Lehren aus der Sartan-Krise

Warum es im Arzneimittelmarkt dringend mehr Transparenz braucht

Stuttgart - 11.09.2020, 11:45 Uhr

Valsartan, Candesartan, Irbesartan, Olmesartan – es gibt zahllose Wirkstoffe zur Blutdrucksenkung und noch mehr entsprechende Fertigarzneimittel. Aber wie unterscheiden sich eigentlich die Wirkstoffe in den jeweiligen Präparaten? Woher beziehen die Zulassungsinhaber ihren Wirkstoff? (c / Foto: Schelbert)

Valsartan, Candesartan, Irbesartan, Olmesartan – es gibt zahllose Wirkstoffe zur Blutdrucksenkung und noch mehr entsprechende Fertigarzneimittel. Aber wie unterscheiden sich eigentlich die Wirkstoffe in den jeweiligen Präparaten? Woher beziehen die Zulassungsinhaber ihren Wirkstoff? (c / Foto: Schelbert)


Menschen interessieren sich zunehmend für Lieferketten. Sei es beim Kauf von Kleidung oder – wie zuletzt in der Coronakrise – in der Fleischindustrie. Es geht dabei um Menschenrechte und Umweltschutz, aber auch darum, selbst möglichst wenige Schadstoffe wie Antibiotika und Pestizide aufzunehmen. Doch wie ist es eigentlich um die Transparenz der Lieferketten unserer Arzneimittel bestellt? Am Beispiel der Sartan- und schließlich Nitrosamin-Krise des Sommers 2018 lässt sich praktisch nachvollziehen, warum wir im Arzneimittelmarkt dringend mehr Transparenz brauchen.

Transparente Lieferketten werden – nicht nur den Verbrauchern – vor allem in der Mode- und Lebensmittelindustrie immer wichtiger. Bei Arzneimitteln bevorzugen zwar auch viele Patienten den Originalhersteller – woher aber der Wirkstoff in einem Arzneimittel stammt, das wissen nicht nur die Kunden, sondern auch die Apotheker (meist) nicht. Daher dürften Apotheker den Vorstoß der Arzneimittelexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Sylvia Gabelmann, vom vergangenen Mittwoch begrüßen: Sie fordert ein strenges Lieferkettengesetz für Arzneimittel. Aus ihrer Sicht unternimmt die Bundesregierung zu wenig, um schwarzen Schafen in der Medikamentenproduktion Einhalt zu gebieten. Sie bezieht sich dabei auf Verstöße gegen die GMP-Vorschriften, aber auch auf den Umweltschutz und die Einhaltung von Menschenrechten.

Die Mehrheit der Apotheker wird basierend auf ihrer persönlichen Erfahrung vermutlich ein Lied davon singen können, wie intransparent es teilweise im Arzneimittelmarkt zugeht. Die zahlreichen und undurchsichtigen Lieferengpässe führen es den Apothekern immer wieder vor Augen. Wer sich außerdem an die Nitrosamin-Krise des Sommers 2018 erinnert, dem wird die Wichtigkeit von Transparenz in der Lieferkette von Arzneimitteln vor allem auf einer Ebene deutlich: Neben Umwelt und Menschenrechten tritt das eigene unmittelbare Risiko durch die Aufnahme möglicher Verunreinigungen in den Mittelpunkt. Denn woher wissen wir, wie sicher und gut unsere Arzneimittelhersteller arbeiten, wenn wir die eigentlichen Wirkstoffhersteller überhaupt nicht kennen?

