Neues Grippearzneimittel Xofluza

Baloxavir soll auch in Europa zugelassen werden

Stuttgart - 23.11.2020, 16:00 Uhr

Baloxavir in Xofluza ist seit etwa 20 Jahren das erste innovative Arzneimittel in der Behandlung von Influenza. Xofluza soll auch zu Postexpositionsprophylaxe bei Grippe eingesetzt werden. (m / Foto: Ermolaev Alexandr / stock.adobe.com) 

Baloxavir in Xofluza ist seit etwa 20 Jahren das erste innovative Arzneimittel in der Behandlung von Influenza. Xofluza soll auch zu Postexpositionsprophylaxe bei Grippe eingesetzt werden. (m / Foto: Ermolaev Alexandr / stock.adobe.com) 


Entscheidet die Europäische Kommission schnell, könnte das neuartige Grippearzneimittel Baloxavir in Xofluza noch 2020 in Europa die Zulassung erhalten, die CHMP-Empfehlung der EMA liegt bereits vor. Xofluza setzt auf einen völlig neuen Angriffspunkt bei Influenza und soll zur akuten Behandlung von Grippe und zur Postexpositionsprophylaxe eingesetzt werden, da Baloxavir auch die Ansteckungsrate reduziert. Weiterer Vorteil: Eine Einmalgabe genügt, Adhärenzprobleme dürften außen vor sein.

Baloxavirmarboxil greift in einen sehr frühen Schritt der Vermehrung von Influenzaviren ein, dabei wirkt das Virostatikum sowohl gegen Influenza-A- als auch Influenza B-Viren. Xofluza® verhindert als CAP-Endonucleasehemmer, dass Influenzaviren ihre messenger RNA (mRNA) bilden können, die sie für ihre Proteinbiosynthese benötigen. Die Folge: Sowohl Strukturproteine, die beispielsweise für den Zusammenbau des Virus wichtig sind, als auch Nicht-Strukturproteine, die das Virus zum Beispiel benötigt, um in den Blutkreislauf ausgeschleust zu werden, fehlen. Baloxavirmarboxil ist ein Prodrug, das im menschlichen Körper in die eigentliche Wirkform Baloxavir umgewandelt wird.

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Den Humanarzneimittelausschuss (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA überzeugten das Wirkprinzip und die Wirksamkeit von Baloxavir: Er rät zur Zulassung von Xofluza® auch in der Europäischen Union. Eingesetzt werden darf das neuartige Grippe-Arzneimittel, so die Europäische Kommission die Zulassung erteilt, zur akuten Behandlung von Influenza und auch zur Post-Expositionsprophylaxe jeweils bei Kindern ab zwölf Jahren und Erwachsenen.

Verkürzt Grippedauer und reduziert Ansteckung

Der CHMP erklärt: „Die Vorteile von Xofluza® liegen in der Fähigkeit, die Dauer von grippebedingten Symptomen bei Gesunden und bei Personen mit hohem Risiko für grippebedingte Komplikationen zu verkürzen.“ Das bewirbt Hersteller Roche auch auf der Homepage Xofluza.com: „Wenn die Grippe unbehandelt bleibt, kann sie potenziell lebensbedrohlich sein. Mit verschreibungspflichtigem Xofluza® können Sie sich in etwas mehr als 2 Tagen besser fühlen“, und Roche fügt in den Fußnoten an, dass sich im Durchschnitt Patienten mit Baloxavir nach 2,3 Tagen besser fühlten, mit Placebo nach 3,3 Tagen. Das ist das Ergebnis der Phase-III-Studie Capstone-1, in der Baloxavir an Patienten ohne Begleiterkrankungen gegen Oseltamivir (Tamiflu®) und Placebo untersucht wurde. Zulassungsrelevant war auch Capstone-2, eine weitere Phase-III-Studie, die Baloxavir an Patienten mit einem hohen Risiko für Influenzaerkrankungen, wie beispielsweise einem Alter ab 65 Jahren oder chronische Lungenerkrankungen, untersuchte. 

Die dritte zulassungsrelevante Studie nannte sich Blockstone, in ihr ging es um die Postexpositionsprophylaxe mit Xofluza® und die Frage, ob Baloxavir nach Kontakt mit Influenza-Infizierten eine Ansteckung verhindert. In der Tat konnte Baloxavir die Ansteckungsrate verringern. Auch die EMA erklärt: „Nach einer Postexpositionsprophylaxe mit Xofluza® entwickelten signifikant weniger Probanden eine symptomatische Influenza“. Zudem hätten die klinischen Studien keine größeren Nebenwirkungen festgestellt. Über Überempfindlichkeitsreaktionen sei in der Zeit nach dem Inverkehrbringen berichtet worden, darunter Anaphylaxie und weniger schwere Überempfindlichkeitsreaktionen wie Urtikaria und Angioödem.

Capstone-1, Capstone-2, Blockstone: die Studien

Capstone-1 untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit von Baloxavir an 1.436 Patienten ohne Begleiterkrankungen ab einem Alter von zwölf Jahren. Die Patienten wurden in drei Gruppen randomisiert: Gruppe eins erhielt Baloxavir, abhängig vom Körpergewicht in einer einmaligen Dosierung von 40 mg oder 80 mg. Patienten der Gruppe zwei nahmen zweimal täglich 75 mg Oseltamivir für fünf Tage und die letzte Gruppe erhielt Placebo. 

