Auslizenzieren und billiger produzieren

Wenn Corona-Medikamente knapp werden

Remagen - 18.08.2020, 10:30 Uhr

Bei manchen Arzneistoffen gibt es alternative Herstellmethoden, um die breite Arzneimittelversorgung zu sichern. (m / Foto: industrieblick / stock.adobe.com)

Bei manchen Arzneistoffen gibt es alternative Herstellmethoden, um die breite Arzneimittelversorgung zu sichern. 
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Wenn Wissenschaftler endlich Medikamente finden, die Coronavirus-Infektionen wirksam behandeln können, wird die Nachfrage mit ziemlicher Sicherheit das Angebot übersteigen. Bei Remdesivir zeigt sich das bereits. Es gibt aber Möglichkeiten, um Engpässen abzuhelfen – zum einen durch Lizenzen und zum anderen durch kostengünstigere Produktionswege.

Patente geben Pharmaunternehmen das Recht, in der Regel 20 Jahre lang alleiniger Lieferant eines neuen Arzneimittels in einem bestimmten Land zu sein. Erst danach dürfen die Nachahmer auf den Zug aufspringen und dieses als Generikum herstellen und verkaufen. Die Methode zur Herstellung des Arzneimittels ist oft geheim, um den Wettbewerb auch nach Ablauf der Patente zu bremsen. Ist das auch in Zeiten einer Pandemie wie COVID-19 noch haltbar?

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Der Herstellungsprozess des einzigen in den USA und in der EU bislang zugelassenen antiviralen Mittels Remdesivir ist sehr komplex. Das legt Gilead Sciences auf seiner Webseite dar. Deswegen könne es auch in einer Notsituation wie der COVID-19-Pandemie nicht schnell in großen Mengen produziert werden. Der typische Zeitplan für die Herstellung im industriellen Maßstab wird mit neun bis zwölf Monaten angegeben. Man habe die Spanne aber schon auf sechs bis acht Monate verkürzt und arbeite weiter an einer Optimierung, um auf größere Volumina zu kommen, so die Zusage. Bis Dezember 2020 sollen insgesamt mehr als zwei Millionen Behandlungszyklen produziert werden und im nächsten Jahr, soweit erforderlich, einige Millionen.

Lizenzen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen

Daneben hat Gilead nicht-exklusive freiwillige Lizenzvereinbarungen mit Generikaherstellern in Ägypten, Indien und Pakistan unterzeichnet, um das Remdesivir-Angebot zu erweitern. Sie dürfen das antivirale COVID-19-Mittel für den Vertrieb in 127 Ländern herstellen. Dabei handelt es sich überwiegend um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Nach den Lizenzvereinbarungen haben die Unternehmen ein Recht auf einen Technologietransfer des Gilead-Herstellungsprozesses für Remdesivir. Sie legen auch ihre eigenen Preise für die von ihnen erzeugten Generika fest. Die Lizenzen gelten nur, bis die WHO das Ende der COVID-19-Pandemie erklärt oder bis ein anderes Arzneimittel oder ein Impfstoff zur Behandlung oder Vorbeugung von COVID-19 zugelassen ist.

US-Bundesstaaten fordern Zwangslizenzen für Remdesivir

Den US-Amerikanern hilft das wenig, denn auch dort ist Remdesivir knapp. Am 4. August schrieben Generalstaatsanwälte aus 34 US-Bundesstaaten deswegen an das US-Gesundheitsministerium, die National Institutes of Health (NIH) und die Arzneimittelbehörde FDA. Trotz der Bemühungen von Gilead, seine Produktionskapazität zu erhöhen, bleibe das Angebot „gefährlich begrenzt“, stellen sie fest. Auch wenn 85 Prozent der Produktion in die USA gingen, hätten hypothetisch betrachtet nur 1,7 Millionen der 4,6 Millionen bestätigten COVID-19-Patienten in den USA (Stand: 3. August 2020) Zugang zu einer vollständigen Behandlung mit Remdesivir. Eine weitere Kritik der Generalstaatsanwälte betrifft die Preisgestaltung des Unternehmens, die sie für überzogen halten. Ihrer Meinung nach sollen die Bundesbehörden nun dafür eintreten, dass die Versorgung mit Remdesivir nicht allein Gilead überlassen bleibt. Als rechtliche Handhabe dafür führen sie den „Bayh-Dole Act“ an. 

