Zweites Konjunkturpaket

Mehrwertsteuersenkung beschlossen – keine Ausnahmen für Arzneien

Berlin - 29.06.2020, 16:40 Uhr

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Dürr fürchtet, insbesondere Versandhändler könnten vom Konjunkturpaket der Bundesregierung profitieren. (c / Foto: imago images / Christian Spicker)

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Dürr fürchtet, insbesondere Versandhändler könnten vom Konjunkturpaket der Bundesregierung profitieren. (c / Foto: imago images / Christian Spicker)


Vom 1. Juli 2020 bis zum Ende des Jahres sinkt die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Das haben Bundestag und Bundesrat heute in eigens dafür anberaumten Sondersitzungen beschlossen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Dürr fürchtet, die Milliarden, die der Bund jetzt in die Hand nimmt, um die deutsche Wirtschaft zu stärken, könnten vor allem an jene fließen, die während der Krise eh schon profitiert hätten – zum Beispiel Online-Versandhändler. Auch die Generikahersteller sind in Sorge.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nennt es das „größte Konjunkturpaket aller Zeiten“: Insgesamt will der Bund rund 130 Milliarden Euro ausgeben, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Kernelement des sogenannten Zweiten Corona-Steuerentlastungsgesetzes ist ein Absenken der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent. Der ermäßigte Steuersatz soll von 7 auf 5 Prozent sinken. Die Regelung gilt ab 1. Juli befristet bis zum Jahresende. Unternehmen sind angehalten, den Preisnachlass an ihre Kunden weiterzugeben, um Kaufanreize zu setzen.

Für die Apotheken hat das weitreichende Folgen: Nicht nur die Frage, ob die Mitarbeiter nun alle Produkte umetikettieren müssen, beschäftigte die Pharmazeuten. Ihnen drohen finanzielle Einbußen von insgesamt rund 12 Millionen Euro. Grund ist der Kassenabschlag in Höhe von 1,77 Euro, den die Apotheken für jede Rx-Fertigarzneimittelpackung und jedes klassische Rx-Rezepturarzneimittel gewähren müssen. Dabei handelt es sich um einen Bruttobetrag, der unabhängig von der Mehrwertsteuer formuliert ist. Wenn Apotheken derzeit für ein Arzneimittel 1,77 Euro brutto weniger erhalten, mindert das ihren Nettoumsatz um 1,487 Euro. Wenn der Mehrwertsteuersatz jedoch auf 16 Prozent sinkt, vermindert der Kassenabschlag den Nettoumsatz um 1,526 Euro. Für jedes abgerechnete Arzneimittel nehmen die Apotheken also netto 4 Cent weniger ein.

Die Bemühungen des Deutschen Apothekerverbands, eine Ausnahme für Arzneimittel zu erwirken, liefen offenbar ins Leere: Am heutigen Montag haben der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat das Paket ohne eine Sonderregelung für Rx-Medikamente verabschiedet.

Versandhandel könnte besonders profitieren

Ob die Umsatzsteuerabsenkungen die erhoffte Wirkung entfalten werden und die Menschen hierzulande zum Konsumieren bewegen können, ist umstritten. Scharfe Kritik äußerte etwa der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Dürr. Es drohe ein „enormer bürokratischer Aufwand“ insbesondere für den deutschen Mittelstand, warnte er. Zudem sei es fraglich, ob das Geld tatsächlich bei den Bürgern ankomme. „Meine Befürchtung ist, die Profiteure dieses Gesetzes werden diejenigen sein, die in der Krise gerade nicht gelitten haben – beispielsweise die Online-Versandhändler.“ Es sei „nicht fair“, den deutschen Mittelstand mit Bürokratie zu belasten und gleichzeitig Versender wie Amazon zu entlasten.

Seine Fraktion hatte drei Änderungsanträge zum Gesetz eingebracht, die das Plenum im Bundestag alle mehrheitlich ablehnte. Darin war etwa vorgesehen, den Solidaritätszuschlag für alle Bürger rückwirkend zum 1. Januar 2020 abzuschaffen. „Dieses Geld würde ganz konkret im Portemonnaie der Menschen ankommen“, sagte Dürr.

Die SPD-Abgeordnete Ingrid Arndt-Bauer hielt dagegen. Sie setzt offenbar auf die Weitsicht der Bürger. „Wir alle sind Konsumenten“, so Arndt-Bauer. „Wir müssen nicht im Internet kaufen und damit große Konzerne stärken.“ Sie rief dazu auf, vor Ort zu shoppen und so dazu beizutragen, die regionalen Strukturen zu erhalten.

Pro Generika erwartet massive Verluste für die Branche

Verluste drohen nicht nur den Apothekern, sondern auch den Generikaherstellern: Der Branchenverband Pro Generika rechnet mit Einbußen von rund 40 Millionen Euro für die Produzenten. „Nicht der Staat kommt demnach für die Steuersenkung auf – sondern die Unternehmen, die dem Gesundheitssystem ohnehin schon die höchsten Einsparungen ermöglichen!“

In einer Pressemitteilung erläutert der Verband den Hintergrund: Auf verschreibungspflichtige Arzneimittel werden gemäß Sozialgesetzbuch V Herstellerrabatte und vor allem im patentfreien Markt zudem Nachlässe infolge von Rabattverträgen fällig. Unternehmen, die diese Rabatte an die Gesetzliche Krankenversicherung entrichten müssen, können die Zahlungen gegenüber den Finanzämtern steuerlich geltend machen. „Sinkt nun aber die Umsatzsteuer von 19 auf 16 Prozent, drohen den Unternehmen massive Mindereinnahmen durch eine entsprechend verringerte Steuererstattung“, schreibt Pro Generika. „Dies wird dazu führen, dass in einigen Losen der Rabattverträge diese für die Unternehmen unwirtschaftlich werden. Sie müssten dann de facto sogar noch draufzahlen.“

Bis zu 40 Millionen Euro zusätzliche Belastungen

Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer schätzt die Folgen für die Unternehmen ab: „Allein im Bereich der Generikaunternehmen, deren Präparate zu einem großen Teil rabattvertragsgeregelt sind, drohen bis zu 40 Millionen Euro zusätzliche Belastungen. Das trifft eine Branche, die im Jahr 2019 insgesamt gerade mal 2,1 Milliarden Euro erwirtschaftet und die in den letzten Monaten der Corona-Krise keine Kosten gescheut hat, um die Menschen – trotz massiv erhöhter Fracht- und Wirkstoffpreise – gut versorgen zu können.“

Es sei nachvollziehbar, dass das Konjunkturpaket schnellstmöglich beschlossen werden und in Kraft treten soll. „Nicht nachvollziehbar ist, dass nun die Unternehmen die Mehrkosten tragen sollen, für die der Fiskus eigentlich einstehen wollte“, bemängelt Bretthauer. „Wir setzen darauf, dass in der Umsetzung des Gesetzes jetzt alles versucht wird, Schaden von den Generika-Unternehmen abzuwenden.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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