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Studie zu Transmissionsketten
Wie verlief der erste Corona-Ausbruch in Bayern?
Im Januar 2020 gab es den ersten, noch begrenzten Ausbruch des SARS-CoV-2 außerhalb Asiens in Bayern. Forscher um Merle Böhmer vom Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit haben die insgesamt 17 Fälle, deren Transmissionsketten und Verläufe genau analysiert und Schlussfolgerungen für die gesamte Pandemie daraus gezogen.
Anfang des Jahres 2020 schien der neue Erreger SARS-CoV-2 zwar besorgniserregend – aber in China weit entfernt. Die Nachrichtenlage dazu war zum Teil noch dünn, wie gefährlich das Virus sich noch erweisen sollte, war noch nicht abzusehen – manche sprachen von einer lediglich „kleinen Grippe“.
Im Januar 2020 schließlich brach das Virus aus Asien aus und kam in Europa an. Am 27. Januar kam die Information über den ersten Fall von COVID-19 in Deutschland an, beim Bayrischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Mit strikten Quarantäne-Maßnahmen für die Betroffenen, der konsequenten Rückverfolgung der Ansteckungskette und dementsprechender Quarantäne für alle Kontaktpersonen gelang es zu dem Zeitpunkt, den Ausbruch auf insgesamt, inklusive dem Initialfall, auf 17 zu begrenzen.
Die Forscher des Landesamtes starteten zeitgleich in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut (RKI) und der Charité in Berlin die genaue Untersuchung und Dokumentation dieses Ausbruchs. Dessen Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler um Merle Böhmer und Durdica Marosevic vom Bayrischen Landesamt, Udo Buchholz vom RKI und Victor Corman von der Charité jetzt im renommierten Fachmagazin The Lancet.
COVID-19-Epidemie
Coronavirus SARS-CoV-2
Transmissionskette vollständig nachvollziehbar
Das Bayrische Cluster sei durch sein Auftreten im Umfeld einer Firma in der Nähe von München sehr gut analysierbar gewesen, schreiben die Forscher. Patientin Null war eine chinesische Mitarbeiterin eines Automobilzulieferers, die am 19. Januar per Flugzeug aus Shanghai nach München kam, um in dem Unternehmen Workshops anzuleiten und an Meetings teilzunehmen. Wie sich aus den Untersuchungen zeigte, hatte sie einige Tage zuvor, am 16. Januar, Besuch von ihren Eltern bekommen, die in Wuhan leben. Beide zeigten da Erkältungssymptome. Die Chinesin habe, so schreiben die Forscher in ihrer Untersuchung, am Anreisetag Rücken- und Brustschmerzen gehabt und ein Mittel mit Paracetamol dagegen genommen. Ihre Müdigkeit während des gesamten Aufenthalts in Deutschland schreib sie dem Jetlag zu. Damit startete die Infektionskette des bayrischen Clusters.
Die Forscher hätten anhand von elektronischen Terminkalendern und auf Basis von Interviews mit den nachgewiesenen COVID-19-Patienten dieses Clusters genau nachhalten können, wer sich wann, wo und bei wem mit dem Coronavirus ansteckte.
Dazu untersuchten die Wissenschaftler die Rachen- und Nasenabstriche und konnten auf molekularbiologischer Ebene anhand von Mutationen im Virusgenom die Transmissionskette auch auf dieser Ebene nachvollziehen.
Insgesamt hatten alle 16 Folgepatienten eher milde Symptome. Betroffen waren vier Frauen und zwölf Männer, das Durchschnittsalter betrug 35 Jahre. Zehn der Folgepatienten waren Angestellte der Firma und steckten sich dort an, sechs weitere waren Haushaltsmitglieder der Infizierten.
Weitergabe bereits ohne oder mit leichten Symptomen möglich
Aus den Ergebnissen konnten die Forscher Schlussfolgerungen ziehen, die Bedeutung für die weitere Entwicklung der Pandemie haben. So zeigten sie mit dieser Studie erstmals, dass das Virus bereits weitergegeben werden kann, wenn die Infizierten noch keine oder nur leichte Symptome haben. Das war bereits vermutet worden, die Arbeit der Forscher um Merle Böhmer liefert dafür aber nun den Beweis.
Ferner zeigten die Wissenschaftler, dass SARS-CoV-2 eine sehr kurze Inkubationszeit hat. So steckte sich etwa Patient eins bei der Patientin 0, die erst nach ihrer Rückkehr in China deutliche Symptome mit Fieber entwickelte, in einem rund einstündigen Meeting in einem kleinen Raum an, bei dem er neben ihr saß. Zwei Kollegen auf der anderen Tischseite steckten sich dagegen nicht an – was die angeordnete Abstandsregel als Schutzmaßnahme etwa untermauert.
