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Interview mit Dr. Frank Diener, Treuhand Hannover
Mehr Mut bei pharmazeutischen Dienstleistungen
Der Apothekenwirtschaftsexperte Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover und ehemaliger ABDA-Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales, nimmt im Gespräch mit der DAZ das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz unter die Lupe. Mit Blick auf die darin geplanten neuen pharmazeutischen Dienstleistungen fordert er eine Honorarreform, verteidigt jedoch grundsätzlich das Kombimodell aus Fixum und prozentualem Aufschlag.
DAZ: Herr Dr. Diener, sollte das VOASG so durch das Parlament kommen, wie es eingebracht wurde: Mit welchen Veränderungen oder auch keinen Veränderungen müssen wir dann in den nächsten Jahren im Hinblick auf die Apothekenlandschaft rechnen?
Diener: Das VOASG ist ja nur ein Puzzleteil von vielen und seine Wirkung muss im Zusammenwirken aller Teile von Spahns Apothekenpaket gesehen werden. Bei der Wirkungsanalyse ergibt es Sinn, systemstabilisierende und systemverändernde Bausteine zu unterscheiden.
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DAZ: Welche Regelungen sind für Sie systemstabilisierend?
Diener: Die meisten systemstabilisierenden Bausteine sind bereits in diversen Gesetzen und Verordnungen in der Ära Spahn in Kraft getreten: Wiederholungsrezepte, Modellversuche zur Grippeschutzimpfung, die Erhöhung der Notdienstpauschale und der BtM-Gebühr, das Aut-idem bei Privatrezepten, die zunächst temporäre Vergütung der Botendienste, das Rezeptmakelverbot, die Rückführung der Hämophilieprodukte in die Apothekenpflicht. Im VOASG selbst „hängen“ an systemstabilisierenden Bausteinen derzeit die dauerhafte Verankerung der Botendienstvergütung, der Einstieg in honorierte pharmazeutische Dienstleistungen und vor allem die Gleichpreisigkeit im Rahmen der GKV-Arzneimittelversorgung – diese ist, auch wenn man sich das für alle Rx-Arzneimittel wünscht – eine Verbesserung gegenüber dem Status quo und insofern systemstabilisierend.
DAZ: Und was wird in Ihren Augen systemverändernd sein?
Diener: Wichtige systemverändernde Bausteine sind ebenfalls schon in Kraft: Botendienst als weitere Regelleistung der Offizinapotheken, die Einführung des
E-Rezeptes ab Mitte 2021, die telepharmazeutische Beratung. Zusammengenommen heißt das für die zukünftige Apothekenlandschaft, dass sich zum einen die fundamentalen Markttrends der letzten Jahre fortsetzen werden, dass wir also weniger, aber größere Betriebe, mehr Betriebe in Filialverbünden haben und mit knappem Personal umgehen müssen.
DAZ: Obwohl ja immer von „Spahns Apothekenreform“ die Rede ist, muss man feststellen, dass der ursprüngliche Referentenentwurf immer weiter ausgedünnt wurde. Einzig die Perspektive auf honorierte, pharmazeutische Dienstleistungen stellt ein Novum dar. Fehlt Ihnen etwas in diesem geschnürten Paket, damit man das VOASG als eine „echte“ Reform bezeichnen kann?
Diener: Ja, dreierlei. Erstens fehlt die Gleichpreisigkeit auch bei Privatrezepten. Die Corona-Krise hat doch überdeutlich gezeigt, welch wichtige gesellschaftliche Funktion, eben Systemrelevanz, eine stabile Preisordnung und die Vor-Ort-Versorgung haben. Wenn bis auf wenige Ausnahmen die meisten EU-Staaten ihr Wahlrecht so ausüben, dass sie den Rx-Versand komplett verbieten, muss es doch wenigstens möglich sein, dass Deutschland als minderschweren Eingriff dazu die Gleichpreisigkeit für alle Rezepte vorsieht. Zweitens fehlt eine technische Absicherung des juristisch verankerten Rezeptmakelverbotes. Wenn es bei personalisierten Tickets für „Öffis“ und Fußballstadien mit der heutigen Technik möglich ist, die Weitergabe an Dritte zu vermeiden, sollte das auch bei den höchst sensiblen Rezeptdaten umgesetzt werden. Wenn das juristische Verbot wirklich ehrlich gemeint ist, muss man es auch technisch verankern. Drittens sollte der Schritt bei den pharmazeutischen Dienstleistungen finanziell und organisatorisch mutiger sein – bei den Gesundheitsapps hat man sich das ja auch getraut. Die können vom Arzt rezeptiert oder vom Selbstzahler direkt erworben werden, wenn sie qualitätsgesichert sind.
Das Kombimodell ist sachgerecht und zeitgemäß
DAZ: Eine Dynamisierung des Fixzuschlags, wie sie seit mehr als 15 Jahren den Apotheken in Aussicht gestellt wird, bleibt auch bei dieser Gesetzesinitiative außen vor. Ist das Thema politisch für alle Zeiten tot?
Diener: Das Kombimodell ist als Vergütungsprinzip nach wie vor sachgerecht und zeitlos. Jedoch ist eine Anpassung der konkreten Zahlenwerte von Fixum und Prozent-Aufschlag betriebswirtschaftlich gut begründbar. Denn die Justierung des Fixums und des prozentualen Aufschlages basiert auf Daten des Jahres 2002 und stammt aus 2003. Seither hat sich die Quotierung der fixen und variablen Kosten massiv verändert, Stichwort „Hochpreiser“. Zudem hat sich das Niveau sowohl bei den fixen als auch den variablen Kosten stark erhöht. Beides könnte mit einer systemkonformen Anhebung von Fixum und Prozentaufschlag sachgerecht gelöst werden. Auch wenn die Politik sich damit schwer tut, sollte die Dynamisierung nicht aufgegeben werden. Sie wird ja den anderen systemrelevanten Sektoren im Gesundheitswesen auch zugestanden: Man schaue nur auf die ärztliche Versorgung oder den Krankenhaussektor.