Laufendes Klageverfahren gegen öffentliche Informationen über Wirkstoffhersteller

Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) ist im vergangenen Sommer eigentlich bereits eine neue Transparenzvorschrift in Kraft getreten: Der oder die Wirkstoffhersteller von Arzneimitteln sollen künftig in einer öffentlichen Datenbank zu finden sein. Was aus dieser öffentlichen Datenbank geworden ist, wollte DAZ.online schon im Januar 2020 wissen. Da war es fünf Monate her, dass das GSAV in weiten Teilen in Kraft getreten war. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte damals: „Das BfArM arbeitet zusammen mit dem DIMDI intensiv an einer schnellstmöglichen technischen Umsetzung. Es ist geplant, diese zusätzlichen Informationen in den bereits vorhandenen öffentlichen Datenbanken bereitzustellen. Das heißt beim DIMDI im öffentlichen Teil der AMIS-Datenbanken und unter PharmNet.Bund.“ Nachfragen nach einem möglichen Zeithorizont blieben allerdings unbeantwortet. Auf erneute Nachfrage teilt das BfArM gegenüber DAZ.online nun mit, dass „es – bedauerlicherweise – noch keinen neuen Stand“ gibt. Die Bundesoberbehörde verweist auf ein laufendes Klageverfahren.

Tatsächlich versuchten zwei Phyto-Hersteller beim Verwaltungsgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen das BfArM zu erwirken. Sie wollten der Behörde vorläufig untersagen lassen, die Namen und Adressen der Wirkstoffhersteller in verschiedenen arzneimittelrechtlichen Informationssystemen zu veröffentlichen. Sie argumentierten, dass sie durch die Veröffentlichung der Informationen in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet seien. Die fraglichen Arzneimittel seien Phytopharmaka, die nur aus spezifischen Ausgangsmaterialien und in einem spezifischen Herstellungsverfahren durch einen bestimmten Wirkstoffhersteller hergestellt werden könnten. Generika-Hersteller könnten sie bei Kenntnis des Wirkstoffherstellers leichter nachahmen. Das Gericht wies die Anträge als unbegründet ab. Das heißt allerdings nicht, dass das Verfahren beendet ist – insbesondere eine Hauptsacheklage ist noch möglich.

„Vor dem Hintergrund, dass das BfArM auf den zeitlichen Verlauf solcher gerichtlicher Verfahren keinen Einfluss hat und auch der mögliche Instanzenweg nicht vorhersehbar ist“, teilt das BfArM gegenüber DAZ.online nun mit, dass man weiterhin keine Aussage zum Zeithorizont machen könne, wann öffentliche Informationen über Wirkstoffhersteller verfügbar werden.

DAZ.online hat nun die Forderung der Linken-Abgeordneten Gabelmann nach einem Lieferkettengesetz für Arzneimittel zum Anlass genommen, nochmals einen Blick in den Abschlussbericht (23. Juni 2020) der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zur Sartan-Krise zu werfen: „Lessons learnt from presence of N-nitrosamine impurities in sartan medicines“. Was ist damals eigentlich genau passiert? Der Bericht verdeutlicht, warum mehr Transparenz im Arzneimittelmarkt so wichtig ist.

Die Sartan-Krise: Wenn keiner weiß, was der andere tut

Aus dem EMA-Dokument geht hervor, dass die Behörden international in einer ersten Reaktion auf das Bekanntwerden einer Nitrosaminverunreinigung zwischen Juni und Juli 2018 schnell reagierten – nachdem ein potenzieller Kunde des chinesischen Wirkstoffherstellers Zhejiang Huahai den Wirkstoffhersteller über eine unerwartete Verunreinigung im Wirkstoff Valsartan informiert hatte. Ab August 2018 entwickelte sich die Situation dann allerdings schnell weiter. Es bestätigten sich nämlich der Verdacht, dass die Nitrosaminverunreinigungen sich nicht nur auf den Wirkstoff Valsartan von Zehjiang Huahai beschränken. Die EMA und die national zuständigen Behörden standen damit der Herausforderung gegenüber, schnell herauszufinden, welche Fertigarzneimittel tatsächlich betroffen sind.