Patient zwei dagegen kann sich an keinen direkten Kontakt mit der Chinesin erinnern – ist aber dem molekulargenetischen Nachweis zufolge von ihr angesteckt worden. Patient drei hatte tatsächlich keinen Kontakt mit Patient Null – arbeitete aber mit Patient eins für eine kurze Zeit an demselben Computer.
Die Studie ist damit ein Lehrstück dafür, wie schnell sich das Virus unbemerkt verbreiten kann. Menschen ohne Symptome oder mit nur leichten ersten Symptomen können innerhalb von Minuten SARS-CoV-2 auf andere Menschen übertragen – das, so schreiben die Forscher, mache es schwer, die COVID-19-Pandemie dauerhaft effizient zu kontrollieren.
Falsch negative RT-PCR-Ergebnisse
Aus der Studie lassen sich noch einige weitere Schlüsse ziehen. So zeigt die Geschichte von Patient zwölf etwa, wie schnell sich das Virus aus einem einzelnen begrenzten Cluster hinausbewegen kann. Patient zwölf hatte nämlich am 25. Januar ein privates Treffen mit Patient drei, der an dem Tag erste leichte Symptome entwickelte. Das Treffen dauerte 90 Minuten. Am 28. Januar, drei Tage später, flog Patient zwölf in den Urlaub nach Spanien – dort konnte er am 30. Januar von den spanischen Behörden in ein Krankenhaus in Isolation gebracht werden – positiv getestet auf COVID-19. Nur durch schnelle Reaktion und Kommunikation der Behörden entwickelte sich daraus wohl kein erstes spanisches Cluster.
Ein weiteres Ergebnis betrifft den Nachweis des Virus aus Rachenabstrichen mittels Real-Time-Polymerasekettenreaktion (RT-PCR). Zum einen schreiben die Forscher, sei es evident, dass RT-PCR asymptomatische oder oligosymptomatische COVID-19-Infizierte identifizieren könne. Allerdings sei ein negativer Test keine Garantie für das Fehlen einer Infektion. In der Untersuchung gab es für den nachweislich infizierten Patienten elf etwa gleich mehrmals falsch negative RT-PCR-Ergebnisse. Der Patient entwickelte phänotypisch deutliche Symptome. Das wiederum könnte Auswirkungen haben auf die von manchen Politikern vorgeschlagenen Nachweise, nicht infiziert zu sein. Ein negatives Test-Ergebnis aus dem Abstrich muss demnach nicht bedeuten, auch nicht infiziert zu sein – nur ein positiver Antikörpertest etwa würde so – nach allem bislang Bekannten wahrscheinlich – bedeuten, dass der Getestete immun und nicht ansteckend ist.
Hohes Ansteckungsrisiko für Haushaltsmitglieder in gemeinsamer Isolation
Die Forscher zogen weiterhin Schlüsse zur sekundären Ansteckung unter den Haushaltsangehörigen eines Infizierten. Bei einer Familie, die gemeinsam mit einem Infizierten in einem Raum isoliert wurden, steckten sich 75 Prozent an. Andere Haushalte, die mit Infizierten nur bis zu deren Isolation zusammenlebten, zeigten zehn Prozent Ansteckungsrate. Je intensiver der Kontakt, desto höher die Ansteckungswahrscheinlichkeit, schlossen die Forscher daraus. Damit sei auch das hohe Risiko für Angehörige zu erkranken demonstriert, die mit einem Infizierten in häusliche Isolation gesetzt würden. Dies bedürfe einer genauen und fortlaufenden Erhebung des Infektionsstatus unter den Betroffenen.
Aus der Untersuchung des Clusters mit nur 16 Patienten lässt sich auch etwas über die Mutationsrate des Virus ablesen. In nur 16 Fällen gab es dennoch gleich mehrere signifikante Mutationen mit einem Austausch einer Aminosäure im codierten Protein sowie mehrere weitere stille Mutationen. Allerdings mutiert SARS-CoV-2 dennoch allen bisherigen Untersuchungen zufolge relativ langsam. Als Angehöriger der Ordnung Nidovirales besitzen Coronaviren wie das SARS-CoV-2 zwar „nur“ eine positiv-strängige einzelsträngige RNA als Erbinformation – anders als viele andere RNA-Viren besitzen die Nidoviren aber eine Korrekturfunktion bei der Replikation der RNA.
Unter dem Strich zeigt die bayerische Studie jedenfalls, wie schwer kontrollierbar das Virus werden kann, wenn nicht in kürzester Zeit auf einen Ausbruch mit Isolation, Tests und Quarantäne reagiert wird.
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