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Ob sinnvoll oder nicht: Oft wünschen sich Patienten in der Apotheke ein pflanzliches Arzneimittel. Allerdings stehen nicht in jeder Indikation pflanzliche OTC-Alternativen zur Verfügung. Wünscht sich beispielsweise ein Patient ein pflanzliches Schmerzmittel, gibt es kaum Auswahl. Welche pflanzlichen Inhaltsstoffe wirken überhaupt schmerzhemmend – und wie?
In der Apotheke wird einem wohl kaum jemand aktiv zu Weidenrindentee statt Aspirin raten. Doch manche Patienten halten den Tee für die „natürlichere“ und damit verträglichere Alternative – im Vergleich zu einem chemischen Schmerzmittel. Im Fall der Weidenrinde sollte zunächst daran erinnert werden, dass das darin enthaltene Salicin im Körper in Salicysäure umgewandelt wird – und die chemische Weiterentwicklung zur Acetylsalicylsäure in Aspirin enthalten ist. Wie auf www.medizin-transparent.at von Cochrane Österreich nachzulesen, steht die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) der bedenkenlosen Einnahme von Weiderindenprodukten außerdem kritisch gegenüber. Bis zum Vorliegen gut durchgeführter Studien wird zu einem vorsichtigen Umgang mit dem pflanzlichen Mittel geraten. Denn Personen, die allergisch auf Salicylate und andere Antirheumatika reagieren, sollten auch Weidenrinde nicht einnehmen. Insgesamt meint „Medizin transparent“, dass auf Basis der bisher durchgeführten Studien nicht beurteilt werden könne, ob Weidenrindentee gängige Schmerzmittel ersetzen kann: „Es fehlen gut durchgeführte Untersuchungen, welche die Wirkstoffe der Weidenrinde mit Acetylsalicylsäure oder anderen Schmerzmitteln vergleichen.“ Völlig unklar sei außerdem, über welche Zeitspanne und in welcher Dosis Weidenrindentee eingenommen werden soll.
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Vergangenes Jahr im September berichtete DAZ.online darüber, dass sich Ökotest in seiner Septemberausgabe pflanzliche Schmerzmittel gegen Gelenkschmerzen vorgenommen hatte. Teufelskrallenpräparate wurden dabei im Gegensatz zum letzten Test aus dem Jahr 2011 durchweg nur mit „ausreichend“ bewertet, weil der Wirksamkeitsbeleg als „wenig überzeugend“ angesehen wird – Ökotest berief sich auf eine Neubewertung durch die EMA. Bereits 2011 war aber auch schon moniert worden, dass Studien, die belegen können, dass die Produkte Schmerzen lindern oder Entzündungen hemmen können, nur spärlich vorliegen.
Teufelskralle wäre also auch nicht die erste pflanzliche aktive Empfehlung gegen Schmerzen aus der Apotheke.
Nach Neubewertung
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Ein Fertigarzneimittel das „pflanzlich“ und „Schmerz“ auch für Kunden verständlich bereits in seinem Markennamen trägt ist Phytodolor® Tinktur. Aktuell wirbt Bayer mit einer Rabattaktion für sein Präparat gegen Rheumaschmerzen in der kalten Jahreszeit. Auch 2019 fand sich die Tinktur als einziges Arzneimittel ohne Teufelskralle im Ökotest wieder.
Das Kombinationspräparat aus drei verschiedenen Pflanzen sei „aufgrund der vorliegenden produktspezifischen Studien empfehlenswert“, hieß es. Allerdings seien weitere kontrollierte Studien mit modernem Studiendesign und ausreichenden Patientenzahlen erforderlich, um das Produkt wirklich uneingeschränkt empfehlen zu können. DAZ.online hat nun nochmal einen Blick in die Fachinformation des OTC-Arzneimittels geworfen. Was in der Tinktur wirkt überhaupt analgetisch?
Eschenrinde, Zitterpappelrinde/-blätter und Goldrutenkraut gegen Schmerzen?