DAZ: Pharmazeutische Kompetenz aufwerten, logistische Komponente vernachlässigen – das versteht der Gesetzgeber anscheinend unter „Apothekenstärkung“. Liegt er damit richtig?
Diener: Leider nein. Oft wird das heutige Kombimodell der Apothekervergütung so verstanden, dass das Fixum „die Pharmazie“ und der Prozentaufschlag „die Logistik“ der Apotheke abdeckt. Das ist jedoch eine grundfalsche Sicht und verkennt das zugrunde liegende ökonomische Konstruktionsprinzip aus 2003: Das Kombimodell soll nämlich über das Fixum die fixen, umsatzunabhängigen Betriebskosten und über den Prozentaufschlag die variablen, umsatzabhängigen Kosten abdecken. Was sind fixe, was sind variable Kosten? Die fixen Kosten eines Betriebes sind die Kosten, die man unabhängig von der Umsatzhöhe oder Kundenzahl hat, um der Apothekenbetriebsordnung zu genügen und den Betrieb offen zu halten: Mindestpersonal, Mindestfläche, Mindestausstattung, Mindestöffnungszeiten usw. Die variablen Kosten sind die Warenhandlings-, Personal-, Raum- und sonstige Kosten, die in Abhängigkeit von der Kundenzahl und Umsatzhöhe hinzukommen. Die Vorstellung, dass man wie an einem Schieberegler „die Logistik“ runter- und „die Pharmazie“ hochfahren könne, verkennt völlig die Betriebsabläufe und Versorgungsprozesse der Apotheke. Sachgerecht ist eine andere Sicht: Wenn ich als Gesellschaft zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen will, muss ich diese zusätzlich zu den bisherigen auch adäquat bezahlen und zugleich die Fehljustierung des heutigen Kombimodells mit einer Anhebung anpassen.
DAZ: Ihr Vorschlag war es einmal, das Dienstleistungshonorar zunächst als eine Investition in das System zu verstehen, mit der die Voraussetzungen geschaffen werden, dass möglichst alle Apotheken partizipieren können (DAZ 2019, Nr. 16,
S. 17). Halten Sie das nach wie vor für notwendig?
Diener: Die im VOASG vorgesehenen 20 Cent je Rx-Packung ergeben für die einzelne Apotheke keinen Betrag, mit dem man „groß“ in die pharmazeutischen Dienstleistungen einsteigen kann – je Patient und Jahr stehen 1,50 Euro zur Verfügung und wenn die Dienstleistung nur bei jedem zehnten Kunden ausgeführt wird, sind es 15 Euro im Jahr. Hinzu kommt, dass anspruchsvolle pharmazeutische Dienstleistungen personalintensiv und damit teuer für die Kostenträger sind – eine Approbiertenstunde muss mit Vollkosten von 40 Euro angesetzt werden und eine Medikationsanalyse kann insbesondere wegen des Rechercheaufwandes mehrere Stunden Zeitaufwand bedeuten. Für die Apotheken ist das wegen der ohnehin bestehenden Personalknappheit eine sehr hohe Zusatzbelastung.
DAZ: Wie könnte das Problem gelöst werden?
Diener: Es gibt bei der Gestaltung des Dienstleistungsfonds einen „genossenschaftlichen“ Weg, die einzelne Vor-Ort-Apotheke zu unterstützen, um den Personalaufwand schultern zu können: Anstatt den Dienstleistungsfonds sofort auf viele einzelne Apotheker auszukehren und insgesamt dennoch nur wenig dieser neuen Dienstleistungen zu erbringen, könnte das Fondsvolumen für ein oder zwei Jahre kollektiv auf einen „investiven Umweg“ geschickt werden, um ein unterstützendes KI-Expertensystem „in Apothekerhand“ zu entwickeln, das dann allen Vor-Ort-Apotheken kostenfrei zur Verfügung gestellt werden könnte. Pharmazeutische Dienstleistungen könnten dann von den Vor-Ort-Apotheken weniger personalintensiv und kostengünstig angeboten und erbracht werden. Sparen und das Gesparte auf einen investiven Umweg schicken, ist dabei eine sinnvolle ökonomische Gestaltungsoption. Es lohnt sich, beim Dienstleistungsfonds darüber nachzudenken.
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Hinweis: Lesen Sie das vollständige Interview in der aktuellen Printausgabe der DAZ.
11 Kommentare
Falsche Eindrücke
von Reinhard Rodiger am 13.10.2020 um 0:01 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Aber Herr Diener!
von Heiko Barz am 12.10.2020 um 18:47 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Aber Herr Diener
von Frank Diener am 12.10.2020 um 19:20 Uhr
AW: Aber Herr Diener
von Heiko Barz am 12.10.2020 um 19:32 Uhr
Vollkosten
von Dr. Thomas Müller-Bohn am 12.10.2020 um 15:24 Uhr
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Unfassbar aber Umfassend auf dem Weg zur Vollendung
von Bernd Jas am 12.10.2020 um 13:52 Uhr
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Unfassbar
von Reinhard Rodiger am 12.10.2020 um 12:59 Uhr
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?
von Anita Peter am 12.10.2020 um 8:50 Uhr
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AW: ?
von Pharmajung am 12.10.2020 um 11:21 Uhr
AW: ?
von Heiko Barz am 12.10.2020 um 11:30 Uhr
Schwätzer
von Karl Friedrich Müller am 12.10.2020 um 8:35 Uhr
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