Analyse zur Ausbreitung

Österreichs erste Corona-Welle unter der epidemiologischen Lupe

Düsseldorf - 15.05.2020, 10:15 Uhr

Wegen des Coronavirus gab es in Österreich eine strikte Ausgangssperre. Nun liegt eine erste Analyse über die Ausbreitung des Virus im Land vor. (x/Foto: imago images / viennaslide)

Wegen des Coronavirus gab es in Österreich eine strikte Ausgangssperre. Nun liegt eine erste Analyse über die Ausbreitung des Virus im Land vor. (x/Foto: imago images / viennaslide)


Die AGES, die staatliche österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, hat den Verlauf der nun abklingenden ersten Infektionswelle mit dem SARS-CoV-2 im Land genau analysiert und bis zum wahrscheinlichen Patienten Null zurückverfolgt. Aus den Erkenntnissen zur Ausbreitung lassen sich Schlüsse für die nächsten Wellen ziehen.

Am 26. März 2020 hatte die erste Infektionswelle mit dem SARS-CoVirus-2 im Nachbarland Österreich ihren Höhepunkt erreicht. 1.060 verzeichnete Neuinfektionen an einem Tag markieren den Peak der Welle, die zum Stand 12. Mai auf nur noch 25 Neuinfektionen abgeflaut ist – die Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Eindämmung haben ganz offensichtlich Wirkung gezeigt. 15.910 Fälle insgesamt, mittlerweile 14.148 Genesene und 623 infolge von Covid-19 Verstorbene sind bis Mitte Mai die Bilanz der Alpenrepublik mit ihren 8,859 Millionen Einwohnern.

Noch ist das Virus auch in Österreich nicht verschwunden und wie in Deutschland und dem Rest der Welt muss man wohl fürchten, dass es weitere Wellen geben wird. Die staatlichen Epidemiologen der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, kurz AGES, haben nun die erste Welle im Land bis zu ihrem wahrscheinlichen Ursprung zurückverfolgt und Schlüsse daraus über die Verbreitung des Virus gezogen, die bei den kommenden Wellen helfen können.

Befragungen von Erkrankten und positiv Getesteten

Eine epidemiologische Abklärung haben die Wissenschaftler dazu vorgenommen und 4.041 aller österreichischen Fälle zu verschiedenen einzelnen Ausbreitungsclustern zurückverfolgen können. Die persönliche Befragung der erkrankten beziehungsweise der positiv getesteten Personen war dabei das Mittel der Wahl – und wird fortlaufend fortgesetzt.

194 Cluster konnten die Forscher so ausmachen – Häufungen von Fällen in einem konkreten Zeitraum in einer bestimmten Region. Für das Verständnis des Infektionsgeschehens spannend ist dabei zum einen, dass sie die Cluster in fünf Typen einteilen konnten – und zum anderen, dass die Abteilung Infektionsepidemiologie & Surveillance der AGES die erhobenen Transmissionsketten der Übertragung von Mensch zu Mensch bis zu einem Primärfall zurückverfolgen konnten.

Demnach ist der sogenannte Cluster A der erste, der in Österreich aufgetaucht ist. Der erste Fall in diesem Cluster stehe „eindeutig mit einer Reisetätigkeit nach Italien in Verbindung“, so die Forscher. Die Epidemiologen erhoben für ihre Auswertung den Symptombeginn und setzen dieses Datum an, nicht das Datum des positiven Tests. Demnach handelte es sich beim Primärfall um einen Patienten mit Wohnort Wien, der am 23. Februar 2020 erste Symptome gezeigt hatte.

Erster Fall kam laut der Forscher aus Italien zurück

Innerhalb der 14 Tage vor der Erkrankung war derjenige in Mailand in der Region Lombardei in Italien gewesen. „Fall Eins ist per definitionem ein importierter Fall, von dem eine lokale Transmissionskette ausgeht“, schreiben die Wissenschaftler. „Der Primärfall im Cluster A kam mit Symptomen einer Verkühlung aus Italien zurück. Vier Tage nach der Rückkehr wurde er getestet, das Ergebnis lag binnen 24 Stunden vor: SARS-CoV-2-positiv. Der Betroffene kam in Quarantäne. In diesen vier Tagen hatte dieser Primärfall allerdings soziale Kontakte gehabt. Die Kontaktpersonen wurden ebenfalls getestet. Es zeigte sich, dass einige von ihnen ebenfalls positiv waren (Folgegeneration) und wiederum andere Personen infiziert hatten (Folgegeneration) usw. bis hin zur 6. Folgegeneration“, heißt es im Bericht der Forscher. Insgesamt ermittelten sie in diesem Cluster A 61 Fälle in sechs aufeinander folgenden Ansteckungs-Generationen. Der letzte Fall des Clusters entwickelte Symptome am 14. März.