Dieser regelt die Ausübung von Nutzungsrechten für US-Universitäten, kleine oder gemeinnützige Unternehmen an geistigem Eigentum, das durch staatliche Förderung erworben wurde. Dies trifft auch auf Gilead zu. In bestimmten, streng geregelten Fällen dürfen staatliche Finanziers von Forschungsprojekten diese Exklusivität jedoch aufheben und an den Patentinhabern vorbei Lizenzen an weitere Lizenznehmer vergeben (March in Right). Das gilt zum Beispiel, wenn die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung gefährdet ist oder die Anforderungen für die öffentliche Nutzung der Erfindung nicht ausreichend erfüllt werden können. Angesichts der beispiellosen COVID-19-Krise sollen die staatlichen Institutionen ihr March-in-Recht nach dem Bayh-Dole Act nun gegenüber Gilead ausüben. „Dies ist nicht die Zeit für ein Unternehmen, große Unternehmensgewinne von nicht versicherten und unterversicherten Amerikanern zu ziehen“, schreiben sie und machen so ihrem Ärger Luft.

Geht es auch billiger? US-Forscher bauen auf KI bei der Synthese

Unterdessen haben Forscher von der Universität von Michigan in Ann Arbor, USA, eine neue Methode entwickelt, mit der die notwendigen Arzneimittel auf alternativen Wegen wahrscheinlich günstiger produziert werden könnten. Der Chemiker Timothy Cernak und seine Kollegen von der University of Michigan in Ann Arbor nutzten hierfür ein kommerzielles KI-Programm zur Arzneimittelsynthese namens Synthia. Die Software soll Pharmaherstellern mit Hilfe der künstlichen Intelligenz helfen, die effizienteste und kostengünstigste Strategie für die Synthese von Arzneimitteln zu finden. Cernak und seine Kollegen durchsuchten die Forschungs- und Patentliteratur nach Möglichkeiten zur Synthese von zwölf Medikamenten, die derzeit als COVID-19-Therapien getestet werden, und zwar Baricitinib, Bromhexin, Camostat, Cobicistat, Darunavir, Favipiravir, Galidesivir, Nelfinavir, Remdesivir, Ribavirin, Ritonavir und Umifenovir.

Billige Ausgangsstoffe im Fokus

Mit Hilfe von Synthia beschränkten sie ihre Suche auf Optionen, die billige, reichlich vorhandene Ausgangsmaterialien verwendeten, keine teuren Katalysatoren oder Geräte benötigten und Mengen von Arzneimitteln im Kilogramm-Maßstab produzieren konnten. „Wenn Sie der Welt ein Medikament liefern wollen, müssen Ihre Ausgangsmaterialien billig und so verfügbar sein wie Zucker“, sagt Danielle Schultz, Chemikerin bei Merck, die ebenfalls an der Forschung beteiligt war.

Keine Alternative für die Herstellung von Remdesivir

Ihre Ergebnisse berichten die Forscher in einem nicht von Experten geprüften Preprint auf ChemRxiv. Am Ende fand die Software neuartige Lösungen für die Herstellung von elf der zwölf Verbindungen. Der einzige Ausfall war Remdesivir. „Hier konnte die Software keine andere Lösung finden als Gilead“, sagt Cernak.

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Er und sein Team haben für alle neuen Synthesewege Patente angemeldet. Sie selbst wollen damit allerdings keine Gewinne erzielen. Stattdessen möchten sie ihre Herstellungsansätze an ein oder mehrere Pharmaunternehmen lizenzieren, um eine angemessene Versorgung und niedrige Preise sicherzustellen. Jetzt müssten sie nur noch abwarten, ob sich eines der Medikamente in klinischen Studien als wirksam erweist, fügt Cernak an.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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