Hamburger Apothekerverein

Graue warnt vor Ruf nach dem Staat wegen AvP

Hamburg - 05.11.2020, 10:45 Uhr

Laut Dr. Jörn Graue, dem Vorsitzenden des Hamburger Apothekervereins, habe die Vergangenheit gezeigt, dass die Kontrolle durch Standesgremien fast ausnahmslos wirksam sei und die Apotheken hinlänglich vor Schaden bewahre. Mit jeder Stützung steige der staatliche Einfluss, und der Staat gewinne an Macht auf Kosten der Eigenverantwortung, mahnt er.  (Foto: daz.online)

Laut Dr. Jörn Graue, dem Vorsitzenden des Hamburger Apothekervereins, habe die Vergangenheit gezeigt, dass die Kontrolle durch Standesgremien fast ausnahmslos wirksam sei und die Apotheken hinlänglich vor Schaden bewahre. Mit jeder Stützung steige der staatliche Einfluss, und der Staat gewinne an Macht auf Kosten der Eigenverantwortung, mahnt er.  (Foto: daz.online)


Dr. Jörn Graue, der Vorsitzende des Hamburger Apothekervereins, warnt angesichts der AvP-Insolvenz vor dem Ruf nach dem Staat. Gesetzlich vorgeschriebene zeitnahe Kontrollen der Verwaltungskonten und der offenen Treuhandkonten seien das probateste Mittel, um die Rezeptabrechnung sicher zu gestalten. Bei der Mitgliederversammlung des Vereins äußerte er zudem Zweifel, ob das VOASG der große Wurf sei, mit dem ein EU-Vertragsverletzungsverfahren vermieden werde. 

Bei der Online-Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am gestrigen Mittwochabend berichtete der Vereinsvorsitzende Dr. Jörn Graue über mühsame und letztlich erfolgreiche Gespräche mit den Krankenkassen, um dort die Folgen der AvP-Insolvenz für die Apotheken deutlich zu machen. Daraufhin hätten auch die Krankenkassen schnell reagiert, um die Zahlungen für die betroffenen Apotheken neu zu organisieren und so die Insolvenz von Apotheken abzuwenden. Doch nun werde der Ruf nach dem Staat immer lauter. Das sei ebenso verständlich wie gefährlich. Denn „wenn der Staat gerufen wird, kommt er in der Regel, um zu bleiben“, erklärte Graue. Mit jeder Stützung steige der staatliche Einfluss, und der Staat gewinne an Macht auf Kosten der Eigenverantwortung.

Graue: Kontrolle durch Standesgremien wirksam

Die Historie zeige, dass die Kontrolle durch Standesgremien fast ausnahmslos wirksam sei und die Apotheken hinlänglich vor Schäden bewahre. Doch nachdem „ein unendlicher Wettbewerb vom Zaun gebrochen wurde, dem sich kaum ein Rechenzentrum entziehen kann, wird die Kostendeckung infrage gestellt“, erklärte Graue. Die Rechenzentren müssten sich weiterer artfremder Einnahmequellen versichern, um nicht in Schieflage zu geraten. Die Apotheken würden vermeintlich günstigere Abrechnungsmöglichkeiten suchen und finden, die zulasten der Sicherheit gingen. Der Insolvenzverwalter von AvP habe auf zu niedrige Gebühren als Gründe für das Problem hingewiesen, hinzu kämen Factoring und Abtretung.

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Zu den möglichen Konsequenzen erklärte Graue, es reiche sicherlich nicht aus, die Nutzung von Rechenzentren vorzuschreiben. Daraus ergebe sich keine staatliche Verpflichtung, einen Schaden zu ersetzen, schon gar nicht bei kriminellen Handlungen. Dass auch die BaFin Fehlverhalten nur begrenzt im Vorhinein sehen könne, würden die Vorgänge um Wirecard und AvP zeigen. Ein Abtretungs- und Fakturierungsverbot wie für soziale Sachleistungen lasse sich nur schwierig im § 300 Abs. 2 SGB V unterbringen, aber unmöglich sei es nicht. Doch das schütze nur bedingt vor krimineller Energie, könnte die Rechenzentren aber zu sehr einengen. Ein probateres Mittel seien gesetzlich vorgeschriebene zeitnahe Kontrollen der Verwaltungskonten und der offenen Treuhandkonten.

VOASG wohl kein großer Wurf

Ein weiteres zentrales Thema in Graues Bericht war das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG). Offenbar mit Blick auf die Aktivität des CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger erklärte Graue, auch gut gemeinte und angenommene Änderungsanträge würden ausländische Versender nicht binden, solange die Exekutive handlungsunfähig bleibe und der Judikative der Zugang verwehrt werde. Außerdem sieht Graue erhebliche Zweifel, ob es sich beim VOASG wirklich um einen großen Wurf handelt, mit dem ein EU-Vertragsverletzungsverfahren vermieden werde. „Die Belobigung durch den EU-Kommissar für die Einführung des E-Rezepts mit dessen Lücken lässt da ja tief blicken“, erklärte Graue.

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Die zu spät erhobene Forderung, die Streichung von § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zu unterlassen, sei untergegangen. Zur Bedeutung dieser Regelung verwies Graue auf die „glänzende Argumentation“ der Juristen Elmar Mand und Hilko Meyer in ihrer Analyse „Arzneimittelpreisrecht auf dem Prüfstand“ in der Zeitschrift „Arzneimittel & Recht“. Doch solange die Regierung das Arzneimittelpreisrecht nicht als integralen Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens einstufe, würden die Gerichte immer wieder zu dem Schluss kommen, dass höherrangiges Recht dem nationalen Interesse vorgehe.

