- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Mein liebes Tagebuch
24. November 2020
Ja, jetzt erst recht, jetzt legt unser Lieblings-Arzneiversandhaus DocMorris noch eins drauf: Doppelter Bonus beim Einreichen eines Rezepts. Der Vorteil für die Patienten: „Bis 31.1. gilt: 1 x Medikament bestellen – 2 x Bonus erhalten. Pro rezeptpflichtiger Packung erhalten Sie dann mindestens 5 und bis zu 10 Euro Bonus.“ Mein liebes Tagebuch, das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) wird noch in diesem Jahr in Kraft treten und damit auch das Rx-Boni-Verbot. Das niederländische Versandhaus scheint das nicht zu tangieren, DocMorris denkt sichtlich gar nicht daran, das neue Verbot zu beachten, DocMorris macht weiter wie bisher – und legt noch eins drauf. Dann können wir kleinen Apothekers mal gucken, was passiert, was unsere lieben Gesundheitspolitiker:innen, unsere Standespolitiker:innen und die Krankenkassenvertreter:innen dazu sagen werden. Aufschrei? Klagen? Oder nur ein Achselzucken? Werden die Krankenkassen die Rezepte der Niederländer dann zurückweisen und nicht erstatten? Wer glaubt noch an den Weihnachtsmann? Mein liebes Tagebuch, es wird nicht lange dauern, dann landet das VOASG vor Gericht, letztlich auch vor dem EuGH. Lange Freude werden wir nicht am VOASG haben.
Hach, ist das nicht wunderschön: „Ihr Rezept liegt uns am Herzen“, flötet das Versandhaus DocMorris und wirbt damit für seinen persönlichen (Video-)Live-Chat. Ja klar, so offen und unverhohlen macht es kaum ein anderer Versender deutlich, was er eigentlich damit sagen will: Hey Patient, schick mir dein Rezept! Und das mit dem Herz wird ab sofort noch deutlicher kommuniziert: Seit dieser Woche hat sich das Versandhaus ein neues Markendesign gegeben. Der Versender will nicht mehr zu Kreuz kriechen. Statt des grünen Kreuzes hat er nun ein grünes verschlungenes Herz als Logo und eine neue Schrifttype fürs Logo. Begründet wird diese Metamorphose damit, dass DocMorris einen Wandel vollziehen will vom reinen Arzneimittelhändler zum digitalen Gesundheitsdienstleister. Die selbst zugeschriebene Rolle als Innovationstreiber und Nr. 1 im Arzneimittel-Versandhandel soll weiter ausgebaut werden. Der Versender sieht sich erst „am Anfang eines Paradigmenwechsels von Pharma zu Gesundheit“. Mein liebes Tagebuch, da kommt was auf uns zu. Übrigens, die unterschiedlichen Grüntöne des Logo-Herzens sollen „die vielfältigen bestehenden und zukünftigen Services widerspiegeln“, als da sind „Beratung, Arzneimitteltherapiesicherheit, Betreuung chronisch Kranker oder elektronische Rezepte und Medikationsplan“. Das sieht nach einem Angriff auf die Kernkompetenzen unserer Vor-Ort-Apotheken aus. Und während sich das Versandhaus in Stellung bringt, hütet die ABDA ihre ausbaldowerten pharmazeutischen Dienstleistungen immer noch als Staatsgeheimnis. Oh Gott, wo soll das hinführen!