In Phytodolor sind alkoholische Auszüge enthalten aus:
- frischer Eschenrinde (1:1,5 – 2,5) 0,2 ml
- frischer Zitterpappelrinde und -blättern (1:1,5 – 2,5) 0,6 ml
- echtem, frischen Goldrutenkraut (1:1,5 – 2,5) 0,2 ml
(Sonstiger Bestandteil mit bekannter Wirkung: Das Arzneimittel enthält 45,6 Vol.-% Alkohol.)
Die dunkelbraune Flüssigkeit ist indiziert „bei Erwachsenen zur Behandlung schmerzhafter Beschwerden bei degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen“. Bei starken Schmerzen können dreimal bis zu 40 Tropfen in etwas Flüssigkeit eingenommen werden. Allerdings, wer auf der Suche nach einem magenverträglichen Aspirin-Ersatz ist, sollte wissen: Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen Magen-Darm-Beschwerden, wie Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Phytodolor® Tinktur darf außerdem nicht eingenommen werden bei
- Überempfindlichkeit gegen Salicylate, Goldrutenkraut, Esche oder Zitterpappel;
- akuten Magen- und Darmgeschwüren sowie
- Erkrankungen, die eine reduzierte Flüssigkeitsaufnahme erforderlich machen,
z. B. schwere kardiale oder renale Erkrankungen.
Offenbar ist auch Salicin enthalten, denn in der Fachinformation heißt es: Pharmakokinetische Untersuchungen zu einzelnen wirksamkeitsrelevanten Inhaltsstoffen, wie Phenolglycosiden, Salicin und Leiocarposid sowie von Flavonoiden sollen zeigen, dass diese zumindest teilweise im Gastrointestinaltrakt resorbiert werden.
Tiermodelle sollen Wirksamkeit erklären
Die Wirksamkeit wird in der Fachinformation (Stand April 2019) vor allem anhand von Tiermodellen erklärt. So sollen alle drei in Phytodolor® Tinktur enthaltenen Extrakte antiexsudativ und antiphlogistisch wirken. „Im Phenylchinon-Writhing-Test wirkt Phytodolor Tinktur analgetisch“, heißt es. „Writhing“ steht für „sich windend/krümmend“ und bezieht sich auf die Induktion von Schmerzen bei Mäusen, durch Injektion von Reizstoffen wie Phenylchinon. Je weniger sich die Maus windet, desto besser soll die analgetische Wirkung sein. (Ein Tierversuch, der ethisch in der Kritik steht.)
Im Bierhefe-Entzündungstest sei zudem gezeigt worden, dass Zitterpappel- und Goldruten-Extrakt sowie Phytodolor® Tinktur antiinflammatorisch wirken, wobei Phytodolor® Tinktur eine stärkere Wirkung entfalte als die Einzelkomponenten – die antiinflammatorische Wirkung von Phytodolor® Tinktur sei in diesem Modell mit der von Indometacin vergleichbar.
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Es scheint so, als würde Phytodolor® primär antiinflammatorisch wirken. So sollen in Ex-vivo-Untersuchungen sowohl die Phytodolor® Tinktur als auch die Einzelkomponenten die Lipoxygenase-Aktivität, die Prostaglandin-Synthese und die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (Histamin, Leukotriene, Prostaglandine) hemmen. Dabei ist laut Fachinformation „eine Hemmung der Transkription und Expression der für die Synthese von Entzündungsmediatoren mitverantwortlichen Cyclooxygenase-2 (COX-2) und des Entzündungsmediators TNF-alpha beteiligt“.
Die pharmakologischen Aktivitäten sollen sich in der Summe schließlich in ihrer Wirkung ergänzen und die therapeutische Wirkung „im beanspruchten Indikationsgebiet“ erklären. Leider verrät im Internet auch ein kurzer Blick in die europäischen HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products)- und ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy)-Monografien nicht viel mehr Details zu den einzelnen Substanzen.
Blick in die europäischen HMPC- und ESCOP-Monografien
Die Eschenrinde (Fraxini cortex) hat heute praktisch keine therapeutische Bedeutung mehr. In der traditionellen Anwendung üblicher scheinen noch die Blätter zu sein, für sie gibt es immerhin eine HMPC-Monografie. Die Indikationen darin lauten:
- Traditionelles pflanzliches Arzneimittel, zur Linderung von leichten Gelenkschmerzen.
