AvP-Insolvenz

BaFin: Tatsächlich von nichts gewusst?

Stuttgart - 23.10.2020, 17:29 Uhr

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will die Finanzaufsicht stärken. Im Fall von AvP ist er zu spät dran. (Foto: imago images / Political-Moments)

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will die Finanzaufsicht stärken. Im Fall von AvP ist er zu spät dran. (Foto: imago images / Political-Moments)


Erst der Wirecard-Skandal, dann AvP – die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, muss 2020 viel Kritik einstecken. Im politischen Berlin spricht man sogar von einem multiplen Behördenversagen im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministers. Die Pleite des Apothekenrechenzentrums AvP macht deutlich, inwiefern Schwachstellen im Kontrollsystem der BaFin existieren und mit welchem Selbstverständnis die Bundesbehörde agiert. DAZ.online hat im Ministerium nachgefragt und daraufhin Antworten von der BaFin zum AvP-Fall erhalten.

Es war Juli 2020, als Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stärkere Kontrolle durch den Staat ankündigte. Vorausgegangen war der mutmaßliche Milliardenbetrug beim Zahlungsdienstleister Wirecard. 16 Maßnahmen will Scholz laut „Süddeutscher Zeitung“ in die Wege leiten, um die Finanzaufsicht zu stärken und die Transparenz zu verbessern. Darüber hinaus sollen Absprachen zwischen den Behörden vereinfacht werden. Entsprechende Gesetze kündigte der SPD-Politiker für spätestens Frühjahr 2021 an.

Konkret soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schnell und direkt eingreifen sowie Sonderermittler einsetzen können, wenn ein Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei Unternehmen wie Banken, Versicherungen und Zahlungsdienstleistern besteht. Auch will man die Hinweise von Whistleblowern stärker nutzen und sogar proaktiv dafür sorgen, dass sich Informanten an die Aufsichtsbehörde wenden. Mit Blick auf diesen 16-Punkte-Plan stellt sich allerdings die Frage, mit welchen Methoden die BaFin bis dato gearbeitet haben muss, dass sich der Minister gezwungen sieht, diese Selbstverständlichkeiten auf die Agenda zu setzen. Doch im Wirecard-Skandal wurde deutlich, dass Informationen in der Behörde versickerten und zu keiner Sonderprüfung führten. Zu allem Überfluss spekulierten die Beschäftigten der Finanzaufsichtsbehörde laut Medienberichten sogar selbst mit Aktien von Wirecard.

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Im selben Monat, als Minister Scholz Besserung versprach, fand beim Apothekenrechenzentrum AvP in Düsseldorf ein anlassbezogenes Aufsichtsgespräch durch die BaFin statt. Das schreibt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage aus der AfD-Bundestagsfraktion, die am gestrigen Donnerstag bekannt wurde. Was genau der Anlass war, darauf wird nicht konkret eingegangen. Doch im Zusammenhang mit dieser Aussage steht der Hinweis auf die handelsrechtlich vorgeschriebene Jahresabschlussprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer. Die Deutsche Bundesbank wertet die Prüfungsberichte im Auftrag der BaFin aus und nimmt die Risikoklassifizierung vor. Auf Grundlage dieser Einschätzung tritt die BaFin erforderlichenfalls dann an die Institute heran und ergreift aufsichtsrechtliche Maßnahmen.

In der Sitzung des Gesundheitsausschusses Anfang Oktober hatte der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos den Abgeordneten des Bundestages Einblicke in das AvP-Geschäftsmodell und die Unternehmensführung gegeben: Das Factoring-Konstrukt lief demnach viele Jahrzehnte mehr schlecht als recht. Die im Vergleich zu anderen Rechenzentren signifikant niedrigeren Gebühren und weitere, unverhältnismäßige Ausgaben hätten nach und nach zu einem Defizit in der Kasse von AvP geführt. Darüber hinaus habe es auch die eine oder andere Entnahme gegeben, die das Unternehmen ins Wanken brachte.

Kein Anlass für eine Sonderprüfung?