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In dem Dokument heißt es, dass dabei eine Reihe von Systemmängeln angesichts „eines Vorfalls solchen Ausmaßes“ deutlich wurden:

  • Erstens verfügten die Regulierungsbehörden nicht über geeignete Datenbanken, um die Wirkstoffhersteller mit den Endprodukten zu verknüpfen, unter Berücksichtigung von ASMFs (Wirkstoff-Stammdokumentation) und CEPs (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia).
  • Zweitens hatten auch die Zulassungsinhaber offenbar keine leicht zugänglichen Informationen darüber, welche Fertigarzneimittel mit den betreffenden Wirkstoffchargen hergestellt worden waren und wohin sie weiter verkauft worden waren.
  • Drittens hatten wiederum die Wirkstoffhersteller wohl nur wenige Informationen darüber, welche Fertigarzneimittel ihre Wirkstoffe enthalten.
  • Viertens wurde die Rückverfolgung der betroffenen Produkte durch das Vorhandensein von Parallelimporten beeinträchtigt. In manchen Fällen seien diese mit den Originalnamen gekennzeichnet worden, obwohl es sich um generische Versionen gehandelt habe. Dadurch wurde zusätzlich erschwert, schnell zu ermitteln, welche parallel importierten Produkte Valsartan von Zhejiang Huahai und anderen betroffenen Wirkstoffherstellern enthielten.
  • Und als wäre all dies nicht genug, wird in dem Dokument als fünfter Mangel aufgeführt, dass auch die Nutzung von ASMFs und CEPs zusätzliche Komplexität in die Verfolgung betroffener Produkte gebracht habe. Denn häufig habe es hinsichtlich wichtiger Details wie Namen und Adressen von Firmen Diskrepanzen zwischen den Dossiers, CEPs und ASMFs gegeben.

Schließlich sei die Rückverfolgung der Herkunft von Wirkstoffen zwar nicht die einzige Herausforderung gewesen, die sich den Zulassungsbehörden mit zunehmendem Ausmaß des Falls präsentierte. Auch der Mangel an validierten analytischen Methoden bedeutete, dass einige Zulassungsinhaber und Hersteller nicht wussten, wie man auf Nitrosamine testet. Letztlich sei aber schon allein herausfordernd gewesen, den sich schnell entwickelnden Fall überhaupt im Blick zu behalten, da es keine zentrale Datenbank gab, um die Entwicklungen zu erfassen. Zusätzlich habe die Gefahr bestanden, dass nicht alle nationalen Behörden immer über die aktuellsten Informationen verfügten, weil das E-Mail-System die Nutzung einzelner Mail-Adressen erforderte – sodass manche vergessen werden konnten.

So komplex sich also die Nitrosamin-Krise entwickelt haben mag. Es lässt sich kaum bestreiten, dass – neben mangelndem pharmazeutischen, analytischen und chemischen Wissen – vieles hätte besser laufen können, wären die Lieferketten im Arzneimittelmarkt transparenter. 

Mit mehr Transparenz könnte man in einer weiteren Krise nicht nur schneller reagieren. Wahrscheinlich wäre auch, dass mit den Lieferwegen vonseiten der Pharmaunternehmen bereits präventiv verantwortungsvoller umgegangen wird. Mit dem Gewinn an Wissen über die beteiligten Firmen ließe sich schließlich nicht nur ein mögliches Verunreinigungsrisiko besser nachverfolgen, sondern auch Umweltaspekte und Menschenrechte könnten in der Arzneimittelindustrie zunehmend berücksichtigt werden.

Nicht zuletzt geht das Dokument auch auf einen weiteren bereits viel diskutierten Punkt ein, der durch mehr Transparenz offengelegt werden würde: Die starke Abhängigkeit von einem einzelnen Wirkstoffhersteller (und den zugehörigen Arzneimittelherstellern und Zulassungsinhabern) – zur Sicherstellung der Qualität und Sicherheit des Wirkstoffs. Sie zeige ein Problem auf, das erkannt und angegangen werden sollte, heißt es.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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