Graue ergänzte, die „Gegenseite“ argumentiere, die Preisbindung diene nur dem Schutz der Patienten vor zu hohen Preisen und müsse nun zum Schutz des Monopols der Apotheken herhalten. Doch diese absurde Argumentation stehe im absoluten Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit und zum Anspruch auf flächendeckende Versorgung. Allerdings sehe nun auch die SPD-Fraktion, dass die sozialrechtliche Preisbindung im VOASG „nicht der Weisheit letzter Schluss sein könne“ und bitte darum, das Boni-Verbot auf Privatversicherungen auszudehnen. Doch diese Erkenntnis kommt spät – Graue sagte dazu: „Erst in der Dämmerung breitet die Eule der Minerva ihre Flügel aus.“

Kleine Hoffnung auf Nachbesserung

Außerdem erkenne auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags die mangelnde Vergleichbarkeit niederländischer Grenzapotheken und deutscher Vor-Ort-Apotheken, sehe aber keinen Anlass Erstere von der Länderliste zu streichen. Doch ganz hat Graue die Hoffnung weitere gesetzgeberische Maßnahmen offenbar nicht aufgegeben. Denn er erklärte, es bleibe abzuwarten, ob im Omnibusverfahren einige Verbesserungen zu erreichen seien. Damit deutete er mögliche Ergänzungen in künftigen Gesetzgebungsverfahren an, da der Bundestag das VOASG bereits Ende Oktober verabschiedet hat.

Makelverbot auch für E-Rezept-Token nötig

Als weiteres Problem sprach Graue die auch von Mand und Meyer erwähnte Lücke im Makel- und Zuweisungsverbot für E-Rezepte an. Das Verbot müsse nicht nur für das Rezept, sondern auch für den Zugriffscode gelten. Graue schloss seinen Bericht mit dem Hinweis, es sei ein schlimmes Jahr gewesen, aber es könne noch schlimmer werden. In Kürze finden Sie hier einen weiteren Bericht über die Diskussion zu aktuellen Aspekten des Apothekenalltags in der Mitgliederversammlung.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

m.E. irrt Herr G. hier gewaltig

von Alfons Neumann am 06.11.2020 um 0:46 Uhr

Wir sind durch Gesetze, Verordnungen, KraKa-Bürokratie eh staatlich vorbestimmt - also warum sollen wir nicht unseren Teil einfordern ! Wo bleiben die gesetzliche Fürsorgepflciht sowie das Willkürverbot? Der Staat ist ggü. Apos in der Pflicht, zumal wenn die eigene Aufsicht gepennt hat (Wc 2.0 ?) und diese nunmehr in Geiselhaft genommen werden sollen...
"Die Historie zeige, dass die Kontrolle durch Standesgremien fast ausnahmslos wirksam sei und die Apotheken hinlänglich vor Schäden bewahre". Ha, ich schmeiß mich weg - brachte uns eine 16-Jahre-defacto-Nullrunde bei der Bezahlung, ABDA und Kammern verfolgen nicht die Interessen ihrer (zahlenden Zwangs-)Mitglieder, und das nicht zu Ende gedachte VOASG führt wohl eher den Wilden Westen bei EU-eRezept-Verordner-Versendern ein...

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Warnung

von Roland Mückschel am 05.11.2020 um 15:41 Uhr

Einer von altem Schrott und Korn!

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Blamabel

von Unfassbar am 05.11.2020 um 12:47 Uhr

Im Artikel steht leider nicht, dass Herr Graue auch Vorstandsvorsitzender der NARZ ist. Scheint mir sehr, dass Herr Graue große Schadensfreude gegenüber den AVP-Betroffenen empfindet.

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AW: Narz

von Birgit Möllenkamp am 06.11.2020 um 21:03 Uhr

Der gute Herr Dr. Graue sollte sich auch wegen seiner Funktion bein NARZ nicht zu weit aus dem Fenster lehnen!
Ich habe als Kundin dieses Rechenzentrums dieses Jahr schon zweimal meine Restzahlung zu spät erhalten und von der AOK Nds über 30000.00 Euro Regressandrohung kassiert, da man nicht in der Lage war, Hilfsmittelrezepte korrekt abzurechnen. Da würde ich mich mal an seiner Stelle mit flotten Sprüchen und versteckter Häme zurückhalten.

Verbände

von Nikolaus Guttenberger am 05.11.2020 um 11:33 Uhr

Die Äusserungen von Herrn Graue zeigen (wieder einmal) dass die Verbände unser schlimmster Feind sind. Mehr gegen die Interessen der eigenen Mitglieder kann man kaum noch öffentlich agieren.

Im Übrigen ist die Unterstellung, die hier impliziert wird, dass die Avp Kunden quasi „selber schuld“ seien, weil sie ein „zu günstiges“ Abrechnungszentrum gewählt hätten, eine Unverschämtheit. Ich bin damals nicht wegen der Konditionen zu Avp gewechselt, sondern weil man dort in der Lage gewesen ist, die Importquote richtig zu berechnen.

Von den drei Abrechnungszentren, bei denen ich in meinem Leben Kunde war, ist übrigens das jetzige das Preisgünstigste (und nicht etwa Avp vorher). Soviel dazu.

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