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Kritik an Corona-Politik
„Zero Covid“ medizinisch nicht erreichbar
Trotz hartem Lockdown bleiben die Zahlen der Neuinfektionen und Todesfälle im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie auf hohem Niveau. Doch statt die Effektivität ihrer bisherigen Corona-Maßnahmen kritisch zu hinterfragen, wollen die politisch Verantwortlichen die Einschränkungen sogar noch verschärfen. Ist das die richtige Strategie? Der Virologe Hendrik Streeck und der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof sehen das äußert kritisch und fordern einen Kurswechsel.
Mehr als zwei Millionen COVID-19-Fälle hat das Robert Koch-Institut seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland gezählt, knapp 45.000 Menschen sollen im Zusammenhang mit dem Virus gestorben sein. Mit dieser Zwischenbilanz wurde der virtuelle Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg am heutigen Freitag eröffnet. Anfang Februar 2020, als die Veranstaltung noch in den Messehallen in Stuttgart stattfinden konnte, äußerte sich Corona in bundesweit erst 13 Fällen und ein Thema war die Pandemie nicht – obwohl SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach anwesend war, der sich in der Folgezeit als viel gefragter Experte profilierte.
Ein Virus – gekommen, um zu bleiben?
In diesem Jahr waren es der Virologe Hendrik Streeck sowie der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof, die sich im Rahmen ihrer Keynote-Vorträge ausführlich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie befassten. Streeck und Kirchhof waren sich fast ausnahmslos einig: Die aktuellen Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seien unverhältnismäßig drastisch, beinhalteten unrealistische Zieldefinitionen und böten keine langfristige Perspektive auf ein Leben mit dem Virus.
Streeck betonte direkt zu Anfang seines Statements, dass man gerade den letzten Punkt unbedingt akzeptieren müsse: „Trotz Impfstoff werden wir mit diesem Virus leben müssen. Und wir können sogar damit leben.“ SARS-CoV-2 und seine Mutationen würden sich bei uns als saisonale Erreger von Atemwegserkrankung einreihen und damit endemisch sowie für die meisten Menschen ungefährlich werden. Viel kritischer sieht Streeck dagegen die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Versäumt hätte man seit rund einem Jahr systematisch zu erforschen, wie sich das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung verhält. Statt mit dem Lockdown zu experimentieren, solle man Wissen generieren und dieses gezielt einsetzen, um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollateralschäden so klein wie möglich zu halten. „Wir müssen dazu übergehen, mit einem Skalpell statt mit dem Hammer zu arbeiten“, so Streeck.
Erst den Erfolg definieren und dann messen
Und selbst die Auswirkungen des Lockdowns werden nach Streecks Ansicht nur unzureichend erforscht. Niemand könne die Kollateralschäden genau beziffern. Überprüft werde auch nicht, unter welchen Voraussetzungen Inzidenzzahlen von weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner erreichbar sind. „Im Winter jedenfalls nicht“, verriet der Virologe beiläufig. Die täglich gemeldeten Neuinfektionen seien zudem keine repräsentative Stichprobe, sondern beeinflussbar in Abhängigkeit davon, wie streng oder weniger streng im Zeitraum zuvor getestet wurde. Streecks Meinung nach sollten die politischen Entscheider ihre Corona-Maßnahmen nicht auf Grundlage dieser Zahlen beschließen, sondern vielmehr realistisch definieren, was erreicht werden soll, und daraufhin den Erfolg messen.
Schließlich räumte Streeck noch mit der in seinen Augen falschen Vorstellung auf, dass man die Pandemie auf null Infektionen herunterdrücken könne, wie es derzeit die #ZeroCovid-Bewegung verfolge. Es sei zu keinem Zeitpunkt möglich, alle zwischenmenschlichen Kontakte absolut zu minimieren. Allein im familiären und medizinischen Bereich sei es selbst bei einem europaweiten Lockdown unvermeidbar und notwendig, dass Infizierte auf Nicht-Infizierte treffen würden.
Was ist das übergeordnete Ziel?
Auch Verfassungsrechtler Ferdinand Kirchhof äußerte sich besorgt über den Aktionismus in der Corona-Krise. Doch zu Beginn seines Keynote-Vortrages zeigte er zunächst Verständnis für die aktuelle politische Situation. Die Pandemie sei etwas völlig Neuartiges für Staat und Gesellschaft und man hätte die Gefahr und Chancen ihrer Bekämpfung sehr schnell erkannt. Damit bestehe seit vergangenem Jahr das Gefühl, alles steuern zu können. Gleichzeitig würde es vonseiten der Bevölkerung eine immense Erwartungshaltung geben. Dadurch seien die Regierungen von Bund und Ländern in einer Situation, die sich jederzeit in Panik umkehren würde, wenn etwas nicht so funktioniere, wie geplant.
