Warten auf ein nächstes Urteil aus Karlsruhe?

Spahn will BfArM weiterhin nicht über Sterbehilfe entscheiden lassen

Berlin - 12.03.2020, 17:30 Uhr

Jens Spahn stellte sich am gestrigen Mittwoch im Bundestag den Fragen der Parlamentarier. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr hakte zum Thema Sterbehilfe nach. (t  / Foto: imago images / Christian Spicker)

Jens Spahn stellte sich am gestrigen Mittwoch im Bundestag den Fragen der Parlamentarier. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr hakte zum Thema Sterbehilfe nach. (t  / Foto: imago images / Christian Spicker)


Rund zwei Wochen ist es jetzt her, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig befunden hat. Das ändert aber nichts an der Auffassung des Bundesgesundheitsministers, dass das BfArM keine Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb tödlicher Betäubungsmittel bewilligen sollte. Die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr wirft Jens Spahn (CDU) vor, seine Hinhaltetaktik weiterzuführen, statt sich klar zur Selbstbestimmung am Lebensende zu bekennen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) steht wegen seiner Haltung in Sachen Sterbehilfe schon länger in der Kritik. Vor nunmehr drei Jahren entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass schwer und unheilbar kranken Menschen im extremen Einzelfall der Zugang zu einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung nicht verwehrt werden darf. Wie sein Amtsvorgänger und Parteikollege Hermann Gröhe wollte Spahn dieses höchstrichterliche Urteil allerdings nicht akzeptieren. Sein Ministerium wies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an, Patienten, die eine Erlaubnis zum Erwerb eines Suizid-BtM beantragten, nicht positiv zu bescheiden. Und tatsächlich hatte bis heute kein einziger der mehr als 100 Anträge Erfolg.

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BMG bleibt bei Sterbehilfe stur

Manch einer dachte, das am 26. Februar dieses Jahres ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe könnte Spahn zu einem Umdenken veranlassen. Die Karlsruher Richter befanden den 2015 eingeführten Straftatbestand (§ 217 Strafgesetzbuch) für verfassungswidrig. Sie erkannten an, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und dafür auch die Hilfe Dritter in Anspruch genommen werden darf. Das bestehende Verbot mache es Suizidwilligen jedoch faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr nahm dieses aktuelle Urteil zum Anlass, erneut im Bundesgesundheitsministerium (BMG) nachzufragen, ob es seine Anweisung gegenüber dem BfArM weiterhin aufrechterhalten wolle. Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Weiss (CDU) antwortete der Liberalen am 5. März mit einem Hinweis darauf, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lediglich über § 217 Strafgesetzbuch entschieden und diesen für nichtig befunden habe. „Die Auslegung des Betäubungsmittelrechts und insbesondere die Frage, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung erlauben muss, war nicht Gegenstand des Verfahrens“. Das BMG setzt nun offenbar auf Zeit und wartet auf ein weiteres Urteil aus Karlsruhe. Denn das Bundesverfassungsgericht soll demnächst auch die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes prüfen – das Verwaltungsgericht Köln hat nämlich Zweifel, ob das generelle Verbot, Betäubungsmittel zur Selbsttötung zu erwerben, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es hat daher sechs Klageverfahren ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht angerufen, schreibt Weiss in ihrer Antwort.

Spahn: Neue Lage nach Bundesverfassungsgerichtsurteil

Helling-Plahr stellen diese Aussagen gar nicht zufrieden: „Die Antwort der Bundesregierung war erwartbar, ist ignorant und enttäuschend.“ Die Bundesregierung lasse die betroffenen Antragsteller trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung im Stich und verstecke sich hinter einer noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Vorlage des Verwaltungsgerichts Köln. „Statt sich klar zur Selbstbestimmung am Lebensende, ein Recht auf Suizid und der Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe zu bekennen, führt Jens Spahn seine Hinhaltetaktik weiter und klammert sich an diesen letzten Strohhalm“,  so die Abgeordnete.

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Am gestrigen Mittwoch nutzte die FDP-Abgeordnete eine aktuelle Fragestunde im Bundestag, um bei Spahn nochmals persönlich nachzuhaken, ob er die Anweisung seines Hauses an das BfArM noch immer für haltbar hält. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben „noch deutlicher betont“ als das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2017, so Helling-Plahr.

Hätte das Bundesverwaltungsgericht heute nochmals so entschieden?

Doch Spahn verwies lediglich darauf, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „im Lichte“ des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ergangen sei – und überdies nur einen Einzelfall betreffe. Die Logik der Verwaltungsrichter sei gewesen: Wenn die Sterbehilfe geschäftsmäßig und organisiert verboten ist, müsse mindestens der Staat Abhilfe schaffen. Doch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende Februar gelte eben dieses Verbot nicht mehr. Damit habe sich die Ausgangslage geändert. Es gehe jetzt nicht mehr um die Notwendigkeit Abhilfe zu schaffen, weil es nun Zugang jenseits des staatlichen Angebots gebe. Spahn hält es für fraglich, ob das Bundesverwaltungsgericht unter diesen Umständen nochmals zu dem gleichen Urteil käme. Und das ist für ihn offenbar Grund genug, bei seiner Haltung zu bleiben. „Ich tue mich weiterhin schwer, dass Staat, Minister und Beamte nach politischer Anweisung des Ministers darüber entscheiden, nach welchen Kriterien der Staat Medikamente zur Selbsttötung ausgeben darf oder nicht“.

Neuregelung der Sterbehilfe noch in dieser Legislaturperiode?

Wann das von Spahn nun erwartete nächste Urteil aus Karlsruhe kommt, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre sicherlich, wenn zuvor der Gesetzgeber aktiv wird und eine neue Regelung der Sterbehilfe findet – denn die Verfassungsrichter sehen hierfür durchaus Spielräume. Spahn hatte schon unmittelbar nach dem Sterbehilfe-Urteil angekündigt, fraktionsübergreifend eine „verfassungskonforme Lösung“ finden zu wollen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) stellte mittlerweile eine Neuregelung noch vor der nächsten Bundestagswahl in Aussicht. Klar ist: Ein nicht regulierter Markt der Sterbehilfevereine kann nicht gewollt sein.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Verzögerung, Verschiebung, Ignoranz ... Politik als Sackgasse ... stirb langsamer ... frag Spahn wie ...

von Christian Timme am 13.03.2020 um 4:43 Uhr

Letzter Wirtschaftszweig dieser Demokratie ... zu Tode pflegen?

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