Sinnvoller Einsatz der CGRP-Antikörper (Teil 2 von 2)

Ist ein Wechsel zwischen Migräne-Antikörpern sinnvoll?

Stuttgart - 16.12.2019, 17:54 Uhr

Kann man sagen, welcher der zugelassenen Migräne-Antikörper im CGRP-System am besten wirkt? Das neue Addendum zur Migräne-Leitlinie hilft. (m / Foto: vectorfusionart / stock.adobe.com)

Kann man sagen, welcher der zugelassenen Migräne-Antikörper im CGRP-System am besten wirkt? Das neue Addendum zur Migräne-Leitlinie hilft. (m / Foto: vectorfusionart / stock.adobe.com)


Seit einem Jahr bereichern Migräne-Antikörper die Prophylaxe der Migräne. Ein neues Migräne-Leitlinien-Addendum soll nun helfen, Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab sinnvoll einzusetzen. Ergibt ein Wechsel zwischen Antikörpern bei Nichtansprechen Sinn? Welcher der Migräne-Antikörper ist der „beste“? Und wer sollte vorerst nicht mit CGRP-(Rezeptor-)Antikörpern behandelt werden?

Ab Juli 2018 ging es mit den innovativen Antikörpern zur Migräne-Prophylaxe bei den FDA- und EMA-Zulassungen Schlag auf Schlag. Mittlerweile bereichern bereits drei Antikörper – Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgalitiy®) und Fremanezumab (Ajovy®) – im CGRP-System (Calcitonin Gene-Related Peptide) die Vorbeugung von Migräne-Anfällen, sowohl für episodische als auch chronische Migräne. Ein vierter CGRP-Antikörper hängt derzeit in der Pipeline, für Eptinezumab hat Alder Biopharmaceuticals die Zulassung bei der FDA im April dieses Jahres eingereicht und erwartet eine Entscheidung bis zum Februar 2020.

Zeit, sich um eine Empfehlung zum Umgang mit den Migräne-Antikörpern Gedanken zu machen. Dieser Ansicht war die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) – sie hat die S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ um Empfehlungen zum rationalen Umgang in der Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor ergänzt.

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Migräne-Leitlinie um Antikörper ergänzt

Was allen Antikörpern gemein ist: Sie greifen im CGRP-System an. Jedoch ist das Target von Erenumab der CGRP-Rezeptor, während Eptinezumab, Fremanezumab und auch Galcanezumab direkt Calcitonin Gene-Related Peptide neutralisieren. Ergibt es Sinn, wenn Migränepatienten auf eine Substanz nicht ansprechen, sodann einen anderen Antikörper „auszuprobieren“? In den Augen der Leitlinienexperten ist diese Vorgehensweise durchaus eine Überlegung wert. Da Antikörper gegen Liganden oder Rezeptoren unterschiedliche Kaskaden beeinflussen können, könne „es vielleicht aus biologischen Gründen im Einzelfall sinnvoll sein, bei Versagen eines CGRP-Rezeptorantagonisten es mit einem CGRP-Antagonisten und vice versa zu versuchen.“

Erenumab, Fremanezumab oder Galcanezumab – welchen Antikörper bevorzugen?

Ein spanndender Punkt: Welcher Antikörper ist denn nun der beste? Allerdings lassen sich darüber zum jetzigen Zeitpunkt wohl keine Aussagen treffen. „Ein direkter Vergleich der monoklonalen Antikörper untereinander ist ebenso wenig möglich wie ein Vergleich mit den bisher zur Verfügung stehenden Migräneprophylaktika“, erklären die Autoren des Leitlinien-Addendums. Auch ein Punkt, der dem G-BA und dem IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) sauer aufstieß und der in der Nutzenbewertung moniert wurde. Novartis ist nun allerdings dabei, genau dies zu tun: Der Hersteller untersucht in HER-MES seinen Antikörper Erenumab gegen Topiramat.

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Gut verträglich

„Grundsätzlich sind wenige behandlungsabhängige Nebenwirkungen bei der Einnahme von monoklonalen CGRP-Antikörpern über einen Anwendungszeitraum von einem Jahr zu beobachten. Die Nebenwirkungen der CGRP-Antikörper sind zum allergrößten Teil milder Intensität und können ebenso nicht dem ZNS zugeordnet werden“, erklären die Leitlinien-Autoren. Auch bei der diesjährigen Interpharm in Stuttgart sah Professor Gerd Bendas (Pharmazeutische Chemie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) den Wert der CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper vor allem in der guten Verträglichkeit und der Adhärenz der Patienten. „Sie haben wenige Nebenwirkungen oder Kontraindikationen. Die monatliche Selbstapplikation verspricht eine hohe Akzeptanz“, das sei das große Manko in der bisherigen Prophylaxe, so Bendas.

Nicht für Schwangere und kardiovaskulär Vorerkrankte

Als einziger Antikörper wurde Erenumab den Leitlinien-Autoren zufolge bei Patienten mit stabiler Angina pectoris untersucht. Zwar zeigte sich kein Unterschied zu Placebo, dennoch schränken die Experten den Einsatz von CGRP-Antikörpern und CGRP-Rezeptor-Antikörpern vorsichtshalber ein. Patienten mit symptomatischer koronarer Herzerkrankung, ischämischem Insult, Subarachnoidalblutung, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, COPD, pulmonaler Hypertension oder Morbus Raynaud und Transplantationsempfänger sollten keine Migräne-Antikörper erhalten.

Auch in Schwangerschaft und Stillzeit dürfen Erenumab und Co. nicht angewendet werden. Die Leitlinie begründet diesen Rat damit, dass Antikörper ab Tag 90 der Schwangerschaft die Plazenta über ein aktiven Transportmechanismus überqueren, weswegen sie mit Eintritt der Schwangerschaft abgesetzt werden sollen. Vor diesem Hintergrund rät die Leitlinie auch von der Option der nur vierteljährlichen Gabe bei Fremanezumab für Frauen im gebärfähigen Alter ab. Unter Antikörpertherapie sollten Frauen auf eine sichere Kontrazeption achten.

Migräne-Antikörper bei Kindern?

Für Kinder und Jugendliche gibt es bisher keine Informationen zur Verträglichkeit und Sicherheit. Auch umfasste das Studienkollektiv vorwiegend ansonsten gesunde Migräniker, Patienten mit Autoimmunerkrankungen waren ausgeschlossen. Bis auf weiteres sollten Migräne-Antikörper folglich auch nicht bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen oder Wundheilungsstörungen eingesetzt werden.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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