Capstone-1 erreichte ihren primären Endpunkt – die Zeitspanne bis zur Besserung der Symptome. Bis zum Abklingen der Symptome vergingen bei den mit Baloxavir behandelten Grippepatienten 53,7 Stunden, in der Oseltamivir-Gruppe 53,8 Stunden und in der Placebo-Gruppe 80,2 Stunden. Verglichen mit Placebo konnte Baloxavir somit die Dauer der Krankheitssymptome um einen Tag verkürzen. Allerdings machten die Forscher auch eine weitere Beobachtung: So entwickelten sich in der Capstone-1-Studie bei 9,7 Prozent der Baloxavir-Patienten Mutationen, die für ein geringeres Ansprechen auf Baloxavir sorgten. Die klinischen Auswirkungen dieser Escape-Mutanten sind bislang nicht bekannt. Veröffentlicht wurde die Capstone-1-Studie im „New England Journal of Medicine“ unter „Baloxavir Marboxil for Uncomplicated Influenza in Adults and Adolescents“.

In der Capstone-2-Studie (Phase III, multizentrisch, randomisiert, doppelblind) wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer Einzeldosis Xofluza® wie in Capstone-1 ebenfalls im Vergleich zu Placebo und Oseltamivir bei Personen im Alter von zwölf Jahren und älter geprüft. Diese hatten jedoch ein hohes Risiko für schwere Grippekomplikationen – ältere Menschen ab 65 Jahren, Menschen mit Asthma, chronischen Lungenerkrankungen, Adipositas oder Herzerkrankungen. 2.184 Teilnehmer erhielten entweder eine orale Dosis von 40 mg oder 80 mg Xofluza® (je nach Körpergewicht), Placebo oder Oseltamivir (75 mg zweimal täglich über fünf Tage). Das primäre Ziel der Studie war der Vergleich der Wirksamkeit von Baloxavir mit Placebo, dieses wurde erreicht: Unter Baloxavir besserten sich die Grippesymptome nach 73,2 Stunden, unter Placebo nach 102,3 Stunden und unter Oseltamivir nach 80 Stunden. Veröffentlicht wurde Capstone-2 unter „Early treatment with baloxavir marboxil in high-risk adolescent and adult outpatients with uncomplicated influenza (CAPSTONE-2): a randomised, placebo-controlled, phase 3 trial“ im Fachjournal „The Lancet Infectious Diseases“.

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Laut Blockstone, einer klinischen Phase-III-Studie (randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert) reduzierte Baloxavir die Ansteckungsgefahr mit Influenzaviren nach Grippekontakt. Getestet wurde die Wirksamkeit von Baloxavir als Post-Expositionsprophylaxe in der Grippesaison 2018/19 in Japan, und zwar an nicht-infizierten Kindern und Erwachsenen, die jedoch einem influenzainfizierten Haushaltsmitglied ausgesetzt (exponiert) waren. In der Studie wurde Baloxavir gegen Placebo getestet. 

Baloxavir nahmen die Probanden einmalig oral ein, dosiert wurde Baloxavir nach Körpergewicht. Laut Roche erreichte die Blockstone-Studie ihren primären Endpunkt, dem die Frage zugrunde lag: Bei wie vielen Personen konnte eine Influenzainfektion, Fieber und grippetypische Symptome mit oder ohne Baloxavir nachgewiesen werden? 1,9 Prozent der Baloxavir-Behandelten hatten einen positiven Influenzatest (innerhalb von zehn Tagen), in der Placebogruppe waren es 13,6 Prozent. Gemessen wurde mit einem Influenza-Schnelltest. 

Laut den Studiendaten war Baloxavir ähnlich gut verträglich wie Placebo, die Häufigkeit der unerwünschten Ereignisse lag bei Baloxavir bei 22,2 Prozent, bei Placebo bei 20,5 Prozent. Die Studie wurde im New England Journal of Medicine veröffentlicht. „Baloxavir Marboxil for Prophylaxis against Influenza in Household Contacts“.

Einmalgabe genügt

Als Erstes erhielt Shionogi im Februar 2018 die Zulassung für Xofluza® in Japan, noch im selben Jahr folgten die Vereinigten Staaten mit einer Zulassung im Oktober. Zunächst umfasste die Zulassung in den USA die Therapie von Influenza bei Kindern ab zwölf Jahren und Erwachsenen, seit Oktober 2019 ist Xofluza® zusätzlich bei Risikopatienten ab 65 Jahren oder mit Grunderkrankungen wie Asthma, chronischen Lungenerkrankungen, Herzerkrankungen mit einem hohen Risiko für grippebedingte Komplikationen indiziert. Baloxavir war das erste und ist bislang das einzige Arzneimittel, das speziell und explizit auch bei Patienten mit hohem Risiko für grippebedingte Komplikationen zum Einsatz kommen darf. Voraussetzung für die Anwendung von Baloxavir ist grundsätzlich, dass die Symptome noch nicht länger als 48 Stunden angedauert haben. 

Entwickelt wurde Baloxavir von Shionogi und wurde in Zusammenarbeit mit Roche weiterentwickelt und vermarktet. Roche besitzt die weltweiten Vermarktungsrechte, Japan und Taiwan ausgenommen, dort vermarktet Shionogi. Xofluza® wird in zwei Tablettenstärken verfügbar sein: 20 mg und 40 mg. Die Dosierung erfolgt anhand des Körpergewichts, in den USA gilt: Patienten zwischen 40 und 80 Kilogramm nehmen 40 mg Baloxavir. Bei mehr als 80 Kilogramm Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 80 mg. Neben dem völlig neuen Angriffspunkt gilt als weiterer wichtiger Vorteil von Xofluza®, dass die Gesamtdosis des Virostatikums auf einmal eingenommen wird – vergessene Tabletten und Adhärenzprobleme dürften dadurch entfallen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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