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Die gute Nachricht des Tages
Rückholung der Wirkstoffproduktion nach Europa ist möglich
Sitzt die europäische Wirkstoffproduktion schon in den Startlöchern und die Problematik rund um Arzneimittelengpässe könnte sich bald ändern? Zumindest zwei große Unternehmen schüren derzeit diese Hoffnung. Auch Experten halten die „Rückholung“ für finanzierbar – geben aber zu bedenken, dass die Abhängigkeiten nicht nur verlagert werden sollten und die Industrie es wahrscheinlich nicht alleine schafft.
Ende Februar verkündete Sanofi, der Konzern plane die Gründung eines führenden europäischen Unternehmens, das sich der Auftragsherstellung und Vermarktung von Wirkstoffen widmen soll. DAZ.online berichtete darüber.
Am vergangenen Dienstag hat Evonik nun eine ähnliche Nachricht veröffentlich: Das Unternehmen investiere 25 Millionen Euro in eine erste Projektphase, um die Produktionskapazität der beiden deutschen Standorte Dossenheim (Baden-Württemberg) und Hanau (Hessen) zu erweitern. Damit reagiere Evonik auf die steigende Nachfrage der Pharmaindustrie nach in Europa hergestellten pharmazeutischen Wirkstoffen (Active Pharmaceutical Ingredients, APIs) und Zwischenprodukten. Man wolle so die Liefersicherheit für Arzneimittel innerhalb Europas verbessern und Evoniks Position als weltweit führender Auftragshersteller von Pharmawirkstoffen stärken.
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Lehren aus der Leere
Nach eigenen Angaben ist Evonik ein „weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie“. Der Konzern sei in über 100 Ländern aktiv. Das Geschäftsgebiet Health Care zähle weltweit zu den führenden Auftragsherstellern (Contract Manufacturing Organization, CMO) von pharmazeutischen Wirkstoffen und Zwischenprodukten. Gleichzeitig sei Health Care weltweit der größte Produzent hochpotenter Wirkstoffe. Evonik betreibt nach eigenen Angaben ein weltweites Fertigungsnetzwerk in den USA, Deutschland, Frankreich, der Slowakei und China.
Das Erweiterungsprojekt für die Standorte in Dossenheim und Hanau ist laut Pressemitteilung von Evonik langfristig angelegt und soll vor 2024 abgeschlossen werden. Die erste Phase mit einer Investitionshöhe von 25 Millionen Euro laufe bis Mitte des Jahres 2021.
Um welche Wirkstoffe soll es gehen?
„Bei der Entwicklung von Krebsmedikamenten oder antiviralen Medikamenten handelt es sich meist um sehr komplexe Projekte, in denen Evonik Kunden mit einer Vielzahl an Spitzentechnologien unterstützt. Darunter zum Beispiel kontinuierliche Herstellprozesse, hochreine PEGs und mPEGs, Katalyse und Tieftemperaturchemie“, erklärt Evonik seine Tätigkeitsbereiche in der Pressemitteilung. DAZ.online hat Evonik gefragt, was sich durch die Investition des Unternehmens konkret ab 2024 für Deutschland verbessern könnte? Welche Lieferengpässe, die es aktuell immer wieder gibt, könnten dann vielleicht nicht mehr auftreten?
Evonik antwortete darauf schriftlich:
Die erweiterte Kapazität steht nicht erst ab 2024 zur Verfügung. Schon innerhalb der nächsten 1-2 Jahre ist Evonik auch kurzfristig in der Lage, die Produktionskapazität signifikant zu erhöhen. Bereits heute zählen wir zu den Top 3 Auftragsherstellern von Wirkstoffen weltweit mit einem globalen Fertigungsnetzwerk. Leider können wir aufgrund der in dieser Industrie üblichen Geheimhaltungsvereinbarungen mit unseren Kunden keine Aussage darüber machen, um welche Wirkstoffe und Kunden es sich dabei handelt. Wir bitten um Ihr Verständnis.“
Man verspricht also Besserung, wie diese konkret aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Erweiterung der Standorte war schon länger geplant
In den Medien kann aktuell der Eindruck entstehen, dass solche Entwicklungen nun durch die COVID-19-Pandemie besonders vorangetrieben werden. Doch Apotheker wissen, dass das Engpassproblem und die entsprechenden Forderungen dazu schon eine viel längere Geschichte haben. DAZ.online hat Evonik deshalb auch gefragt, ob sich die Situation durch COVID-19 nun für die Hersteller so konkret verändert hat, dass sie jetzt „wirklich“ aktiv werden?
