18:57 Uhr

Doch die Rabattverträge sind leider die Ursache, weil sie die Industrie zwingen im Ausland zu produzieren um die günstigsten Preise machen zu können. Und wenn dort dann Verunreinigungen auftauchen oder ein Produktionsausfall ist, dann führt das eben zu Lieferengpässen.

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Lieferengpass

von Sigle am 06.12.2019 um 17:52 Uhr

Bin selbst betroffen .
Mein Venlafaxin ist nicht mehr Lieferbar.
Warum wird so vieles ins Ausland verlagert?
Für jeden Kranken eine Zumutung was da ab geht.
Es dreht sich alles nur noch um den provit,der Mensch selbst spielt keine Rolle mehr.
Ich sage nur ARMES DEUTSCHLAND was ist aus dir geworden.

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AOK Fakten

von Heiko Zimny am 06.12.2019 um 7:38 Uhr

Wenn 60 bis 80% der Versicherten "ihr" Rabattarzneimittel bekommen ist das super?!?!
Schon mal etwas von Adherence gehört? Ich empfehle den Herren hier mal die einschlägige Literatur zu diesem Thema. Aber bitte in der Betrachtung die Folgekosten von Non-Adherence nicht vergessen, da es doch immer nur ums Geld zu gehen scheint.
Wie gut es mit den "Fakten" der Krankenkassen bestellt ist, macht eine jüngst getätigte Aussage klar:
"Die Lieferengpässe machen in den Apotheken keine Mehrarbeit. Die Apotheker müssen bei der Bestellung nur auf das Knöpfen drücken und dann kommt das gewünschte (Alternativ-)Arzneimittel. "
Erinnern sie sich Herr Herrmann? Eines kann ich Ihnen verraten: Realitätsverlust ist nicht gleich zu setzen mit allwissender FAKTEN-Kompetenz, die sie so gerne für sich beanspruchen.

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AW: AOK Fakten

von Anita Peter am 06.12.2019 um 8:52 Uhr

Mich würde mal eine Umfrage bei Ü80 Patienten inetressieren, die aufgrund einer Umstellung ihres Rabatt RX ihre Medis doppelt oder gar nicht mehr genommen haben.

Europaweite Krankenversicherungen statt AOK-Gesundheitspolitik ...

von Christian Timme am 06.12.2019 um 4:35 Uhr

AllesOK oder schon ver(un)sichert? ... Disruption erreicht AOK ...

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Mimimimimi

von Reinhard Rokitta am 05.12.2019 um 18:22 Uhr

Wenn man als Krankenkasse nicht zu den Fachkreisen gehört, kann das einen schon ärgern...
https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/jourfixe/_node.html

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