Dabei sei auf Grundlage der staatlichen Gewaltenteilung bisher nicht viel falsch gelaufen, erläuterte Kirchhof: Die Exekutive habe die Gefahr erkannt und sorge dafür, dass Infektionsschutzmaßnahmen umgesetzt und eingehalten werden. Die Gerichte prüften die Verhältnismäßigkeit und die Parlamente beschlössen Regelungen, die eine bestmögliche Bewältigung der Pandemie in Aussicht stellen. Exemplarisch erwähnte Kirchhof dabei die neuen Verordnungen zur Arzneimittelversorgung durch die Apotheken.
Die Pandemie ist kein Ausnahmezustand mehr
Doch für Kirchhof stehen diese positiven Aspekte mittlerweile im Schatten des langanhaltenden Ausnahmezustands, in dem sich die Gesellschaft befindet. Die politischen Entscheider fühlten sich zunehmend hilflos und gedrängt. Man wolle unbedingt und gerade hinsichtlich der in diesem Jahr anstehenden Bundestags- und Landtagswahlen Erfolge zeigen – diese blieben aber gemessen an den täglich berichteten Zahlen bisher aus. Statt einer Kursumkehr halte man an den Dingen fest und verschärfe sie zum Teil noch. Als Beispiel nannte Kirchhof die Corona-Warn-App, die sich bei der Bekämpfung der Pandemie bisher als wenig erfolgreich erwiesen hat. Vielmehr müssten Maßnahmen zielgerichteter sein und nicht auf Grundlage unsicherer Statistiken entschieden werden. Darüber hinaus sollten Corona-Infektionen zuverlässiger und schneller gemeldet werden können.
Corona-Pandemie
„Eine langfristige Strategie ist weiterhin nicht erkennbar“
Interview mit dem Vize-Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts
Die Selbstverwaltung hat sich historisch bewährt
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts stellte zur Frage, was überhaupt das übergeordnete Ziel sei: Strebe man eine „Durchseuchung“ der Bevölkerung an, sei der Lockdown kontraproduktiv. Wolle man dagegen bestimmte Risikogruppen vor einer Infektion schützen, müsse man die Maßnahmen wesentlich konkreter an der Lebenswirklichkeit dieser Menschen festmachen. Mit Blick auf die derzeitigen Machtverhältnisse in Deutschland rief Kirchhof nachdrücklich dazu auf, dass vor allem die Parlamente wieder die Entscheidungen in Form von Rechtsnormen treffen sollten und nicht einzelne Exekutivorgane.
Die am nächsten Dienstag anstehenden Bund-Länder-Beratungen über Verschärfungen der Corona-Maßnahmen kommentierte Kirchhof mit einem Zitat aus Mark Twains „Huckleberry Finn“: „Als wir unser Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.“
14 Kommentare
Cover 19
von Berti am 10.02.2021 um 20:55 Uhr
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Dank
von Jürgen am 22.01.2021 um 23:27 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Medikamentenforschung hat keine realistische Chance bekommen!
von T.M. am 19.01.2021 um 11:03 Uhr
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AW: Medikamentenforschung hat keine
von Thomas Klatt am 20.01.2021 um 0:11 Uhr
CORONA
von Günter Poersch am 18.01.2021 um 7:23 Uhr
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AW: CORONA
von Gabriele am 19.01.2021 um 16:35 Uhr
...und in Vietnam gibt es wieder Paraden und Konzerte
von Arguments 4 Future am 17.01.2021 um 16:13 Uhr
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AW: Big Pharma lässt grüßen :)
von paul am 18.01.2021 um 10:04 Uhr
AW: ...und in Vietnam gibt es wieder Paraden
von Hexe am 18.01.2021 um 13:07 Uhr
AW: Ernsthaft?
von Jan Uvia am 18.01.2021 um 13:19 Uhr
streek, ein lobbyist?
von uniquename am 17.01.2021 um 12:10 Uhr
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Lobbyist
von Pavel Bartosz am 16.01.2021 um 11:06 Uhr
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AW: Lobbyist
von Paul am 17.01.2021 um 10:09 Uhr
Es lebe der Verstand
von Tom Sawyer am 16.01.2021 um 9:21 Uhr
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