Evonik antwortete darauf schriftlich:
Die Erweiterung der Standorte in Dossenheim und Hanau war bereits länger geplant. Die derzeitige Entwicklung der Covid-19-Pandemie führt uns aber die Dringlichkeit dieses Schrittes vor Augen. Wir sind der Meinung, dass großen und global agierenden Unternehmen wie Evonik in einer solchen Pandemie-Situation eine Schlüsselrolle zukommt. Mit der Entscheidung, die Standorte in Deutschland zu erweitern, um Liefersicherheit von Arzneimitteln zu erhöhen, bekennen wir uns zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung in und für Europa.“
Wie vorbildlich nun das Vorgehen der beiden Unternehmen ist, wird die Zukunft zeigen. Es macht jedenfalls Hoffnung, dass „Lehren aus der Leere“ gezogen wurden – wie kürzlich ein Artikel von Ulrike Holzgrabe, Edith Bennack, Fritz Sörgel, Dirk Jung und Helmut Buschmannin in der DAZ 18/2020 titelte.
Dort wird anhand konkreter Beispiele deutlich, dass nach Meinung der Experten die Rückholung der Wirkstoffproduktion nach Europa durchaus möglich ist. Allerdings äußern sie auch Bedenken.
Wirkstoffherstellung sicherstellen, nicht die Abhängigkeiten verlagern!
So stellen die Experten klar, dass es in Krisenzeiten oft nicht um die Produktion hochkomplexer und damit teurer Arzneimittel wie Antikörper geht, sondern auch – und vor allem – um kleine und damit billige Moleküle wie beispielsweise Metoprolol. Sie rechnen in dem DAZ-Beitrag an Metoprolol vor, dass es im Bereich der Arzneimittelkosten für die Produktion von versorgungsrelevanten Arzneimitteln in Europa sicher nicht zu einer Kostenexplosion kommen würde, selbst wenn die Produktion der Wirkstoffe in Europa teurer sein wird.
Die richtigen Wirkstoffe fördern
Zu bedenken ist aber, dass die Hersteller vorrangig die Produktion von hochpreisigen Wirkstoffen etablieren könnten. Sodass nicht alle versorgungsrelevanten Wirkstoffe in Deutschland bzw. Europa produziert werden. Um dies zu gewährleisten, bedürfe es also einer Koordination, die die Industrie nach Meinung der Experten alleine wohl nicht leisten kann.
Für alle Fälle gelte, „dass die Abnahme garantiert sein muss und somit die Geschäftsgrundlage eines europäischen oder deutschen Wirkstoffherstellers langfristig gesichert werden kann“. Insbesondere Investitionskosten durch Entwicklungsleistungen oder sogar bis hin zum Anlagenbau müssten kompensiert werden können. Staatliche Unterstützung sei also gefragt.
So viel zum Beispiel Metoprolol. Am Beispiel der Synthese von Hydroxychloroquinsulfat zeigen die Autoren eine weitere Problematik auf.
Auch an die Startmaterialien denken!
Wichtig sei, dass man nicht nur auf den Teil der Wirkstoffsynthese fokussiert, sondern auch die Herstellung der Startmaterialien selbst sowie weitere notwendige Genehmigungen berücksichtigt. Denn es werden nicht nur wenige Wirkstoffe in Europa gefertigt, noch viel seltener in Europa sei die Produktion von Startmaterialien für die Wirkstoffsynthese. Eine umfangreiche Recherche habe zum Beispiel ergeben, dass beide Startmaterialien zur Synthese von Hydroxychloroquinsulfat in Europa nicht zu beschaffen sind. Die Konsequenz:
Die ,einfach' anmutende Herstellung von Hydroxychloroquinsulfat bestehend aus einem Syntheseschritt, in welchem die beiden Startmaterialien 3 und 15 umgesetzt werden, und einer Salzfällung mit Schwefelsäure, „mutiert“ unter Berücksichtigung der leichten Zugänglichkeit von Ausgangsstoffen aus Europa zu einer Sequenz bestehend aus 15 Syntheseschritten ausgehend von sieben relevanten Ausgangsstoffen mit der anschließenden Salzfällung.“
Es reicht also nicht, nur den Teil der zulassungsrelevanten Wirkstoffsynthese nach Europa zurückzuverlegen – es muss an weitere Teile der Wertschöpfungskette gedacht werden. Sonst mache man sich weiterhin abhängig von anderen Ländern.
Pharmariesen kritisch beobachten
Abschließend sind auch die Initiativen der großen Pharmariesen, die europäische Kapazität wiederherzustellen, kritisch zu beobachten: Durch eine starke Konzentration der Kapazitäten in einer Hand könnten sehr leicht neue Abhängigkeiten entstehen. „Hier muss Europa weiterhin auf die europäische Vielfalt setzen und auch europaweit solche Produktionskapazitäten fördern“, schreiben Ulrike Holzgrabe, Edith Bennack, Fritz Sörgel, Dirk Jung und Helmut Buschmann in der DAZ 18/2020.
1 Kommentar
Ist doch nicht wirklich ein Problem
von ratatosk am 07.05.2020 um 9:40 Uhr
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