Unterdosierungen

Haben frühere Patienten des Bottroper Zyto-Apothekers Chancen auf Entschädigungen?

Berlin - 03.08.2020, 14:15 Uhr

Opfer gepanschter Zytostatika-Zubereitungen von Apotheker Peter Stadtmann hielten schon bei der Verhaftung des Apothekers eine Versammlung vor der Apotheke ab. Haben Sie Hoffnung auf Entschädigung? (x / Foto: imago images / Gottfried Czepluch)

Opfer gepanschter Zytostatika-Zubereitungen von Apotheker Peter Stadtmann hielten schon bei der Verhaftung des Apothekers eine Versammlung vor der Apotheke ab. Haben Sie Hoffnung auf Entschädigung? (x / Foto: imago images / Gottfried Czepluch)


Nachdem durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs das Strafurteil gegen den Apotheker Peter Stadtmann nun rechtskräftig ist, verlagert sich der Fokus auf die Zivilverfahren. Nach einer Entscheidung des Landgerichts Essen gibt es womöglich eine Beweislastumkehr: Der Apotheker beziehungsweise sein Insolvenzverwalter müssten nachweisen, dass die Infusionsbeutel richtig dosiert waren. Doch es gibt weitere Herausforderungen für frühere Patienten.

Der frühere Bottroper Zyto-Apotheker Peter Stadtmann hat tausende Krebspatienten mit Arzneimitteln beliefert – von denen ein erheblicher Teil unterdosiert war. Nach dem kürzlich vom Bundesgerichtshof bestätigten Urteil des Landgerichts Essen steht dies inzwischen fest. Unklar ist jedoch, inwiefern frühere Patienten ein Recht auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld haben – und ob sie es durchsetzen können.

Eine in diesem Jahr ergangene Entscheidung des Landgerichts Essen deuten an, dass es Chancen geben kann – auch wenn es gleichzeitig nicht einfach wird. „Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand“ sei das Vorliegen eines durch Stadtmann begangenen „gravierenden Pflichtverstoßes“ zwischen dem Kläger und dem Insolvenzverwalter unstreitig, schreiben die Richter im DAZ.online vorliegenden Beweisbeschluss zu einem der Zivilprozesse. Daher sei dem Verfahren zugrunde zu legen, dass Stadtmann 208 von 364 Zubereitungen mit dem Wirkstoff Nivolumab deutlich unterdosiert hat. Unklar sei jedoch, ob der inzwischen verstorbene Patient eines oder mehrere dieser unterdosierten Rezepturen erhalten hat.

„Aufgrund des vorgenannten gravierenden Pflichtverstoßes ist eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zumindest in Betracht zu ziehen“, schreiben die Richter. Daher müsste der Insolvenzverwalter – als Stellvertreter Stadtmanns – nachweisen, dass der Verstorbene keine gestreckten Zubereitungen erhalten hat. Doch auch dann müsse die Klägerseite den Beweis erbringen, dass die Unterdosierung für die Verschlechterung des Gesundheitszustandes ursachlich war. Hierzu soll ein schriftliches Gutachten eingeholt werden, um zu klären, ob es „überwiegend wahrscheinlich“ ist, dass eine zu geringe Dosierung hergestellten Präparate den Gesundheitszustand und die Prognose verschlechtert hat. Das Auftreten sowie das Ausbleiben üblicher Nebenwirkungen habe dabei außer Betracht zu bleiben.

Eine weitere Zivilklage wurde zwischenzeitlich zurückgezogen

In einem anderen Verfahren hatte eine Klägerin Ansprüche gegen Stadtmann beziehungsweise stellvertretend dessen Insolvenzverwalter geltend gemacht. Doch die Richter des Landgerichts schrieben zunächst, dass Grundlagen einer vertraglichen Haftung nicht zu erkennen seien: Der vorgebrachte pauschale Hinweis auf Mindermengen sei kein tragfähiger Beleg dafür, dass der Klägerin unzureichend dosierte Zubereitungen verabreicht worden seien. „Unterlagen welche diese Zahlen belegen sollen sind nicht vorgelegt worden“, schreiben die Richter in ihrem Beschluss.

Zwar sei das Urteil des Landgerichts Essen im Strafverfahren gegen Stadtmann zitiert – doch habe die Klägerin nicht ausreichend dargelegt, inwieweit eine Unterdosierung hinsichtlich des betreffenden Wirkstoffes festgestellt wurde. Die Klägerin müsse eine tragfähige Indizienkette darlegen, die für den Apotheker einlassungsfähig und für die Kammer überprüfbar wäre. „Die Klage hat vor diesem Hintergrund keine Aussicht auf Erfolg“, schreiben die Richter – sie wurde inzwischen zurückgezogen.

Mit seinen Entscheidungen hatte der Bundesgerichtshof die Höhe des eingezogenen Wertersatzes auf gut 13,6 Millionen Euro festgelegt. Nach altem, bis 2017 geltenden Recht wären die gesicherten Vermögenswerte allein den Krankenkassen zugeflossen, erklärt die Staatsanwaltschaft Essen – nach neuem Recht stünden die gesicherten Vermögenswerte – deren Wert wohl deutlich weniger als die 13,6 Millionen Euro beträgt – allen Gläubigern im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Verfügung. Die Rangfolge richte sich nach der Insolvenzordnung. Unklar ist jedoch, wieviel hiervon realisierbar ist: Beim Insolvenzverwalter wurden Ansprüche von über 120 Millionen Euro geltend gemacht – hiervon allein rund 30 Millionen Euro von der Mutter des Apothekers. Da der Insolvenzverwalter jedoch annimmt, dass innerhalb der Familie Stadtmann illegal Vermögen gesichert wurde, geht er zivilrechtlich hiergegen vor [Insolvenzverwalter klagt mit Millionenforderung gegen Mutter von Peter S.] – und auch die Staatsanwaltschaft prüft mögliche Strafrechtsverstöße.

Bundesgerichtshof wies Rechtsmittel Stadtmanns in weiterem Verfahren zurück

Auch in einem weiteren Verfahren scheiterte Stadtmann zwischenzeitlich vor dem Bundesgerichtshof: Der Apotheker, gegen den ein lebenslanges Berufsverbot verhängt wurde, war dagegen vorgegangen, dass die Staatsanwaltschaft Ende 2018 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt hatte, da Krankenkassen Forderungen von über 32 Millionen Euro angemeldet hatten und sein Vermögen die Ansprüche wahrscheinlich nicht abdecken werden. Dabei war der Strafprozess damals noch nicht rechtskräftig abgeschlossen und noch unklar, inwiefern die Ansprüche berechtigt sind.

Stadtmann hatte gegen die Antragstellung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht – doch nach der Entscheidung dieses Gerichts hatte der Apotheker gar nicht die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft einzulegen. Das Oberlandesgericht in Hamm sah dieses zwar als zulässig, aber unbegründet an. Der Bundesgerichtshof entschied, dass Stadtmann ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung habe, dass die Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtswidrig sei: Letzterer sei ein hinreichend tiefer Grundrechtseingriff. Doch sei die Rechtsbeschwerde des Apothekers unbegründet, entschied der Bundesgerichtshof: Diese hätte sich nur dagegen richtigen können, dass bestimmte Voraussetzungen des Strafprozessrechts nicht vorgelegen haben.

Stadtmann hat vergangenes Jahr die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens selbst beantragt – offenbar um sich die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung offen zu halten.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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