- Traditionelles pflanzliches Arzneimittel, um die Harnmenge zu erhöhen, zur Durchspülung bei leichteren Beschwerden der Harnwege.
Diese Indikationen basieren ausschließlich auf der langjährigen Anwendung.
Weder bei HMPC noch ESCOP finden sich Einträge zu Zitterpappelrinde und
-blättern (Populus tremula). Offenbar bestand 2008 aber mal die Absicht, eine Monografie für die Bestandteile von Phytodolor® zu erstellen (Overview of comments received on 'community herbal monograph on solidago virgaurea l., herba' (EMEA/HMPC/285758/2007)). Ein Artikel aus der „Erfahrungsheilkunde“ von 2006 verrät, dass die Familie der Weidengewächse (Salicaceae) nicht nur die Gattung Salix (Weiden), sondern auch Populus (Pappeln) umfasst. Zur Wirkung heißt es dort: „Das in Weiden und Pappeln vorkommende Salicin zerfällt im Darmtrakt in Saligenin und D-Glucose. Resorbiert wird das Saligenin, das sich durch Oxidation zur therapeutisch wirksamen Salicylsäure wandelt.“ Blätter, Rinden und Knospen von Pappeln sollen eine antiphlogistische, analgetische, antibakterielle und spasmolytische Wirkung entfalten, allerdings: Sie sollen auch schon keine positive Monografie der Kommission E erhalten haben.
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Zum „echten, frischen Goldrutenkraut“ findet man im Internet eine frei zugängliche ESCOP-Monografie von 2018 (Solidaginis virgaureae herba). Als pharmakodynamische Eigenschaften der europäischen Goldrute werden dort harntreibende, entzündungshemmende, antimikrobielle, krampflösende und schmerzstillende Eigenschaften benannt. Allerdings kommt dort vor allem die Indikation der Blasenentzündung zum Ausdruck, die Apotheker:innen durch die zahlreichen entsprechenden Präparate in der Apotheke gut bekannt sein dürfte.
Es gibt auch eine HMPC-Monografie von 2008 zu Solidaginis virgaureae herba. Auch dort wurde aber nur der „traditional use“ – ausschließlich auf langjähriger Anwendung beruhend – anerkannt, zur Erhöhung der Urinmenge zur Behandlung leichterer Beschwerden des Harntrakts.
Was ist nun aber mit den schmerzhaften Beschwerden bei degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, bei denen Phytodolor® angewendet werden soll? In einem Cochrane-Review „Herbal therapy for treating rheumatoid arthritis“ von 2011 heißt es zu Phytodolor®: „Es gibt mäßige Evidenz dafür, dass Öle, die GLA (Gamma-Linolensäure) enthalten (Nachtkerzen-, Borretsch- oder Johannisbeersamenöl), einen gewissen Nutzen bei der Linderung der Symptome von Rheumatoider Arthritis bieten, während die Beweise für Phytodolor® N weniger überzeugend sind.“ Der Cohrane-Review hat auch Eingang in die „Interdisziplinäre Leitlinie – Management der frühen rheumatoiden Arthritis“ gefunden. Dort heißt es:
Zur Anwendung von Phytotherapeutika bei RA liegen zwei ausführliche systematische Übersichtsarbeiten vor (333, 334). Da für die meisten pflanzlichen Arzneien/Wirkstoffe entweder nur einzelne oder zwei Studien vorlagen, wurde die Evidenzlage als kritisch bewertet.
Und weiter: „Auch die Studienqualität und/oder die Probandenzahl waren meist nicht ausreichend. Die Analysen ergaben jedoch eine mögliche Evidenz (moderate Qualität) für Gamma-Linolensäure-haltige Öle (Nachtkerzenöl, Johannisbeer-, Borretsch-Samenöl) zur Symptomlinderung. Unerwünschte Nebenwirkungen bei Einnahme solcher Öle waren im Vergleich zu Placebo nicht signifikant.“
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