Die BaFin sah über Jahre hinweg offenbar keinen Anlass für eine Sonderprüfung bei AvP. Auch die rechtskräftige Verurteilung von AvP-Chef Mathias Wettstein aufgrund eines Steuervergehens im Jahr 2017 ließ die Behörde nicht misstrauisch werden. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte den Vorstandsvorsitzenden darüber hinaus als unzuverlässig eingestuft und ihm seine Fluglizenz entzogen, er durfte auch keine BaFin-Lizenz führen und musste die Geldgeschäfte in seinem Unternehmen daher offiziell Geschäftsführern überlassen. Auf Anfrage von DAZ.online beim Bundesfinanzministerium antwortet eine Sprecherin der BaFin wiederum: „Der BaFin lagen keine Informationen über die Erhebung einer öffentlichen Klage gegen eine Person des betreffenden Personenkreises bei der AvP Deutschland GmbH oder über eine diesbezügliche strafrechtliche Verurteilung vor.“

Diese Aussage deutet auf ein Kontrollproblem hin: In der Unternehmensdatenbank der BaFin befindet sich lediglich die AvP Deutschland GmbH als Factoring-Institut und nicht die von Wettstein geführte Aktiengesellschaft als Holding. Konkret heißt das: Die Apotheken erhielten zwar die Zahlungen aus der GmbH, doch Wettstein konnte in der Unternehmensgruppe über all die Jahre weiterhin personalverantwortlich sein.

Bevor die BaFin die Gelder am 10. September einfror, wurden die AvP-Konten noch um einen dreistelligen Millionenbetrag erleichtert. Nach Informationen des vorläufigen Insolvenzverwalters Hoos handelte es sich Abschlagszahlungen in Höhe von 125 Millionen Euro, die manuell von AvP an die Apotheken überwiesen wurden. Wer genau diese Transaktionen veranlasst hat, dazu gibt es bisher kein offizielles Statement. Dem Vernehmen nach muss es der AvP-Chef selbst gewesen sein, der noch in der Unternehmenszentrale agierte wie der Kapitän auf einem sinkenden Schiff.

Und wie steht es um die Systemrelevanz?

Weiterhin gibt die BaFin in ihren Antworten auf die Anfrage von DAZ.online an, dass die Bilanz- und Kontoauffälligkeiten bei AvP dazu geführt hatten, dass das Unternehmen selber Maßnahmen ergriff, „die aus Sicht der BaFin zunächst geeignet und ausreichend erschienen“. Weitere Schritte wie Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur weiteren Gefahrenerforschung wurden vonseiten der BaFin nicht eingeleitet. Darüber hinaus wollte DAZ.online erfahren, ob man bei der BaFin nicht die Systemrelevanz eines Rechenzentrums, über das die Gelder aus der Solidargemeinschaft laufen, und der daran angeschlossenen Tausenden Apotheken erkannt hätte und daraufhin engmaschiger und genauer kontrolliert, als sich nur auf die Testate eines Wirtschaftsprüfers zu verlassen. Die Antwort: „Die Beurteilung einer Systemrelevanz von Finanzdienstleistungsinstituten für Teilmärkte der ‚Realwirtschaft‘, etwa für Apotheken, ist, so bedeutsam diese für diesen Teil der Realwirtschaft auch sein mag, nicht Gegenstand der durch die BaFin ausgeübten Finanzdienstleistungsaufsicht.“ Maßgeblich sei dagegen die Systemrelevanz für den Finanzsektor. Das Finanzdienstleistungsinstitut AvP Deutschland GmbH besitzt nach Ansicht der BaFin keine Systemrelevanz für den deutschen oder gar internationalen Finanzsektor.

Eine bemerkenswerte Aussage, die das Selbstverständnis dieser Behörde unterstreicht. Bei dem von SPD-Minister Scholz angekündigten Gesetzesvorhaben wird es vorrangig darum gehen, die Rechte der Anleger zu schützen. Unbeachtet bleibt dabei, welche Systemrelevanz die von der Insolvenz betroffenen Kunden haben - im AvP-Fall die Tausenden Apotheke. Ein Umstand, der im Sonderausschuss der Gesundheitspolitiker des Bundestags am kommenden Mittwoch sehr wahrscheinlich zu Sprache kommen wird. Denn perspektivisch muss es gesetzgeberische Maßnahmen geben, die die Gelder der Krankenkassen besser vor Insolvenzen von Rechenzentren schützen und das Ausfallrisiko von den Leistungserbringern im Gesundheitswesen größtenteils abwenden.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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6 Kommentare

