Strafprozess in der Schweiz

Freispruch für Oberhänsli

Berlin - 13.01.2021, 17:50 Uhr

Walter Oberhänsli kann sich freuen: Er ist vom Bezirksgericht Frauenfeld freigesprochen worden. (Foto: picture alliance/dpa | Christiane Oelrich)

Walter Oberhänsli kann sich freuen: Er ist vom Bezirksgericht Frauenfeld freigesprochen worden. (Foto: picture alliance/dpa | Christiane Oelrich)


Das Bezirksgericht Frauenfeld im Schweizer Kanton Thurgau hat am heutigen Mittwoch Walter Oberhänsli, Chef der Schweizer Zur Rose Gruppe, vom Vorwurf freigesprochen, mit seinem Arzneimittelversand gegen Schweizer Gesetze verstoßen zu haben. Einem Pressebericht zufolge erhält er sogar 30.000 Euro Entschädigung. Oberhänsli sieht sich naturgemäß bestätigt, während der Schweizer Pharmaverband Pharmasuisse das Urteil nicht nachvollziehen kann.

Anfang Dezember war der Prozess gegen Zur-Rose-CEO Walter Oberhänsli vor dem Bezirksgericht Frauenfeld angelaufen. Anzeige erstattet hatte der schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse. Die Staatsanwaltschaft warf Oberhänsli zweierlei vor: Zum einen habe Zur Rose zwischen 2011 und 2015 Arzneimittel verschickt, ohne die rechtlichen Anforderungen dafür vollumfänglich zu erfüllen. Laut Anklageschrift ging es um rund 143.000 Bestellungen im Umfang von mindestens 7,15 Millionen Franken.

Der Versand rezeptfreier Medikamente ist nach dem Schweizer Heilmittelgesetz nur erlaubt, wenn ein ärztliches Rezept vorliegt. Der DocMorris-Mutterkonzern versuchte damals, diese Regelung zu umgehen, indem OTC-Kunden im Internet einen Fragebogen ausfüllen konnten, um das gewünschte Arzneimittel zu erhalten. Zur Rose hatte für dieses telemedizinische Verfahren ein externes Unternehmen beauftragt.

Auch soll Zur Rose in Werbebriefen suggeriert haben, ihr Vorgehen sei zulässig und stelle keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Die Anklage sah jedoch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht, mit Mengenrabatten und Versandkostenbefreiungen bei Mindestbestellmengen werde zu übermäßigem Arzneimittelkonsum verleitet – überdies habe sich Zur Rose einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den in direkter Konkurrenz stehenden Offizinapotheken verschafft.

Zum zweiten soll Zur Rose gegen das Heilmittelgesetz verstoßen haben, indem zwischen 2010 und 2014 an rund 6.400 Ärzte insgesamt 8 Millionen Franken an Vergütungen ausbezahlt worden seien. Dahinter steckt folgendes Vorgehen: Ärzte, die für ihre Patienten Medikamente via Zur Rose bestellten und hierfür eine Software von Zur Rose benutzten, wurden für administrative Aufwände entschädigt. Pro Rezeptzeile erhielten sie 1 Franken, für die Erfassung der Personalien jedes Neukunden 40 Franken. Sogenannte Dossierchecks wurden pro Jahr und Patient mit 12 Franken entschädigt.

Vor dem Strafprozess hatte das Bundesgericht diese Geschäftspraktiken bereits 2015 untersagt, und Zur Rose hatte sie eingestellt. Nun ging es darum, ob sie rückwirkend strafrechtlich zu ahnden sind.

Oberhänsli will nun noch mehr: Schweizer Versandverbot ist gesundheitsgefährdendes Relikt

Oberhänsli widersprach den Vorwürfen vor Gericht und plädierte auf Freispruch. Obwohl das Gericht zunächst neun Verhandlungstermine bis in den März hinein eingeplant hatte, ist schon jetzt das Urteil gefallen – ganz im Sinne des Zur Rose-Chefs. Laut dem Portal toponline.ch folgte das Gericht in Frauenfeld der Argumentation der Verteidigung, dass das Geschäftsmodell erst im Jahr 2015 gerichtlich für unzulässig erklärt wurde. Zuvor habe Oberhänsli nicht illegal gehandelt, eine Gefährdung habe es nicht gegeben. Dem Medienbericht zufolge erhält Oberhänsli sogar eine Entschädigung von 30.000 Schweizer Franken.

„Ich bin über das Urteil des Bezirksgerichts Frauenfeld erfreut“, erklärte Oberhänsli in einer ersten Stellungnahme. „Als Unternehmen sehen wir uns mit diesem Gerichtsentscheid in unserem Anliegen bestärkt, die Gesundheitsversorgung dank der Digitalisierung kostengünstiger, besser zugänglich und sicherer zu gestalten.“ Gerade in der Coronakrise sei der „dringende Bedarf einer weitergehenden Digitalisierung im schweizerischen Gesundheitssystem (…) prononciert zum Ausdruck“ gekommen. Das faktische Versandverbot von rezeptfreien Medikamenten werde mehr und mehr zu einem Relikt. Es sei nicht nur anachronistisch, sondern in Corona-Zeiten sogar als „gesundheitsschädigend“ zu beurteilen. Dringend ist aus Oberhänslis Sicht nun auch die verpflichtende Einführung des elektronischen Rezepts in der Schweiz.

Einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat man bei Pharmasuisse: „Wir können dieses Gerichtsurteil nicht nachvollziehen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Zur Rose umging mit ihrem Geschäftsmodell bewusst das geltende Recht. Das Urteil zeigt, dass für Unternehmer andere Regeln gelten als für uns anderen. Ihr Modell, ohne Fachberatung oder individuelle Betreuung, war und ist an Umsatz und Gewinn orientiert.“ Das Urteil habe auch Signalwirkung, so Pharmasuisse: „Liebe Unternehmerinnen und Unternehmer, kümmert euch nicht ums Gesetz und verdient viel Geld mit euren widerrechtlichen Geschäftsmodellen. Kommt es vor Gericht, könnt ihr auf Freisprüche zählen.“



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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