Während die ABDA abwiegelte und extrem gelassen reagierte, war der Schock bei uns Apothekers und bei Gesundheitspolitikern groß: Die DocMorris-Schwester eHealthTec darf unter der Führung von IBM am Fachdienst E-Rezept mitbasteln. Starkes Stück, oder? Ausgerechnet ein Zur Rose-Unternehmen ist an unserem Herzstück des E-Rezeptdienstes mitbeteiligt. Alles safe, beschwichtigt Gematik-Chef Dr. Markus Dieken im DAZ.online-Gespräch. Man sei sich bewusst gewesen, das allein der Name für Irritationen sorge. Aber bei allen Emotionen: eHealth-Tec habe eh nur eine sehr kleine Rolle bei der Entwicklung des Fachdienstes und sei später am Betrieb gar nicht mehr beteiligt. Nur ein paar Programmierer arbeiteten in IBM-Teams mit, „wir haben die volle Kontrolle“. Ach so, mein liebes Tagebuch, wenn’s weiter nichts ist, dann lehnen wir uns vollkommen beruhigt zurück, trinken ein Tässchen Tee und freuen uns auf den sicheren E-Rezept-Fachdienst, gell? Mal ehrlich, mein liebes Tagebuch, welch großes Vertrauen wird uns da abverlangt! Die Gematik möchte außerdem nur eine Punkt-zu-Punkt-Verschlüsselung des E-Rezepts, keine Ende-zu Ende-Verschlüsselung, denn diese würde neuen Techniken nur im Wege stehen und die Interoperabilität behindern – wenn du weißt, was ich meine, mein liebes Tagebuch. Im Klartext: Nur ohne diese supersichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind viele weitere Services für die Bürger:innen möglich, z. B. eine europaweite Einlösung von deutschen E-Rezepten. Ja genau, aber vielleicht ist es gerade das, was wir nicht wollen!
eHealth-Tec ist lieb und die Gematik hat alles unter Kontrolle – das beschwichtigende Lullaby des Gematik-Chefs kommt nicht so richtig an in der kritischen Szene. Die Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche bleibt skeptisch. Sie sorgt sich ernsthaft um die Präsenzapotheken und wollte vom Bundesgesundheitsministerium wissen, ob man Nachteile für die Präsenzapotheken ausschließen kann. Dank an Schulz-Asche für ihren Einsatz! Denn die Sorgen sind berechtigt, mein liebes Tagebuch. Schulz-Asche erhielt eine Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesgesundheitsminister, Sabine Weiss, die im Prinzip das wiedergab, was der Gematik-Chef auch im DAZonline-Interview erklärt hatte. Nun ja, mein liebes Tagebuch, was allerdings nach wie vor offen bleibt: Wie will die Gematik Interessenskonflikte erkennen und ihnen begegnen, wenn eHealth-Tec kein unmittelbarer Partner des Gremiums ist, sondern unter Verantwortung von IBM arbeitet? So ganz beruhigt sind wir noch nicht.
Wir trauern um Hartmut Derendorf, Professor und Kämpfer für die Klinische Pharmazie. Er ist am 23. November überraschend gestorben. Derendorf (Jahrgang 1953) ging nach seinem Pharmaziestudium in Münster nach Florida und arbeitete und wirkte dort am College of Pharmacy der University of Florida (UF). Eines seiner Fachgebiete war die Klinische Pharmazie. Sein Einsatz für dieses Fach zeigte auch hierzulande Wirkung. Über 500 Pharmazeuten im Praktikum verbrachten eine Hälfte ihres praktischen Jahres an der UF, wo sie sich für die Klinische Pharmazie begeistern ließen. Viele Pharmazeuten aus Deutschland absolvierten an der UF ein PharmD-Studium und lernten das pharmakotherapeutische Handwerk. 2018 wurde Derendorf emeritiert. Derendorf war auch Mitbegründer und Mitautor der DAZ-Serie für die Patientenorientierte Pharmazie (POP). Sein Wahlspruch war: „It’s the patient, stupid!“ Hartmut Derendorf hat enorm viel dazu beigetragen, die Klinische Pharmazie voranzubringen. Danke dafür! Wir werden ihn vermissen!
5 Kommentare
Die Worte hör ich wohl, Kai Siemsen . . .
von Uwe Hansmann am 29.11.2020 um 16:23 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Widerspruch
von Reinhard Rodiger am 29.11.2020 um 14:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Ergebnispolitik
von Ulrich Ströh am 29.11.2020 um 9:35 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Ergebnispolitik
von Dr.Diefenbach am 29.11.2020 um 12:49 Uhr
60. Große Fortbildung - Herzlichen Glückwunsch Kammer Nordrhein
von Smilla Schwarz am 29.11.2020 um 8:07 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.