Schön

von Karl Friedrich Müller am 24.10.2020 um 17:19 Uhr

Dass nun immer mehr Kollegen merken, dass die Regierung in Berlin alles andere als seriös ist. - schon lange. Auch Spahn gehört zu den Übeltätern, sollte man nicht vergessen. Und es reicht ihm noch nicht, versucht er doch die Pandemie zu weiterem Machtzuwachs auszunutzen. Da braucht es vielleicht am Ende gar keinen Kanzlerkandidaten mehr, weil wir einen Diktator haben.
Jedes (gut klingende) Gesetzesvorhaben wird verwässert, ins Gegenteil verkehrt. Spahn, ein Meister, kurz vor Verabschiedung Passagen zu ändern oder zu streichen.
Auch in anderen Bereichen, wie Wohnen, Bauen, Finanzen usw wird so verfahren. Der Bürger ist der Willfährigkeit der Politik gegenüber der Lobbyisten schutzlos ausgeliefert.
In wichtigen Bereichen passiert schlicht nichts: Pandemie! Die Kinder frieren sich den Hintern ab, ein heilloses Durcheinander. Aber der Egoismus und die Selbstdarsteller der Landesregierungen siegen zum Schaden des Volkes.
Viele merken es noch nicht mal
Wi-der-lich

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Bafin, Finanzminister & AvP-Insolvenz

von Carmen Trepte am 23.10.2020 um 22:19 Uhr

Es gibt jetzt eine wirklich interessante Frage in unserer Demokratie: krimineller Vorsatz oder Schlamperei mit Vertuschung oder beides in Kombination mit Korruption gewürzt? Ist die AvP-Insolvenz ein Modell für eine moderne, elegante Methode der Enteignung, diesmal ohne Gaskammer und KZ? Stück für Stück geht in deutschen Apotheken das Licht aus, wenn man die Rechnungszentren zeitlich nacheinander in Insolvenz "gehen" läßt. Das dies möglich ist, hat ein fleißig recherchierender Rechtsanwalt herausgefunden, nachdem er die AGB und Dienstleistungsverträge aller verbleibenden Rechenzentren mit Apotheken systematisch überprüft hat (Quelle: Apotheke adhoc). Es ist Zeit für alle Apotheker, politisch gezielt zu handeln, denn sonst werden auch vom AvP-Schlamassel nicht betroffene Apotheken recht bald betroffene (enteignete) Apotheken sein...Auch Nichthandeln kann eine Sünde oder gar eine Straftat sein.
Eine korrekte Aufklärung dieser Frage ist im Zuge eines brillianten Investigativ-Journalismus möglich. Wir müssen aber diese investigativ tätigen Journalisten ermutigen und ihnen Schutz und auch unsere Solidarität erweisen, da jetzt per Gesetz der BND private Daten aller Bürger auf Handys, E-Mail-Accounts bei jedem Bürger auspionieren darf (Quelle: Sendung Monitor vom 23.10.2020)

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Bafin

von Conny am 23.10.2020 um 19:59 Uhr

Entweder die Mitarbeiter sind unfähig oder Vollidioten.. Sollte die daz andere Meinung sein, bitte löschen.


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Getreu dem BaFin-Motto: Wo nichts mehr ist, war nie etwas ... suchen dürfen die anderen ...

von Christian Timme am 23.10.2020 um 19:51 Uhr

Es ist festzustellen, das die BaFin grundsätzlich zeitlich nach hinten versetzt arbeitet, sollte sich der Abstand zum verfolgten Objekt oder Tatbestand unbeabsichtigt verringern, wird das durch mehr Abstand in der Folgezeit wieder ausgeglichen. So erreicht man eine mehr als unterdurchschnittliche Betriebsamkeit, die gerade im kommenden Frühjahr einer weiteren natürlichen Entlastung, dank Corona, entgegen sieht.

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Verantwortlichkeiten

von Dr.Diefenbach am 23.10.2020 um 18:02 Uhr

Wie dargelegt:Jemand hat hier die Verantwortung zu tragen, als Einzelperson!!!Und wenn sich ableiten lässt dass hier das Finanzministerium offenbar Etliches "übersehen "hat, dann ist irgendwann der obere Dienstherr dran:Sollte das der Kanzlerkandidat der SPD sein, dann hat die Opposition aber gewaltige Munition..Was ist das überhaupt für ein Schlampladen in Berlin?Finanzen,die Schluderei der Frau vdL im Verteidigungsbereich,die gerade erlebte Schnuddelei mit der missratenen Gewehrbestellung, die Maut-Sache,die Sachlagen im Verfassungsschutz,grosszügig bewertete Doktorarbeiten(FU?) uvm.Warum behandelt man DANN die ApothekerInnen so miserabel??? Hat man in Berlin keine Verantwortung mehr für viele KollegInnen,die relevant arbeiten?? Oder ist das Alles uninteressant geworden?UND:Wohin ist eigentlich die Stilrichtung BRD gekommen??

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von Anita Peter am 23.10.2020 um 17:52 Uhr

Wir sind nicht systemrelevant. Sonst würde der Staat nicht 3000 Apotheken absauen lassen.

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