Dieser nach Aussage der AGES erste Fall in Österreich gehört damit in den Typ „Reise-assoziierter, lokaler Cluster“. Die weiteren vier Cluster Typen sind: „Reisegruppen-Häufung und lokale Verbreitung“, „Reisegruppen-Häufung“, „Kontakt zu einem ausländischen Touristen und lokale Verbreitung“ und „Lokale Häufung“.

„Freizeit und Haushalt“ als Hauptverbreitungsorte

In der Kalenderwoche acht der Jahres 2020, also um den 23. Februar herum, waren die ersten Fälle damit mit Reisegeschehen verbunden. Bis zur Kalenderwoche zwölf, in der Österreich die Grenzen abriegelte, gab es 42 der 194 ermittelten Cluster, die in die Bereiche Reise-assoziierte, Reisegruppe-gehäufte oder Kontakt mit einem Touristen fallen. 152 Cluster sind jedoch reine lokale Häufungen – das heißt, das Virus kam aus dem Ausland und verbreitete sich dann im Land.

Die Forscher untersuchten daraufhin noch einmal genauer sogenannte Cluster-Settings, brachen die „Lokale Häufung“ somit herab auf elf Settings wie „Freizeitaktivitäten“, „Arbeitsplatz“, „Haushalt“, „Krankenhaus“, „Alten- und Pflegeheime“ sowie die Mischungen dieser Settings. Dabei fanden die AGES-Forscher 26,9 Prozent aller Cluster-Fälle im Mix-Bereich „Freizeit und Haushalt“ und 26,7 Prozent in „Alten- und Pflegeheimen“. Die Forscher erhoben bei ihren Befragungen auch, welche Freizeitaktivitäten der „Auslöser“ der Ansteckungen waren.

Auf Grundlage ihrer Daten stellten die Forscher dann folgende konkrete Schlussfolgerungen auf:

  • Infizierte sind oft bereits kontagiös. Das heißt, sie können das Virus übertragen, bevor sie Symptome entwickeln.
  • Die Übertragung von einem Infizierten auf einen empfänglichen Menschen erfolgt meist binnen weniger Tage (drei bis fünf Tage, serielles Intervall). Dieses kurze Zeitintervall macht die Kontaktpersonen-Erhebung zu einem Wettlauf mit der Zeit.
  • Eine Übertragung erfolgt, wenn mehrere Menschen für längere Zeit (kumulativ 15 Minuten, zum Beispiel 1 x 15 Minuten oder 3 x 5 Minuten) in einem engen Kontakt am selben Ort sind.
  • Bisher abgeklärte Fallhäufungen konnten auf Verbreitungen in Settings wie Gruppensport, gemeinsames Singen, Seminare, Tanzkurse, Begräbnisse und Après-Ski zurückgeführt werden.
  • Quarantänemaßnahmen und Barrieren zeigen Wirkung: Rechtzeitig erkannt, endet die Übertragung.
  • Unter den abgeklärten Clustern lassen sich keine Fallhäufungen zurückführen auf den Besuch von Geschäftslokalen oder die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln.

Übertragungsketten wurden mit Fortschreiten der Epidemie kürzer

Ferner seien mit fortschreitender Epidemie die Transmissionsketten kürzer geworden. „Das Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung über Symptome und Risikogebiete wächst, dadurch nehmen die Menschen bei Verdacht schneller Kontakt mit Ärzten und Gesundheitsbehörden auf. In der Folge können Containment-Maßnahmen wie zum Beispiel Quarantäne, Abstandsregeln, mechanische Barrieren schneller umgesetzt werden - die Transmissionskette wird unterbrochen“, schreiben die Forscher.

Auch wenn das Gesamtgeschehen in Deutschland sich insgesamt in einem etwa zehnfach so großen Maßstab bewegt mit 83,02 Millionen Einwohnern, aktuell Stand 13. Mai 2020 laut Robert-Koch-Institut 171.306 Fällen, 7.634 Verstorbenen und 144.000 Genesenen, lassen sich die grundlegenden Schlussfolgerungen möglicherweise auch hier für das weitere Infektionsgeschehen anwenden. Das dürfte insbesondere für die jetzt angekündigte Wiederöffnung der Grenzen und die Lockerungen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens gelten.

Schließlich konnten die österreichischen Epidemiologen zeigen, dass mit Schließen der Grenzen und dem Einstellen touristischer und anderer Reiseaktivitäten keine „importierten Fälle“ mehr auftraten und dass durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens seit 10. März die Zahl der Neuansteckungen zurückging.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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